18:27 BAUPRAXIS

Die „guten“ Steine ins Beton-Töpfchen

Teaserbild-Quelle: Alptransit Gotthard AG

Als Beton wandert ein Drittel der total 23,6 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial der Tunnelbohrmaschinen des Gotthard-Basistunnels wieder in den Berg zurück. Der Rest wird für Dammschüttungen und landschaftsgestaltende Massnahmen verwendet.

Stellen Sie sich einen 24-Stunden-Betrieb mit zwei Tunnelbohrmaschinen (TBM) vor, die ständig Unmengen von Aushubmaterial produzieren. Da gibt es einige Herausforderungen zu meistern», sagt Charly Simmen, der bei der Alptransit Gotthard AG für das Deponie- und Wiederverwertungskonzept zuständig ist. Am Anfang standen die Auflagen des Bundes, die eine maximale Wiederverwertung des anfallenden Ausbruchmaterials verlangten.

Die korrekte Trennung (Triage) des Materials muss aus logistischen Gründen bereits im Tunnel geschehen. A-Material wird das Gestein genannt, das sich zur Aufbereitung für die Betonherstellung eignet; B-Material muss entsorgt beziehungsweise anderweitig verwendet werden. Kümmern muss man sich auch um die Schlamm-Rückstände, die nach den Wiederverarbeitungsprozessen anfallen.

Das Hauptkriterium zur Qualitätsbestimmung des Ausbruchmaterials ist die Härte des Gesteins. Dank der rund 100 bis 140 Meter langen Sondierbohrungen vor den TBM-Einsätzen kann man einen Entscheid schon vorgängig fällen. Der Geologe untersucht im Gesteinslabor die petrografischen Gesteinseigenschaften. Handelt es sich um Granit und Gneis wird der Aushub als A-Material behandelt und weiterverarbeitet. Befindet sich jedoch ein bestimmter unterwünschter Anteil von beispielsweise schmierigem Glimmer darin, muss dieser, so weit das überhaupt möglich ist, entfernt werden. Andernfalls hat man es mit B-Material zu tun. In Sedrun steht eine solche Glimmerflotationsanlage, in der der Glimmer sich in einer wässrigen Sauce an der Wasseroberfläche schwimmend absetzt und so herausgefischt werden kann.

«Grob kann man sagen, dass ein Drittel des gesamten Materials für die Betonherstellung verwendet wird und damit in den Berg zurückkehrt», erläutert Charly Simmen das Konzept. «Rund ein Viertel brauchen wir für die Dammschüttung der Bahnlinie bis Altdorf.» Der Rest sind Überschüsse, die – auch dies ist eine Auflage des Bundes – mit einer minimalen Umweltbelastung abtransportiert werden müssen. Das bedeutet: nur Förderbänder, Bahn- oder Schiffstransporte sind erlaubt. «Deshalb findet man an allen Baustellen jeweils auch Bahnhöfe und Werkgleise.»

A-Material

A-Material, also das bereits erwähnte Drittel des Ausbruchs, wird zu hochwertigen Betonzuschlagsstoffen (Betonkies) verarbeitet. «Und zwar stellen wir das gesamte Spektrum her, also von 0/1 bis 16/22 Millimetern beziehungsweise von Sand bis Splitt/Kies», sagt Simmen. Vier Jahre habe man allein für die entsprechenden Forschungen gebraucht. Denn das Gestein aus dem Berg ist alles andere als rund wie der sonst für die Betonherstellung verwendete Kies. «Heute können wir aus diesem Material Kieselsteine machen, früher war das grundsätzlich Abfall beziehungsweise Schüttmaterial. Und somit wird etwas, das vorher einfach nur Gestein war, zum Bodenschatz.»

Gemäss dem Bergregal gehören diese Bodenschätze den Bergkantonen Uri, Graubünden und Tessin. Die Alptransit sollte deshalb, wäre es nach den Kantonen gegangen, eine entsprechende Konzession lösen. Schliesslich einigte man sich auf die Standorte der entsprechenden Kieswerke respektive darauf, dass mit überschüssigem Material kantonsspezifische Projekte realisiert werden konnten: in Uri beispielsweise das Projekt «Seeschüttung Urnersee». Insgesamt gibt es entlang des Gotthard-Basistunnels vier Aufbereitungsstandorte, zwei liegen im Tessin.

In Silos deponiert

Das Ausbruchmaterial aus dem Tunnel gelangt per Förderband in die Triage- und Bahnverladeanlage. Für die Aufbereitung geeignetes Material kommt ins Zwischenlager. Nicht aufbereitbares Material wird über die Silos in Bahnwagen verladen. Die acht Silos von Amsteg (Erstfeld hat zehn) haben ein Volumen von 2500 Kubikmetern, was etwa vier Eisenbahnzügen à 18 Wagen entspricht. Insgesamt wurden so bis zum Jahr 2008 vier Millionen Tonnen per Bahn abtransportiert, das entspricht etwa 4000 Eisenbahnzügen. «Ein Problem ist, dass man die Kapazität dieser Anlagen vor etlichen Jahren berechnet hat. Heute sind die Vortriebsleistungen der TBM viel besser als früher, weshalb das Management der Lagerkapazitäten anspruchsvoller geworden ist.»

Für die Baustelle Amsteg gilt somit, dass von den 4,8 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial sechs Prozent für die neu zu erstellenden Bahndämme verwendet werden; 26 Prozent wurden ins Mittelland transportiert, wo man sie für die Umfahrung Zürich beziehungsweise für die Dämme zwischen den Tunnels brauchte. 36 Prozent waren für die inzwischen abgeschlossene Seeschüttung in Flüelen vorgesehen; 32 Prozent wurden zu Betonkies aufbereitet.

Betonkiesaufbereitung

Das Gestein für die Aufbereitung wird im Sieb nach verschiedenen Korngrössen vorsortiert. Dann kommt das Rohmaterial in einen Vertikalbrecher. Hier wird das feine und mittlere Material durch den rasch drehenden Rotor gegen die Aussenwand geschleudert und dadurch zerkleinert. Im Prallbrecher wird der grobe Anteil des Materials gebrochen. Das Material wird von den rotierenden Schlagleisten erfasst und entweder direkt zerkleinert oder in den Prallraum zurückgeschleudert. Dort donnert es gegen die Prallplatten oder gegen anderes Gestein und wird dadurch zerkleinert. Das «Herzstück» eines Neat-Kieswerks ist die Kornrundungsmaschine. Charly Simmen dazu: «Vor der Alptransit gab es diese Maschine nicht. Zur besseren Verarbeitung des Betons müssen die Gesteinskörner möglichst rund sein. Diese Maschine erledigt in Minuten das, wofür die Natur durch die stetige Reibung des Gesteins in den Flüssen Jahrhunderte braucht.» Als Abfallprodukt entsteht Schlamm, der verkauft oder entsorgt wird.

B -Material

Material, das sich nicht zur Aufbereitung eignet, wird für die Renaturierung von Landschaften und Seen und für Dammschüttungen verwendet. Für die Kantone Uri, Graubünden und Tessin wurden jeweils individuelle Lösungen für die Verwendung des Überschussmaterials gesucht und gefunden. «Der Kanton Uri hatte beispielsweise ein Problem mit der fortschreitenden Erosion im Bereich des nördlichen Urner-Seedeltas und damit eine Gefährdung der Autobahn A2. Man hatte viel Kies abgebaut, es waren tiefe Löcher entstanden, die weiter erodierten. Also hat man für die ‹Regenerierung Urner Reussdelta› rund 2,5 Millionen Tonnen Material für sechs Inseln und grosse Flachwasserzonen geschüttet.» 1,8 Millionen Tonnen stammten aus Amsteg. Bei Sedrun im Kanton Graubünden wird das Val da Claus total aufgeschüttet, im Val Bugnei wird die westliche Talflanke geschüttet. Im Val da Claus wird vorgängig vorhandenes Kiesmaterial abgebaut. Mit Hilfe des Gotthards wird das Tal wieder bodeneben und ist möglicherweise einmal als Bauland begehrt.

Logistische und Lagerprobleme

Im Tessin wurden im Bleniotal bei Buzza di Biasca in den 70er-Jahren Steine für den Autobahnbau gewonnen. Auch hier wird aufgefüllt und es werden Kastanienbäume gepflanzt. «Für den Transport mussten wir extra einen Förderband-Stollen bauen, weil keine Lastwagen dorthin fahren durften», sagt Simmen.

Charly Simmen erklärt, warum Baustellenbesucher stetig auf riesige Steinhaufen treffen. «Das sind die Zwischenlager mit A- und B-Material», erklärt er. «Zurückzuführen sind sie einerseits auf die verschiedenen Betriebs- und Arbeitszeiten: Weil im Berg rund um die Uhr während sieben Tagen gearbeitet wird, ausserhalb der Tunnels aber nur von Montag bis Freitag zwischen 7 und 19 Uhr, muss der Überschuss irgendwo ruhen.» Der Umfang der Zwischenlager hänge andererseits auch von der Qualität des Gesteins ab. «Je nachdem, wo man Vortrieb hat, fällt unterschiedliches Material an. Der Hauptgrund liegt jedoch darin, dass das Betonieren zeitlich nach dem Vortrieb erfolgt. Wir müssen also jahrelang Material lagern.» Damit keine Bagger und Dumper verwendet werden müssen, gibt es unter den Steinhaufen unterirdische Förderbänder, sogenannte Unterflurabzüge, mit denen Material vom Haufen abgezogen und ins Kieswerk transportiert werden kann. Sylvia Senz

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