Digitalisierung: Vorteile statt Vorurteile auf dem Bau
Der digitale Durchbruch in der operativen Bauausführung lässt noch auf sich warten. Doch in der fragmentierten Branche tut sich was. Etablierte Standards helfen Pilotprojekte auf dem Bau zu realisieren. Ängste und Widerstände von Mitarbeitern und Partnern lassen sich durch Wissensvermittlung abbauen.
Quelle: Basler & Hofmann AG
Bauen ohne Pläne: Wann vermessen die meisten Poliere auf Schweizer Baustellen auf Basis eines digitalen Zwillings des Projekts? Bild: Büroerweiterung Basler & Hofmann, Esslingen ZH.
Papierpläne spielen auf der Baustelle nach wie vor eine wichtige Rolle. Denn die Bauwirtschaft ist wahrlich keine Pionierbranche der Digitalisierung. Weniger als sechs Prozent der Bauunternehmen nutzten 2016 digitale Planungsinstrumente vollständig, so das Beratungsunternehmen Roland Berger in einer Studie. Doch der weltweit zu beobachtende tiefgreifende Wandel von traditionellen Arbeitsweisen hin zu digitalisierten Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette macht auch vor dem Schweizer Bausektor nicht halt.
Bei hiesigen Architekten und Fachplanern ist «Building Information Modeling» oder kurz BIM längst angekommen. Gerade komplexe Bauprojekte wie Spitäler wären heute ohne dreidimensionales Bauwerksmodell undenkbar, bei dessen vordefinierten Bauteilen geometrische und andere relevante Informationen standardisiert hinterlegt sind. In der operativen Bauausführung lässt der digitale Durchbruch aber weiterhin auf sich warten, und dies, obwohl BIM international als Oberbegriff für Arbeitsmethoden des Planens, Bauens und Betreibens von Bauwerken auf der Grundlage digitaler Technologien verwendet wird.
Mitarbeiter ins digitale Boot holen
Weshalb es ein anspruchsvolles Unterfangen ist, die Vorteile der Digitalisierung nutzbringend auf Schweizer Baustellen zu bringen, weiss Thomas Jürg Müller, Geschäftsführer Mensch und Maschine Schweiz AG. Der Architekt HTL und BIM-Experte begleitet seit zwölf Jahren Unternehmen bei der Einführung digitalisierter Prozesse, darunter zunehmend auch Baumeister. «Es gibt kaum eine stärker fragmentierte Industrie als die Bauindustrie. Das macht die Digitalisierung hier so komplex», benennt Müller die grösste Herausforderung. Als Referent bringt er Poliere und Bauführer, die sich im Rahmen des neuen Kurses von Baukader Schweiz (siehe Kasten unten) weiterbilden, bezüglich BIM auf den neusten Stand. Von der Digitalisierung erhoffen sich die Kursteilnehmer primär eine bessere Planung mit weniger Folgeproblemen auf der Baustelle, das machen deren Aussagen schnell einmal deutlich. Dank optimierter logistischer Abläufe und Arbeitsprozesse sollen die Baumeister künftig produktiver sein und gleichzeitig auch qualitativ überzeugen.
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Computer werden primär die lästige Fleissarbeit übernehmen, menschliche Erfahrungen können sie nicht ersetzen.
Thomas Jürg Müller, Geschäftsführer Mensch und Maschine Schweiz AG
Thomas Jürg Müller, Geschäftsführer Mensch und Maschine Schweiz AG
«Es ist möglich, diese Ziele mit BIM zu erreichen», meint Müller. «Es ist aber wahrscheinlich, dass die dafür notwendigen Änderungen bei den betroffenen Bauarbeitern Ängste und Widerstände auslösen.» Um allfällige Widerstände abzubauen, müsse das Baukader die Ängste seiner Mitarbeiter ernst nehmen und aufzeigen, dass die menschlichen Eigenschaften gerade auch zukünftig zu den wichtigsten beruflichen Skills gehören werden. «Computer werden primär die lästige Fleissarbeit übernehmen, menschliche Erfahrungen können sie nicht ersetzen», betont Müller.
Die gesamte Bauindustrie sei bisher im Vergleich mit anderen Industrien sehr resistent bei der Adaption und Implementierung neuer Technologien gewesen. Dies auch, weil man sich in der Aus- und Weiterbildung zumeist auf das «Handwerk» beschränkt habe, so Müller weiter. «Für eine erfolgreiche BIM-Einführung gilt es nun jedoch, den menschlichen, sozialen Faktor ins Zentrum zu stellen.» Es sei zudem aufgrund seiner Praxiserfahrung sehr zu empfehlen, neue Arbeitsweisen und Prozesse in sinnvollen, einfachen Schritten einzuführen: «Wer zu viel auf einmal will, läuft Gefahr, seine Mitarbeiter zu überfordern.»
Ohne Standards geht es nicht
Zuerst ist die Bauindustrie aber auf übergeordneter Ebene gefordert. Um trotz Fragmentierung stabile, effiziente Abläufe entlang der ganzen Wertschöpfungskette anwenden zu können, braucht es koordinierte gemeinsame Anstrengungen. Denn Voraussetzung für die digitale Vernetzung von Informationen sind etablierte Daten- und Schnittstellenstandards sowie übergreifende kollaborative Prozesse. «Die Schweiz ist diesbezüglich zwar spät gestartet, mittlerweile aber sehr gut unterwegs», zieht Müller eine positive Zwischenbilanz.