08:11 BAUPRAXIS

Einblick in die Erweiterung des Bundeskanzleramtes in Berlin

Geschrieben von: Robert Mehl (rm)
Teaserbild-Quelle: Wikimedia Commons, Benjamin Janecke

Vor gut 21 Jahren wurde das deutsche Bundeskanzleramt eingeweiht. Ursprünglich sollte der aktuelle Solitärbau ein Baustein der städtebaulichen Figur «Band des Bundes» sein. Dieses Konzept wird nun ab 2024 durch eine Verlängerung jenseits der Spree vollendet.

BundeskanzleramtLuftbild

Quelle: Wikimedia Commons, Benjamin Janecke

Das Berliner Kanzleramt von der Luft aus gesehen.

Mit dem Hauptstadtbeschluss hat der deutsche Bundestag am 20. Juni 1991 entschieden, seinen Sitz von Bonn zurück nach Berlin zu verlegen und seine Sitzungen wieder im Reichstag abzuhalten. Kurz danach wurde ein städtebaulicher Ideenwettbewerb zur Gestaltung des neuen Parlamentsviertels am Spreebogen ausgelobt. Mit 834 Eingaben war dies einer der bislang grössten städtebaulichen Wettbewerbe überhaupt. Den Wettbewerb gewonnen hat das zuvor relativ unbekannte Architekturbüro von Axel Schultes und Charlotte Frank mit ihrem Vorschlag, ein Band des Bundes zu schaffen.

Sie planten einen zweiachsigen, fast 600 Meter langen Baukörper, der in gerader Linie angelegt, zweimal die Spree kreuzt und in strenger Ost-West-Richtung nördlich des Reichstages verläuft. Zwischen diesen beiden Achsen sollte ein rund 50 Meter breiter Freiraum entstehen, in den die Architekten für den Parlamentsbetrieb bedeutsame Funktionsbauten als Solitäre platzierten. Vor dem Bundeskanzleramt sahen sie ein öffentliches Forum vor, dessen detaillierter Entwurf und die Umsetzung offen blieb, und das bis heute nicht abschliessend angegangen wurde. Schnell wurde diese Zögerlichkeit nicht nur von den Medien kritisiert. 

Derzeit ist das als «Bürgerforum» bezeichnete Areal mit regelmässig angeordneten Bäumen bepflanzt und von einem Steinbelag eingefasst. An seiner Nordseite wird es von der Schweizerischen Botschaft begrenzt. Dies ist der einzige noch erhaltene Bestandsbau des früheren Alsenviertels, der zudem weitgehend unbeschadet die Bombennächte des Zweiten Weltkrieges überstanden hatte.

1919 wurde das Gebäude bereits durch die Schweizerische Eidgenossenschaft erworben und fortan von dieser in verschiedenen Funktionen genutzt. So diente es bis zur deutschen Wiedervereinigung etwa als Generalkonsulat. Mit dem Hauptstadtbeschluss zugunsten Berlins wurde der aus dem Jahr 1871 stammende Bau durch Diener & Diener Architekten saniert, erweitert und zu dem heutigen Botschaftsgebäude umgebaut.

Bundeskanzleramt_07

Quelle: Robert Mehl

Ostansicht Leitungsgebäude mit Ehrenhof, Stoffbaldachin, Eduardo-Chillada-Skulptur «Berlin» und dem kaum merklichen Grundstückzaun.

Erweiterung mit 330 Büros

Östlich des Bürgerforums sah der städtebauliche Entwurf von Schultes und Frank ein Bürogebäude für Parlamentarier vor, das über einen «Spreesprung» jenseits des Flusses eine östliche Fortsetzung erhalten sollte. Die Wettbewerbe zu beiden Projekten gewann der Münchner Architekt Stephan Braunfels. Im westlich der Spree gelegenen Paul-Löbe-Haus sind heute 275 Abgeordnetenbüros untergebracht.

Im östlich der Spree gelegenen, 2003 fertig gestellten Marie-Elisabeth-Lüders-Haus befinden sich insbesondere das Archiv und die Bibliothek des Parlaments. Aktuell wird an dessen östlicher Stirnseite eine Erweiterung errichtet, um darin 330 weitere Abgeordnetenbüros unterzubringen. Die Arbeiten dazu begannen bereits 2010 und sollen nach etlichen Verzögerungen und Kostensteigerungen 2024 fertig gestellt sein.

Städtebaulicher Körper

Auf Basis des städtebaulichen Wettbewerbes wurde 1994 ein architektonischer Wettbewerb zum eigentlichen Bundeskanzleramtsgebäude ausgelobt, den ebenfalls das Büro von Schultes und Frank gewann. Zu dem Juryentscheid gab es grosse Vorbehalte von Seiten des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Diese konnten jedoch von den architektonischen Kanzlerberatern – allen voran Gustav Peichl, dem Erbauer der bekannten Bundeskunsthalle in Bonn – ausgeräumt werden.

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Quelle: Robert Mehl

Zentraler Treppenzylinder der Sky-Lobby von Osten gesehen.

Das heutige, 2001 fertig gestellte Bundeskanzleramt kann, obwohl es von seiner Nutzung her eine Einheit ist, als Fragment des «Band des Bundes» interpretiert werden. Seine beidseitigen, niedrigen Seitenflügel gliedern sich auf in eine 335 Meter lange Südspange und in ein gut 200 Meter langes, nördliches Pendant. 

Zwischen beiden sitzt das 36 Meter hohe, kubische Leitungsgebäude. Der grosse Längenunterschied findet seine Ursache in dem spitzen Winkel, den hier das Band des Bundes zum Lauf der Spree einnimmt. In beiden jeweils 18 Meter hohen, fünfgeschossigen Gebäuderiegeln sind vor allem Mitarbeiterbüros untergebracht.

Angeordnet in einer kammartigen Struktur, werden diese in beiden Spangen durch gebäudehohe Wintergärten segmentiert, zu denen die geschosshohe Büroverglasung orientiert ist. Die eigentliche Aussenfront weist hingegen keine direkten Bürofenster auf. Dort wo die Südspange das Spreeufer erreicht, ist die Kanzleramtskantine zu finden, die über eine der Spree zugewandte Aussenterrasse verfügt.

Erschliessung

Der fussläufige Verwaltungseingang in das Kanzleramt erfolgt über die Nordseite. Man betritt auf Höhe der Leitungsgebäude-Mittelachse ein durch einen expressiven Betonwindfang markiertes Foyer die Nordspange und gelangt direkt in den kubischen Mittelbau. Unmittelbar über dem eingeschossigen Foyer ist der aus dem Fernsehen bekannte Pressesaal angeordnet, in welchem die Pressesprecher regelmässig vor das Mikrofon treten.

Staatsgäste gelangen hingegen über den Ehrenhof in das Kanzleramt. Dieser liegt an der Ostseite des Leitungsgebäudes und kann vom Forum zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus eingesehen werden. Der Ehrenhof wird vom öffentlichen Raum durch einen unauffälligen, rund 3 Meter hohen Zaun aus zahllosen senkrechten Stahlschwertern abgetrennt. Für die Ehrenhof-Zufahrt existiert ein gebäudehoher Spalt, der im Grundriss die Nordspange diagonal durchschneidet. Für die Abfahrt der Staatskarossen gibt es einen gleichartigen Durchlass auf der Südseite.

Quadratur des Kreises

Das Leitungsgebäude Bundeskanzleramtes besitzt einen annähernd quadratischen Grundriss und weist eine kubische Anmutung auf. In ihm steckt ein aufrecht stehender Zylinder, um den sich im Erdgeschoss eine Wandelhalle und in seinem Kreiszentrum ein zentraler Platz entwickelt. Umfangen wird der Zylinder hier von einer nördlichen und einer südlichen Freitreppenanlage, die in das erste Obergeschoss führen. Hier haben die Architekten einen grossen, kreisrunden Kongresssaal platziert, der über eine verglaste Galerie mit Übersetzerkabinen verfügt.

Darüber befindet sich eine Techniketage, die an der Aussenfassade durch ein geschosshohes horizontales Lamellenband ablesbar ist. Darüber liegt die dreigeschossige Sky-Lobby, die aus ihrer Mitte heraus über eine Treppe erschlossen wird. Sie adaptiert die zylindrische Figur der unteren Geschosse. Beginnend auf der 5. Ebene mit zwei gegenüberliegenden, halbgeschossigen Treppenläufen führen diese zu einem runden Podest in Bauteilmitte, wo sie jeweils um 90 Grad versetzt in zwei weiteren Läufen zur nächsten, der 6. Hauptebene führen.

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Quelle: Robert Mehl

Treppenmulde im 7. OG. Der braune Durchgang führt zu den Büros des Kanzleramtsministers.

Den oberen Abschluss dieses Treppenarrangements bildet eine Mulde, die aus konzentrisch angeordneten Stufen besteht und die von einem weiteren Mittelpodest auf die 7. Etage hinaufführen. Südlich der Sky-Lobby befinden sich die Vorzimmer und das Büro des Bundeskanzlers, nördlich davon das Pendant des Kanzleramtsministers. In den zwei Etagen darunter liegen auf der Nordseite die Büroräume der engsten Kanzleramtsmitarbeiter und auf der Südseite im 6. OG zwei Kabinettsäle sowie eine Etage darunter ein grosser Bankettsaal.

Das untere Foyer und die Sky-Lobby sind nicht über repräsentative Treppen miteinander verbunden. Die erwähnte Techniketage trennt beide voneinander. Die reguläre Vertikalverbindung zwischen den beiden Funktionsbereichen erfolgt aus Sicherheitsgründen ausschliesslich über vier runde Aufzüge, welche ebenfalls in die zentrale Zylinderfigur integriert sind.

Einschnitte und Stelen

Formal ist das im postmodernen Stil errichtete Leitungsgebäude des Bundeskanzleramtes geprägt von zahlreichen Deckeneinschnitten, die die kubische Aussensilhouette auflösen. Die Architekten haben bei dem Bau die geometrischen Geschosskanten immer erhalten und erst etwas davon eingerückt geschwungene Ausschnitte vorgenommen. So generierten sie stimmig die aufgebrochene Dachfläche wie auch die expressiv geschwungenen Balkone innerhalb der Sky-Lobby.

Damit entstanden zahlreiche Blickbeziehungen innerhalb der drei oberen Ebenen, wie auch zu markanten Bauten in der näheren Umgebung oder in der Skyline. Auffallend sind auch die zahlreichen Stelen, die Schultes und Frank zur Gliederung des Innen- und Aussenraums des Kanzleramt-Kubus einsetzten. Nur wenige davon haben eine statische Funktion, die meisten dienen als überdimensional hohe Pflanztröge in denen Felsenbirnen eingepflanzt wurden.

Kanzlerpark und Erweiterung

Westlich des Leitungsgebäudes liegt zwischen diesem und der Spree der Kanzlergarten, der erhöht auf einem fast unmerklichen Sockelgeschoss angelegt wurde, in welchem die gesamte Haustechnik untergebracht ist. Im Kanzlergarten gibt es eine Landemöglichkeit für Hubschrauber; der eigentliche Hubschrauberlandeplatz liegt jedoch jenseits des Flusses im Kanzlerpark.

Obwohl dieser in noch fussläufiger Distanz zum Kanzleramt liegt, wird aus Sicherheitsgründen diese Kurzstrecke in gepanzerten Fahrzeugen überwunden. Der Weg führt dabei über eine eigene Spreebrücke, die in der Achse der nördlichen Kanzleramtsspange verläuft. Sie überquert nicht nur den Fluss, sondern auch eine öffentliche Uferpromenade an dessen Nordseite. Der Kanzlerpark liegt in vergleichbarer Höhe wie der Kanzlergarten erhaben über dem Fluss. Der etwa 3 m umfassende Höhenversprung zur Uferpromenade dient einmal mehr der Sicherheit.

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Quelle: Robert Mehl

Kanzleramt vom nördlichen Spreeufer aus gesehen.

Spiegelreferate

2019 genehmigte der Haushaltsausschuss des Bundestages eine Erweiterung des Bundeskanzleramtes in den Kanzlerpark hinein. Architektonisch wird damit der im Jahr 1994 prämierte Städtebauentwurf von Schultes und Frank vollendet, die auch für diesen Neubauentwurf verantwortlich zeichnen.

Ihre Idee sieht eine Fortführung der beiden Verwaltungsspangen über die Spree hinweg in den Park vor, wo sie sich an dessen Westende zu einem abschliessenden Rundbau verbinden. In dieser Erweiterung sollen alle derzeit noch existierenden Aussenstellen des Kanzleramtes und somit Büroflächen für 400 weitere Beschäftigte untergebracht werden. Sehr personalintensiv sind hierbei die Spiegelreferate, von denen derzeit nur die Wichtigsten direkt im Kanzleramtgebäude ansässig sind. Je ein Spiegelreferat ist einem Ministerium zugeordnet. Es ist unabhängig von diesem, verfolgt dessen Arbeit und erstattet dem Kanzler Bericht darüber.

Der heutige Haupthubschrauberlandeplatz bleibt mehr oder weniger an seinem heutigen Standort erhalten. Jedoch haben die Architekten dafür am Neubau eine markant auskragende Dachfläche geplant. Die Bauarbeiten der Kanzleramtserweiterung sollen 2024 beginnen, die Fertigstellung ist für 2028 vorgesehen.

Effizient

Laut Wikipedia handelt es sich bei dem Bundeskanzleramt der Bundesrepublik Deutschland um das grösste Regierungshauptquartier der Welt. Sein Gebäudevolumen ist etwa achtmal grösser wie das des Weissen Hauses in Washington. Ausser Acht gelassen wird jedoch, dass natürlich auch zum Weissen Haus, zur Londoner Downing Street, zum Pariser Élysée-Palast oder zum Moskauer Kreml zahlreiche externe Gebäude gehören. Denn das Vorhalten von Spiegelreferaten ist in modernen Regierungsadministrationen gängige Praxis.

Begründet wird die Neubauentscheidung mit einer effizienteren Aufgabenerfüllung, einer erhöhten Nachhaltigkeit durch kürzere Wege und einer Verbesserung der Sicherheit. Die Baukosten des heutigen Bundeskanzleramtes werden mit 465 Mio. DM beziffert, was kaufkraftbereinigt heute rund 318 Millionen Euro wären. Der vorgestellte Neubau ist mit rund 600 Millionen Euro veranschlagt.

Kein geringer Kostenfaktor stellt dabei ein Tunnelbauwerk dar, welches die Spree unterqueren wird und einen unabhängigen Logistik- und Personentransfer mit dem heutigen Kanzleramtsbau sicherstellt. Ähnliche unterirdische Verbindungen existieren bereits zwischen den anderen Berliner Parlamentsbauten.

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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