Bümpliz-Bethlehem: Architektur der „Betonwüste“
Bümpliz-Bethlehemist nicht nur ein Stadtteil von Bern, sondern auch eine Art Open-Air-Architekturmuseum zur Siedlungsgeschichte der Nachkriegszeit: Die Überbauungen erzählen vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel sowie von verschiedensten Architekturströmungen. Die Gesellschaft für schweizerische Kunstgeschichte hat dazu einen kleinen, spannenden Führer herausgegeben.
Bauten der Nachkriegszeit sind heute nicht selten bereits 70 Jahre alt. Viele von ihnen wirken etwas verwittert, der Verputz ist staubig geworden. Der Anstrich der Jalousieläden blättert ab, Linoleum‐ oder Teppichbodenbeläge sind abgetreten. Der Erneuerungsdruck ist hoch.
Dass die Siedlungen trotzdem noch heute funktionieren und was man von ihnen lernen kann, wollen die Autoren von „Siedlungen der Nachkriegszeit in Bümpliz-Bethlehem“ aufzeigen. Der handliche Band liefert nicht nur Hintergrundinformationen zum Wandel vom Dorf zum Stadtteil und zu den Architekten, die hier gewirkt haben, sondern stellt die einzelne Überbauungen auch vor.
Das Tscharnergut, ein Höhepunkt
Dies gilt etwa für die mit städtischen Fördergeldern zwischen 1941 und 1947 errichteten „Kriegssiedlungen“ Stapfen und Bethlehemacker I: Ihre grossen Selbstversorgergärten zeugen von der Anbauschlacht während des Zweiten Weltkriegs.
Eher für den Aufbruch nach Kriegsende stehen die Mehrfamilienhaussiedlungen Stöckacker und Meienegg mit ihrem gemeinschaftlichen Siedlungsgrün. Und Ende der 50er-Jahre gab es in Neuhaus eine Berner Premiere, wo eine Wohnsiedlung mit unterschiedlichen Haustypen entstand, sie setzt sich aus Hochhäusern, Mietshausblöcken und Reihen-Einfamilienhäusern zusammen. Die einzelnen Bauten sollten den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Bewohner Rechnung tragen.
Einen Höhepunkt der Grossüberbauungen bilden das Tscharnergut - Ende der 50er-Jahre grösstes Wohnprojekt der Schweiz - und ebenso die Überbauungen Schwabgut, Fellergut, Gäbelbach und Bethlehemacker II: Sie bescherten dem Westen der Bundeshauptstadt eine regelrechte Skyline.
Allerdings liess die Kritik nicht lange auf sich warten: Schon bald ortete man in Bümpliz-Betlehem „Vermassung“, „Einheitsbrei“ und „Betonwüsten“. Dies, obwohl mit den neuen Überbauungen der Mangel an Wohnraum noch nicht einmal annähernd behoben worden war. In der Folge reagierten die Verantwortlichen mit neuen architektonischen Konzepten auf die Kritik, mit Kettenhäusern im Kleefeld oder mit fehlenden rechtwinkligen Grundrisse im Holenacker.
Machtkonzentration im Berner Bauwesen
Das Besondere an der Situation in Bern war der kleine Kreis von Personen, die an der Planung und der Realisierung der verschiedenen Siedlungen massgeblich beteiligt waren. Insbesondere die Namen Bracher, Frey, Küenzi, Indermühle und Helfer sind stets präsent. Allen voran aber das an der ETH ausgebildete Architektenehepaar Hans und Gret Reinhard (1917–2002 respektive 1915–2003). Von den Reinhards sind fast alle entscheidenden Impulse für den Bau der im Führer vorgestellten Siedlungen ausgegangen.
Die starke Rolle der Baugenossenschaften und die gute Vernetzung der Architekten mit ihren Auftraggebern begünstigten sich lange Zeit gegenseitig. Und sie förderten eine Machtkonzentration im Berner Bauwesen. Dieser Thematik haben die Autoren im Führer ein eigenes Kapitel gewidmet. (mai/mgt)
Siedlungen der Nachkriegszeit in Bümpliz-Bethlehem
Schweizerischer Kunstführer, Nr. 1025. Bern; Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte
Preis: 16 Franken
Weitere Infos und Bestellung: https://shop.gsk.ch