BIM in der Praxis: Das digitale Krokodil in der Lokstadt
Mit dem Haus «Krokodil» wächst zurzeit in Winterthur das erste Gebäude der zukünftigen Lokstadt in die Höhe. Dabei setzte Implenia von Anfang an auf BIM und musste merken, dass es noch einiges zu lernen gibt.
Quelle: Implenia
Auf dem BIM-Modell sind nicht nur alle Elemente modelliert, sondern auch die ganze Haustechnik eingezeichnet.
Sie tragen Namen wie «Rocket», «Tigerli», «Habersack», «Rapide», «Elefant» oder eben «Krokodil». Damit sollen die Gebäude der neuen Lokstadt in Winterthur an die berühmten Lokomotiven der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) erinnern, auf deren Areal sie allesamt zu stehen kommen. Im Volksmund ist das Gebiet trotzdem eher als Sulzerareal bekannt, auch wenn das so nicht ganz stimmt.
Denn obwohl Sulzer die SLM in den 60er-Jahren übernahm und beide fast zeitgleich Ende des letzten Jahrhunderts ihre Produktion einstellten, ist das eigentliche Sulzerareal bereits weitestgehend einer neuen Nutzung überführt worden. Dies soll dank der Lokstadt nun auch mit dem als «Werk 1» bekannten Areal geschehen. Bei der Entwicklung des neuen Winterthurer Stadtteils gleich hinter dem Bahnhof geht man jedoch Schritt für Schritt.
Diese Schritte sollen jedoch – wie einst die Lokomotiven der SLM – zukunftsweisend sein. Denn die Lokstadt ist nicht nur als 2000-Watt-Areal konzipiert, sondern die Implenia als Totalunternehmer und Entwickler geht auch sonst neue Wege. So setzte man beim Gebäude «Krokodil», das nächstes Jahr fertiggestellt wird und 98,5 Millionen Franken kostet, von Anfang an konsequent auf BIM.
Das heisst, dass bereits beim Architekturwettbewerb, welchen die Architektengemeinschaft Baumberger & Stegmeier und Kilga Popp Architekten gewonnen haben, einfache BIM-Modelle verlangt wurden. Damit aber alle gleich lange Spiesse hatten, bot Implenia den Architekturbüros gezielte Unterstützung an.
«Beim Wettbewerb haben wir klare Vorgaben gemacht, wie das BIM-Modell aufgebaut werden soll. Ziel war es, den Ball so flach wie möglich zu halten. Denn es braucht keine komplizierten Modelle, damit man Flächen und Grundmengen daraus ableiten kann», erklärt Maximilian Vomhof, BIM-Manager bei Implenia.
Dabei habe man aber gemerkt, dass es hilfreich ist, wenn man die Vorgaben nochmals erläutert. Allerdings seien viele Architekturbüros heute mit 3D-Modellen vertrauter als 2016, als man den Wettbewerb ausschrieb. Vor allem aber gebe es heute mehr Planende, die es gewohnt sind, prozessorientiert zu arbeiten. «Und genau das verlangt eine erfolgreiche Umsetzung von BIM», so Vomhof.
Werkplanung mit BIM-Modell
«Heute setzen wir bei allen grösseren Wettbewerben einfache BIM-Modelle ein. Im Wesentlichen geht es darum, dass wir die Flächen und Grundmengen schneller ermitteln und so die Projekte besser vergleichen können. Denn Kosten und Ertrag sollte man schneller ermitteln können, wenn man ein BIM-Modell hat», so Vomhof.
Beim «Krokodil» kam zusätzlich hinzu, dass aufgrund der 2000-Watt-Strategie hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit zu erfüllen sind. Deshalb habe man das erste Mal anhand des BIM-Modells die graue Energie des Gebäudes berechnet. «Wir können nun die Kennwert für die Lebenszyklusanalyse aus den Modellen herausziehen. Denn dafür braucht man vor allem die Grundmaterialien», so Vomhof. Und dieses Grundmaterial ist im Falle des «Krokodils» vor allem Holz. Denn das Gebäude mit seinen 254 Wohnungen auf einer Nutzfläche von über 30000 Quadratmetern besteht ab dem Erdgeschoss weitestgehend aus Nadelholz.
Das hat in Bezug auf BIM natürlich verschiedene Vorteile. Der Holzbau ist nicht nur wegen seines durchgängigen Workflows von der Planung bis zum Endprodukt prädestiniert für die Industrie 4.0. «Wir arbeiten schon länger mit CAD und sind es gewohnt, mit 3D-Modellen zu arbeiten», erklärt Moritz Vollenweider, Bauführer Holzbau bei Implenia. Jedoch haben die Holzbauer im Rahmen der Werkplanung bisher immer eigens ein neues 3D-Modell auf Basis von den 2D-Plänen gezeichnet.
«Beim Krokodil haben wir uns deshalb gefragt, wieso wir immer alles neu machen, wenn wir das 3D-Modell schon haben. Also haben wir versucht, das BIM-Modell mittels Algorithmen in das Werkplanungsmodell zu überführen, mit dem wir dann produzieren können», sagt Vomhof. Dabei habe man aber Lehrgeld bezahlt. Denn es sei nicht so, dass man einfach aufs Modell klicken könne und die Abbundmaschinen in der Holzproduktion von Implenia in Rümlang beginnen zu laufen.
«Wir haben das Modell zwar ziemlich komplex aufgebaut, jedoch wussten wir zu dem Zeitpunkt nicht genau, wie wir den Übertrag in die Werkplanung Holzbau machen», so Vomhof. Das Modell war also sehr ausführlich, umfasste aber trotzdem nicht alle Informationen, die für den Holzbau relevant sind. «Die Idee war, dass wir die Geometrie des 3D-Modells nehmen, dieses mit den 2D-Plänen kombinieren und das ganze Modell nochmals algorithmisch aufzubauen.
So hat im BIM-Modell beispielsweise jede Wand einen Einfügepunkt und eine Ebene, auf der sie sich befindet», so der BIM-Experte. Einfügepunkt und die Ebene wurden also aus dem Architekturmodell genommen, damit war bekannt, wie stark die Wand ist. Und konnten dann die Schichten, die im 2D-Plan sind, automatisch aufbaut werden. «Somit haben wir Detaillierungsgrad erhöht. Aber damit das sauber funktioniert, muss natürlich exakt modelliert, jeder Wandtyp ordentlich dokumentiert sein. Und da hat es gehakt», berichtet Vomhof.
So habe man beim «Krokodil» insgesamt 106 verschiedene Wandtypen. «Hätten wir systematischer geplant, hätte man aus den 106 Wandtypen sicher auch weniger machen können. Aber genau das nehmen wir mit. Wenn wir eine Automatisierung erreichen, wenn wir die Vorteile der Vorfabrikation auch für die Planung nutzen wollen, müssen wir in einem früheren Stadium konkretere Vorgaben machen und die Projektbeteiligten aus der Ausführung früher einbinden. Dafür eignet sich dieses Projekt hervorragend», sagt Vomhof.
2D versus 3D
«Die Sachen, die wir jetzt viel mehr kontrollieren sind die Typisierungen, was für Bauteile vorkommen, und dass im Modell keine Bauteile miteinander kollidieren. Wir kontrollieren also viel mehr, dass alles sauber gebaut ist und dass es keine Duplikate gibt», so Vomhof. Denn in einem 2D-Plan spiele es keine Rolle, ob eine Linie zwei Mal vorkomme.
Im 3D-Modell sei die Decke dann aber gleich doppelt im System und entsprechend würden auch die Mengen doppelt berechnet. «Das ist die Struktur, welche die BIM-Planung verlangt. Und insofern ist die grösste Umstellung, dass man präzise sein muss», so Vomhof. Denn ein 2D-Plan sei immer eine Abstraktion. Im 3D-Modell sieht man aber zu einem frühen Zeitpunkt alles. «Die Abstraktion hilft mit der Komplexität umzugehen. Deshalb ist die Herausforderung beim 3D-Modell, sich in dieser Welt zurechtzufinden und die wichtigsten Punkte zu erkennen.»
Insofern sei der Holzbau auch näher an der BIM-Logik als etwa der Massivbau. «Beim Holzbau hat man einzelne Bauteile, die man auch als Bauteile versteht, irgendwo vorproduziert und auf der Baustelle an die richtige Stelle setzt», so Vomhof. Im 3D-Modell geht es nämlich vor allem um Elemente, «und eine Betonwand kommt nicht als Element auf die Baustelle». Erst wenn man verstanden habe, dass man jetzt mit Elementen denken müsse und nicht mit Linien und Flächen, die man beliebig hin- und herschieben könne, beginne die BIM-Thematik wirklich zu greifen.
«Als Holzbauer sind wir bereits in der Werkplanung abhängig von einer präzisen Geometrie, da wir das Material entsprechend bestellen und in unserer Werkhalle verarbeiten. Ein Maurer beispielsweise denkt da anders. Ob eine Mauer einen Zentimeter dicker oder dünner wird, kann sich erst auf der Baustelle entscheiden. Er platziert einfach gesagt nur die Steine anders», sagt Vollenweider. Und wenn man nun zumindest schon einmal die Geometrie aus dem 3D-Modell übernehmen könne, sei schon viel gewonnen.
BIM auf der Baustelle
Beim Projekt «Krokodil» hat Implenia also bereits gelernt, dass bei einer BIM-Planung konsequent auf die Struktur und Sauberkeit der Modelle geachtet werden muss und dass es gerade im Holzbau von Vorteil ist, wenn früh alle am Bau Beteiligten in die Planung miteinbezogen werden. «Die integrale Planung haben wir uns sowieso schon auf die Fahne geschrieben.
Trotzdem müssen wir sie noch konsequenter verfolgen», meint Vomhof. Dabei müsse das 3D-Modell als Instrument, wo alle Informationen abgespeichert sind, im Zentrum stehen. «Im Moment ist auf dem Markt aber noch eine starke Trennung zwischen jenen, die das Projekt planen, und jenen, die es bauen, festzustellen. Wir versuchen nun, das wieder näher zusammenzubringen», so Vomhof.
Noch ist das aber nicht der Fall. Denn ein weiterer grosser Schritt wird es sein, BIM in die Bauausführung zu bringen. So kommen im Falle des «Krokodil» zwar die fertigen Holzbauelemente schon termingerecht und mit Nummern, die besagen, wo sie eingebaut werden müssen, auf die Baustelle. Wer aber denkt, in der Lokstadt rennen alle Bauarbeiter mit Tablets durch die Gegend, der Polier brauche zum Einmessen direkt die GPS-Punkte des BIM-Modells und eine Drohe fliege drüber und dokumentiere automatisch den Baufortschritt, der liegt falsch.
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Die BIM-Idee funktioniert nur, wenn die Ausführung näher an die Planung kommt.
Maximilian Vomholz, BIM-Manager, Implenia
Maximilian Vomholz, BIM-Manager, Implenia
Denn auch wenn auf BIM-Kongressen gerne dieses Bild gezeichnet wird, so ist dies immer noch Zukunftsmusik. «Es ist noch ein grosser Schritt, bis BIM für die Ausführung relevant wird. Denn für die Ausführung wird BIM erst spannend, wenn es dadurch einfacher, schneller oder günstiger wird», meint Vollenweider. Im Moment gebe es nur schon einen Bruch zwischen der Planung und der Ausschreibung. So ist das BIM-Modell zwar für die Ausschreibung insofern relevant, als dass man die Mengen herausziehen und die Kosten berechnen könne, diese können sich aber nach der Ausschreibung wieder ändern.
«Das heisst, das Modell geht noch bis zur Ausschreibung, aber danach gibt es vor allem die Montagepläne. Die sind abstrahiert und auf die Bedürfnisse der Bauarbeiter zugeschnitten. Wir können das Modell erst sinnvoll in der Ausführung benutzen, wenn dasselbe System in der Ausführung verwendet wird wie in der Planung. Wenn das Modell also weitergeführt und auch in der Ausführung benutzt wird. Im Moment ist das nicht so, es gibt es das BIM-Modell, und das verschwindet dann langsam», meint Vomhof.
Steuerung näher zur Planung
Damit dies aber zukünftig nicht mehr eintrete, müsse sich noch einiges ändern. «Heute können wir einzelne Anwendungsfälle wie das Simulieren der Logistik oder das Einmessen von Bauteilen aus dem BIM-Modell realisieren. Die vollständige Durchgängigkeit ist aber ein systematisches Problem. Schritt eins ist deshalb, die Bedürfnisse der Ausführung in die Planung zu bringen, und Schritt zwei sind Abrechnungssysteme, die uns erlauben, mithilfe des Modells sowohl in der Ausführung als auch in der Planung zu arbeiten. Da sind wir aber dran», erklärt Vomhof.
Denn wenn beispielsweise die Leistungsmeldung über ein intuitives Interface direkt im BIM-Modell möglich werde, dann verringert sich der Arbeitsaufwand für den Polier und dann werde es auf der Baustelle auch genutzt. Im Moment ist im BIM-Modell aber nicht visualisiert, wann beispielsweise eine Wand geliefert und fertig montiert wurde. «Erst wenn die Steuerungs- und die Planungsebene näher zusammenrücken, können wir BIM auf der Baustelle auch wirklich verwenden.»
Klar ist somit auch, dass das Thema «BIM to FM» noch in weiter Ferne liegt, auch wenn das für Büro- und Industriebauten etwas anders aussieht als im Wohnbau. Intensiv genutzt werden die 3D-Modelle dafür schon im Verkauf. Denn wenn man bereits die Farbe der Küche digital wählen kann und direkt die Kostenaufstellung dazu bekommt, ist das natürlich für die Kunden äusserst attraktiv.
Ausserdem führe es zu mehr Verständnis für die Abhängigkeiten, wenn man mehr und mehr zeigen könne, was in einem Gebäude steckt. Doch wohl nicht nur deshalb sind die 56 Eigentumswohnungen des «Krokodil» in Rekordzeit verkauft worden. Dazu kommen noch rund 200 Mietwohnungen, wovon drei Genossenschaften einen Grossteil belegen.
Quelle: Implenia
Die Visualisierung zeigt, wie das «Krokodil» und der Dialogplatz mit Bäumen dereinst aussehen soll.
Prozesse und Systematik
Für den BIM-Manager sind aber andere Dinge wichtiger. «Die Grunderkenntnis ist, dass wir nun nicht mehr sagen, wir machen BIM und alles funktioniert einwandfrei. Denn jetzt kommen wir dahin, wo es wirklich spannend wird. Das ist jetzt nicht mehr eine Hollywood-Übung und man macht es irgendwie, sondern speziell bei diesem Projekt haben wir super intensiv die Modelle entwickelt. Und wir haben gelernt, dass die BIM-Idee nur funktioniert, wenn die Ausführung näher an die Planung kommt.»
Dabei gehe es vor allem um Prozesse und Systematik. «Es geht nicht darum, irgendwelche Modellchen aufzubauen, mit denen irgendjemand irgendetwas macht. Auf dem Level waren wir bis jetzt. Die Spreu trennt sich vom Weizen, wenn man es schafft, systematisch damit umzugehen. Und wie schafft man es, die ganzen Steuerungs- und Abrechnungssysteme mit dem BIM-Modell zu verknüpfen? Dafür muss man eine übergeordnete Systematik etablieren und das ist schwierig. Aber das ist jetzt unsere Aufgabe», so Vomhof.
Gelernt habe man aber bereits vieles, wovon unter anderem das Projekt «KIM» in Neu-Hegi profitiert habe. Denn die Lokstadt als eigene Arealentwicklung von Implenia biete die Möglichkeit, vieles auszuprobieren, was man dann immer weitertreiben könne, auch wenn das einige Arbeitsstunden kostet. Gelernt habe man aber auch, dass Technik nicht alle Probleme löst. Schliesslich gehe es bei BIM nebst der Erhöhung der Planungsqualität vor allem um die Zusammenarbeit und wie man diese optimieren könne.
«Bei einer Zusammenarbeit kommt es oft zu Reibungen, wenn die Beteiligten unterschiedliche Ziele haben. Unser Ziel ist es aber, diese Reibungen rauszunehmen, damit unsere Projektteams als Teams funktionieren. Und da sehen wir definitiv die BIM-Methodik als Medium.» Schliesslich könne man sich immer aufregen und sich fragen, wie man Software A noch besser in Software B exportiert. «Im Endeffekt spielt die technische Abwicklung aber gar nicht so eine grosse Rolle.
Denn es geht darum, wie wir es schaffen, vertrauensvoll miteinander zu arbeiten. Und wenn uns dann die Technologie das Spielfeld gibt, auf dem wir das besser machen können, dann ist das natürlich perfekt», schwärmt BIM-Manager Maximilian Vomhof. Das digitale Krokodil soll in der Vision von Implenia also keine Menschen fressen, sondern sie im Gegenteil näher zusammenführen. Und das ist auch die Idee der zukünftigen Lokstadt im Herzen von Winterthur.