Coppedé-Viertel: Architektonische Kapriolen in der Ewigen Stadt
Abseits der Touristenpfade von Rom findet sich eine architektonisch kuriose Gegend: das Coppedè-Viertel. Hier tobte sich der Architekt und Möbelbauer Gino Coppedè vor zirka 100 Jahren richtig gehend aus mit dem Bau dutzender Gebäude in einem abenteuerlichen Stilmix aus Elementen von Jugendstil, Art déco, Barock und Mittelalter. Ein kleiner Rundgang zwischen Säulen, Löwenköpfen und Stuckengeln.
Quelle: Di LPLT, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Der Botschafterpalast oder Palazzi degli Ambasciatori ist ein Gebäudekomplex, der mit einem Bogendurchgang verbunden ist und in das Viertel Coppedè führt. Er wurde 1921 erbaut.
Bei Minimalisten und bei Fans geradliniger Architektur mögen
die Gebäude von Gino Coppedè (1866-1927) vielleicht Kopfschütteln auslösen.
Denn in diesem Viertel herrscht nicht die Maxime «weniger ist mehr», sondern
das pure Gegenteil. Die Villen und Botschaftsgebäude aus der Feder von Coppedè
sind alle üppig verziert: mit Löwenköpfen, steinernen Jünglingen, Engeln,
Türmchen, Säulen und und und. Das Viertel liegt zwischen der Piazza Buenos
Aires und der Via Tagliamento und kann gemütlich zu Fuss erkundet werden.
Dieser nördliche Teil Roms ist ein begehrtes, gehobenes Wohnquartier, wo sich
auch verschiedene Botschaften und Privatschulen befinden.
Froschbrunnen und Feenvilla
In der Via Tagliamento markiert ein grosser Gebäudekomplex
den Eingang zum Coppedè-Viertel: der Botschafterpalast (Palazzi Degli
Ambasciatori). Wer hier unterwegs ist, ahnt beim Anblick der Fassaden und beim
Durchschreiten eines prächtigen Bogendurchgangs samt Kronleuchter, was einen in
diesem Stadtteil erwartet: Ornamente, Zementstuck und Travertinskulpturen.
Diese erstrahlen heute im neuen Glanz, seit der Gebäudekomplex seit 2021
sukzessive möglichst originalgetreu renoviert wird. Beim Botschafterpalast wird
auch deutlich, dass der Architekt durchaus nicht nur mit Stilen und
Verzierungen spielte, sondern auch interessante funktionale Überlegungen
anstellte. Der Bogendurchgang bildet oben eine Brücke, die beide Gebäudeteile
geschickt miteinander verbindet. Eine Terrasse schliesst dieses
Verbindungselement ab.
Zwischen 1915 und 1926 baute Gino Coppedè hier insgesamt 18
Palazzi und 27 Gebäude sowie Monumente. Neben dem erwähnten Botschafterpalast
etwa den Froschbrunnen (Fontana delle Rane), den Spinnen-Palast (Palazzina del
Ragno), die Feen-Villa (Villino delle Fate) sowie diverse kleinere Villen.
Stilistisch ist das Werk von Coppedè in diesem Römer Viertel nicht einfach
einzuordnen, eklektisch ist es auf jeden Fall.
Quelle: Andrea Bertozzi, CC BY-SA 4.0
Der Palazzo Ragno oder der Spinnenpalast an Piazza Mincio. Im Vordergrund ist der Froschbrunnen zu sehen. Der Froschbrunnen entstand 1924 und ist mit zwölf Fröschen und floralen Elementen verziert.
Quelle: Livioandronico2013, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0
Die Spinne am Spinnenpalast - Palazzo Ragno; Sie gab dem Gebäude seinen Namen,
Quelle: Gabriella Clare Marino, Unsplash
Detail Froschbrunnen.
Sein Stil ist eine ganz eigene Interpretation des
italienischen Jugendstils, auch Liberty-Stil genannt. Dieser wurde stark
beeinflusst von internationalen Jugendstilbewegungen wie der Wiener Secession
und von Ausstellungen Gustav Klimts und Alfons Muchas. Zu diesem Stil fügte der
Architekt noch ein bisschen Art déco, Barock und römische Architekturelemente
wie die Säulen und Bögen an, und fertig war der Coppedè-Stil.
Feine Gesellschaft und Horrorfilm
Das Interesse an Ästhetik und Handwerk entdeckte Gino
Coppedè in Florenz in der Möbelwerkstatt seines Vaters. Dort erlernte er den
Beruf des Möbelschreiners, den er anschliessend mit einem Architekturstudium
ergänzte. Den ersten grossen Auftrag erhielt der junge Coppedè von Evan
Mackenzie (1852-1935), ein in Italien lebender schottischer Unternehmer und
Mäzen. Der exzentrische, steinreiche Wahlflorentiner beauftragte den frisch
gebackenen Architekten mit dem Umbau einer Villa aus dem 16. Jahrhundert in Genua.
Coppedè richtete mit grosser Kelle an und verwandelte das Gebäude in eine
neugotische Fantasieburg mit Türmchen, Erkern, Bogengängen, Steinmosaiken und
vielem mehr. Das Castello Mackenzie entstand zwischen 1893 und 1905.
1915 bekam Coppedè einen einzigartigen Auftrag aus Rom. Die
ligurische Bau- und Finanzgesellschaft Società Anonima Cooperative Edilizia
Moderne beauftragte ihn mit einem riesigen Projekt: dem Bau von Botschaften und
Residenzen für die feine Römer Gesellschaft auf einem 31000 Quadratmeter
grossen Areal, dem heutigen Coppedè-Viertel. Dabei liess der Auftraggeber dem
Gestalter vollkommen freie Hand, und so konnte er seiner Vorliebe für
extravagante Baukunst und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Ob man diesen
Stil nun mag oder nicht, er inspirierte auf jeden Fall die Filmindustrie.
Gleich mehrere Horrorfilme und Krimis spielten im Coppedè-Viertel, darunter
etwa «Inferno» (1980), «Das Omen» (1976) oder «Das Parfüm der Dame in Schwarz»
(1974). Die Plätze, Monumente und Gebäude von Gino Coppedè bildeten in diesen
Streifen die ideale Kulisse wegen ihrer märchenhaften und zugleich unheimlichen
Anmutung.
Quelle: zvg
Die Stadtvilla in der via Serchio wurde zwischen 1923 und 1927 erbaut.
Quelle: Fotograf unbekannt
Der Florentiner Möbelbauer und Architekt Gino Coppedè um zirka 1900.