Empa-Forscher entwickeln CO2-neutralen Beton mit Pflanzenkohle-Pellets
Mit CO2 bauen: Daran tüfteln derzeit Forscher an der Empa. Mit der Zugabe von Pflanzenkohle in Beton loten sie das Potenzial von Netto-Null-Beton aus. Für den optimalen Einsatz wird die Kohle in Pellets-Form verarbeitet und ersetzt damit Gesteinskörnungen.
Quelle: Empa
20 Volumenprozent Kohlenstoff-Pellets (schwarz) resultieren in Netto-Null-Emissionen.
Klimaneutralität bis 2050 – das hat sich die internationale Gemeinschaft der meisten Länder zum Ziel gesetzt. Um in der Schweiz tatsächlich «Netto-Null» zu erreichen, braucht es umfassende Strategien und Prozesse. Neben der Verminderung von Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich, im Verkehr und in der Industrie spielen vor allem auch sogenannte Negativemissionstechnologien (NET) eine Schlüsselrolle. Diese CO2-Senken greifen dort, wo sich Emissionen nicht oder nur mit sehr grossem Aufwand vermeiden lassen. Unter diese Bereiche fallen neben der Landwirtschaft unter anderem auch die Kehrrichtverbrennung und nicht zuletzt die Zementherstellung.
Die Zementbranche allein wird für ungefähr zwei Millionen Tonnen der zu erwartenden Restemissionen verantwortlich sein, wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) im Juni 2022 im viermal jährlich erscheinenden Magazin «Die Umwelt» festhielt. Nach Angaben des Bafu verursachen die sechs Zementwerke in der Schweiz rund sechs Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen. Der Grund dafür liegt beim Klinker, der Hauptbestandteil von Zement, der sich besonders negativ auf das Klima auswirkt. Die Branche ist daher seit längerem auf der Suche nach Strategien und Lösungen, um diese Restemissionen zu tilgen.
Cemsuisse, der Verband der Schweizerischen Cementindustrie, hat eine Roadmap als Beitrag zum Netto-Null-Ziel erarbeitet. Es müsse vor allem gelingen, weniger Klinker im Zement, weniger Zement im Beton und weniger Beton im Baugewerbe zu verwenden, wie Verbandssprecher David Plüss gegenüber dem Bafu erklärte. Um die Restemissionen in den Griff zu bekommen, wird die Schweizer Zementindustrie nicht um zusätzliche Massnahmen herumkommen. Der CCUS-Ansatz (Carbon Capture, Utilization and Storage) scheine dafür in der Branche am besten geeignet zu sein, wie Plüss erklärte. Dabei wird CO2 zum Beispiel aus Industrieanlagen abgeschieden und anschliessend in Produkten verwendet oder im Untergrund gelagert.
CO2 als Ressource nutzen
Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Technologie von Neustark. Ziel des ursprünglich als ETH-Spin-Off gestarteten Unternehmens ist es, das schädliche Klimagas bei verschiedensten Anlagen – etwa bei der Betonherstellung oder der Biogaserzeugung – abzufangen, bevor es überhaupt in die Atmosphäre gelangt. Danach wird das CO2 verflüssigt und mineralisiert als Kalkstein in Abbruchmaterial gebunden. Mit Holcim ist inzwischen ein Branchenriese als Partner mit an Bord. Der Zementkonzern unterzeichnete im September eine Kooperationsvereinbarung zur weltweiten Aufrüstung seiner Baustoffrecyclingwerke mit der Technologie.
Die Reduzierung von CO2 in der Atmosphäre zählt aktuell auch zu den wichtigsten Themen an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in Dübendorf. Im Rahmen der Forschungsinitiative «Mining the Atmosphere» werden dazu diverse «Pfeiler» erforscht. Die Idee dahinter: Das überschüssige CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen und als Ausgangsmaterial für kohlenstoffhaltige Materialien zu nutzen, die in verschiedensten Bereichen verwendet werden. Als Speichermedien kommen hierbei Baustoffe und insbesondere Beton in Frage, da sie in ausreichender Menge produziert werden.
Im Grunde bietet der Bausektor mit seinem massiven Ressourcenverbrauch paradoxerweise also eine Basis für eine CO2-Senke mit Langzeitwirkung, indem effektiv mit dem schädlichen Klimagas gebaut wird. «Beton und Asphalt mit Kohlenstoff könnte man mehrmals recyceln, damit der Kohlenstoff für hunderte von Jahren in Baumaterialien gespeichert wird», erklärt Pietro Lura, Abteilungsleiter des «Concrete & Asphalt Labs» an der Empa, auf Anfrage. Am Ende des Prozesses könne man Beton mit einem grossen Massenanteil von CO2 in finalen Senken deponieren. «Die Kohle würde sozusagen dorthin zurückkehren, wo sie herkam.»
Quelle: zvg
Der Zementkonzern Holcim hat sich verpflichtet, weltweit auf den Baustoffrecyclingwerken die CO2-Speichertechnologie von Neustark einzuführen. Im Bild: Holcimwerk in Oberdorf NW.
Pflanzenkohle als CO2-Senke
Pietro Lura entwickelt in diesem Zusammenhang mit Kollegen im «Concrete & Asphalt Lab» ein Verfahren, mit dem sich Pflanzenkohle praxistauglich in Beton integrieren lässt. Dabei loten die Forscher das Potenzial von CO2-neutralem oder gar CO2-negativem Beton aus. Denn Pflanzenkohle entsteht durch einen pyrolytischen Verkohlungsprozess unter Luftabschluss und besteht zu einem grossen Teil aus reinem Kohlenstoff, den die Pflanzen beim Wachstum aus der Atmosphäre entnommen haben. Während bei der Verbrennung von Pflanzen das CO2 wieder entweicht, bleibt es in der Pflanzenkohle langfristig stabil.
Diesen Vorteil hat längst auch die Baubranche erkannt. So gibt es bereits erste Betonprodukte mit integrierter Pflanzenkohle auf dem Markt. Dabei wird die Kohle aber häufig unbehandelt eingebracht. Laut Lura kann das zu einigen Schwierigkeiten führen: «Grosse Mengen an Pflanzenkohle beeinträchtigen die mechanischen Eigenschaften und die Dauerhaftigkeit von Beton.» Auch die Frischbetoneigenschaften stellen laut dem Forscher eine grosse Herausforderung dar. «Aufgrund der hohen Porosität saugt Pflanzenkohle eine grosse Menge Wasser während des Mischens auf und verschlechtert die Verarbeitbarkeit des Betons.»
Dies wiederum müsse durch eine höhere Dosierung von Fliessmitteln ausgeglichen werden. Gleichzeitig brauche es gegebenenfalls eine höhere Dosierung chemischer Zusatzstoffe im Beton wie Luftporenbildner und Schwindreduzierer, wenn diese teilweise an den Oberflächen der Pflanzenkohle absorbiert werden. Auch sei die Handhabung des Pflanzenkohle-Betons nicht ganz ungefährlich. Lura dazu: «Beim Umgang mit feinem, kohlenstoffreichem Staub in Betonwerken oder auf Baustellen können technologische Probleme auftreten, etwa hinsichtlich Brandrisiken und Explosionen.» Nicht zuletzt bestehen auch Gesundheitsrisiken für die Bauarbeiter, da der Kohlenstaub problematisch für die Atemwege ist.
Kohle wird zu Pellets
Aus diesen Gründen schlagen die Empa-Forscher Mateusz Wyrzykowski, Nikolajs Toropovs, Frank Winnefeld und Pietro Lura vom «Concrete & Asphalt Lab» einen alternativen Ansatz vor, bei dem die Pflanzenkohle in runde Pellets verarbeitet wird. Für die Herstellung mischte das Team in einem Kaltbindeverfahren Pflanzenkohle, Zement und Wasser zu einer dicken Aufschlämmung und verarbeitete diese in einem rotierenden Tellermischer zu kleinen Kügelchen mit einem Durchmesser zwischen vier und 32 Millimetern. «Danach wurden die ‹grünen› Pellets mehrere Tage bei hoher relativer Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur gelagert, bis sie vollständig ausgehärtet waren», so Lura.
Auf diese Weise fertigte das Team aus der Pflanzenkohle kohlenstoffreiche Leichtzuschläge für Beton. Diese seien leichter handzuhaben als die ursprüngliche Pflanzenkohle, wie die Forscher im Paper zu ihrer Arbeit schreiben, welches kürzlich im «Journal of Cleaner Production» veröffentlicht wurde. Der Pellets-Ansatz bietet laut Lura auch einen Vorteil für den Praxiseinsatz: «Betonproduzenten haben bereits Erfahrungen mit leichten Gesteinskörnungen und würden bei der Handhabung unserer kohlenstoffreichen Variante keine Probleme haben.» Weiter könne die Herstellung separat in einer industriellen Produktionsanlage erfolgen.
Quelle: Empa
Beton ohne Emissionen: Empa-Forscher Mateusz Wyrzykowski (rechts) und Nikolajs Toropovs ersetzen herkömmliche Gesteinskörnungen durch Pellets aus Pflanzenkohle und loten damit das Potenzial von CO2-neutralem oder gar CO2-negativem Beton aus.
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit stellte das Team mit den Kügelchen Normalbeton der Festigkeitsklassen C20/25 bis C30/37 her. Die Pellets weisen eine ähnliche Porosität und Festigkeit wie herkömmliche Leichtzuschläge auf und können laut Lura grundsätzlich für jede Betonart verwendet werden. «In unserer Publikation haben wir gezeigt, dass wir mit einem Pellets-Anteil von 20 Volumenprozent bei Verwendung eines CEM I als Bindemittel Netto-Null-CO2-Beton mit einer Festigkeitsklasse bis C 30/37 produzieren können.» Mit anderen Zementsorten und mehr Pellets sei es auch möglich, stark CO2-negativen Beton zu erhalten. Sei eine geringere Festigkeit anzustreben und Zement mit geringeren Emissionen zu verwenden, könne man auch mit weniger Pellets CO2-neutral werden.
Netto-Null-Beton erreicht
Wie die Forscher im Paper darlegen, lassen sich mit der gespeicherten Menge Kohlenstoff alle Emissionen kompensieren, die bei der Pellets- und Betonproduktion anfallen. Beim Normalbeton mit einer Dichte zwischen 2000 bis 2600 Kilogramm pro Kubikmeter sei die Grenze mit 20 Volumenprozent wohl noch nicht erreicht, schreibt die Empa in einem Artikel zur Forschungsarbeit. Besonders sichtbar werde das negative Emissionspotenzial aber bei Leichtbeton mit einer Dichte von zirka 1800 Kilogramm pro Kubikmeter: Ein Anteil von 45 Volumenprozent der Pellets führt zu insgesamt negativen Emissionen von minus 290 Kilogramm CO2 pro Kubikmeter. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Beton schlägt mit plus 200 Kilogramm CO2 pro Kubikmeter zu Buche.
Bei der aktuellen Forschung diente Pflanzenkohle als Modellmaterial. Als wichtigste Kohlenstoffquelle sieht Lura diese aber nicht, wie er im Empa-Bericht erklärt. Vielmehr soll der Blick auf dem «grossen Saubermachen» liegen, respektive der Initiative «Mining the Atmosphere». Verschiedenste Forschungsabteilungen verfolgen das breit angelegte Konzept: die Produktion von synthetischem Methangas mithilfe von Sonnenenergie, Wasser und CO2 aus der Atmosphäre in sonnenreichen Regionen der Erde und die anschliessende Pyrolyse des Gases. «Dadurch erhält man Wasserstoff, den man als Energieträger in der Industrie oder der Mobilität nutzen kann und festen Kohlenstoff, den wir – wie die Pflanzenkohle – zu Pellets verarbeiten und in den Beton einbringen können», so Lura.
Literaturhinweis
Die Forschungsarbeit wurde kürzlich als Studie im «Journal of Cleaner Production» veröffentlicht.
Cold-bonded biochar-rich lightweight aggregates for net-zero concrete. M. Wyrzykowski, N. Toropovs, F. Winnefeld, P. Lura. Journal of Cleaner Production (2023).