09:56 BAUPRAXIS

Bauen neu denken: Hochschule Luzern forscht am «perfektem Haus»

Geschrieben von: Karin Stei
Teaserbild-Quelle: Hochschule Luzern, HSLU

Wie sieht gutes Wohnen und Arbeiten in Zukunft aus? Dieser Frage gehen die Wissenschaftler des Departements Technik & Architektur der Hochschule Luzern seit kurzem mit dem Projekt «Das perfekte Haus» nach.

Forschungsmodul auf Laborgebäude in Horw

Quelle: Hochschule Luzern, HSLU

Hier wird an der Gebäudetechnik der Zukunft geforscht: das Forschungsmodul auf dem Dach des Laborgebäudes in Horw.

Unter der Leitung von Professor Markus Koschenz ist als ein Element dieses Projektes ein Forschungsmodul auf dem Dach des Laborgebäudes in Horw entstanden. Zwei Forschungsräume und ein Technikraum verbergen sich in dem 8 x 8 Meter grossen und vier Meter hohen Gebäude. Mit ihnen soll unter anderem die Gebäudetechnik von morgen entwickelt werden. Wie menschliche Komfortbedürfnisse und ressourcenschonende Energieversorgung hier zusammengedacht werden, erklärt Professor Markus Koschenz im Gespräch mit dem Baublatt.

Professor Koschenz, Sie leiten das neue Projekt «Das perfekte Haus». Was muss man sich darunter vorstellen?

Markus Koschenz: Heute versucht man, vor allem das Bestehende zu optimieren. Unser Ansatzpunkt im Projekt «Das perfekte Haus» sind jedoch vorausschauende Überlegungen. Wir fragen, wie würden bauliche und technische Elemente aussehen, wenn sie perfekt wären? Wenn wir diese Spezifikation identifiziert haben, gehen wir gedanklich einen Schritt zurück und schauen, was von dieser Spezifikation schon erfüllt ist, welche Lücken es gibt, ob sie heute schon gefüllt werden können, oder erst mit zukünftigen Entwicklungen. Das erzeugt einen ganz anderen Denkprozess. Man hat ein ambitioniertes Ziel vor Augen, das eben nicht nur das Bestehende verbessern will.

Wie sieht Ihre Herangehensweise aus?

Das Projekt ist zweigeteilt. Einerseits fokussieren wir uns auf den Menschen. Manchmal könnte man nämlich denken, gebaut wird nur um des Bauens willen. Am Schluss bauen wir aber für die Menschen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wann fühlt sich ein Mensch in Gebäuden, in verschiedenen Komfortsituationen wohl. Mit unserem Forschungsmodul beleuchten wir diese menschliche Komponente. Ein grosses Zukunftsthema sehe ich zum Beispiel im Umgang mit den steigenden nächtlichen Temperaturen, die vor allem ältere Menschen, die vulnerabler sind, treffen. Das Forschungsmodul zwingt uns, den physischen Menschen im Auge zu behalten - das ist mir ein grosses Anliegen. Wir leben auch in Zukunft in materialisierten Gebäuden, mit technischen Anlagen und nicht in einem virtuellen Raum.

Und der zweite Schwerpunkt?

Wir sind unteranderen mit energetischen Fragen konfrontiert, die es zu lösen gilt. Diese Fragen untersuchen wir in neuen Rechen- und Simulationsverfahren, im Virtuellen. Dabei spielen wir die vielen Möglichkeiten durch, energieeffiziente Gebäude zu bauen. Das Wissen, das wir aus dem Forschungsmodul gewinnen, transferieren wir ins Virtuelle und versuchen das Verhalten des Menschen in die Simulationsmodelle zu integrieren.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in den Simulationen?

In der Suche nach perfekten Lösungen in der Bau- und Gebäudetechnik ist KI ein Schwerpunkt und bringt grosse Vorteile. Wenn man zum Beispiel ein Büro ohne Heizung und Kühlung plant, kann man an vielen Parametern schrauben: grosse oder kleine Fenster, viel oder wenig Verglasung, schwere oder leichte Bauweise, äusserer Sonnenschutz oder baulicher Sonnenschutz usw. Das kann man rechnen, aber in diesem einfachen Fall ergibt das schon über 16’000 Kombinationsmöglichkeiten. KI kann nun helfen, indem es anhand des laufend Dazugelernten nur potentiell gute Konfigurationen – in der Fachsprache Pareto-Lösungen – weiterverfolgt. Dadurch müssen für das Beispiel nur 10 Prozent der Möglichkeiten berechnet werden. Das ermöglicht uns, umfassendere Fragestellungen in der dafür verfügbaren Zeit zu lösen.

Forschungsmodul auf Laborgebäude in Horw

Quelle: Hochschule Luzern, HSLU

Um die Behaglichkeit für die Menschen in Wohn- und Büroräumen zu untersuchen, ist eine möglichst reale Umgebung wichtig. Deshalb wird in Horw mit Tageslicht und Blick auf das Horwer Bergpanorama geforscht.

Nun kann man ja unter einem perfekten Haus sehr vieles und viel Verschiedenes verstehen. Wie vereinen Sie die menschliche und technische Komponente?

Diesen Diskurs führen wir innerhalb der unterschiedlichen Teilprojekte. Die Frage ist, um welche Dimension der Perfektion es geht. Nehmen wir als Beispiel das räumliche Empfinden. Wie muss der Blick aus dem Fenster sein, damit er eine hohe Akzeptanz erfährt? Wenn ich aus der Perspektive der Ingenieurwissenschaften argumentiere, der Raum mit den kleinsten Fenstern wäre aus energetischen und Komfortgründen optimal, kommt der Einwand der Sozialwissenschaft, dass man sich darin nicht wohl fühlt. Der Begriff Perfektheit beinhaltet also auch, dass man zu jeder Fragestellung Experten und Expertinnen sucht, die eine quantitative und qualitative Bewertung abgeben können.

Sie sind also nicht auf eine bestimmte Fachrichtung oder Fragestellung festgelegt?

Das ist der Spielraum in diesem Projekt. Es wird Fragen quantitativer und qualitativer Art geben. Unsere Stärke sehen wir darin, im virtuellen Modell auch qualitative Kriterien miteinzubeziehen. Denn das ist eine Schwäche zwischen den Ingenieurwissenschaften und den Sozialwissenschaften, dass die einen nur mit Zahlen arbeiten und die anderen qualitativ. Das Optimum ist jedoch eine Kombination. Wenn man den Menschen als einfaches Computermodell behandelt, werden wir ein Akzeptanzproblem haben. Deswegen sind die Standbeine in der physischen – das Forschungsmodul – und der virtuellen Welt so wichtig.

Bauen hat viele Aspekte: Welche Materialien werden eingesetzt, wieviel Technik wird gebraucht, wie sieht der Standort und die Funktion aus, welche Vorstellungen hat der Bauherr und Architekt usw. Worauf fokussieren Sie sich?

Als Institut für Gebäudetechnik und Energie liegt unser Schwerpunkt auf der Interaktion zwischen der Gebäudetechnik und dem Gebäude. Es ist immer die Frage, wie viel Technik braucht man und was ist sinnvoll, um einen guten, aber nicht zu übertriebenen Komfort zu erreichen. Wir müssen nicht alles neu erfinden, da wir auf viel Wissen und Forschung aufbauen können. Aber angesichts der vielen Aspekte stellen wir uns schon die Frage, wo wir die Gewichtung setzen, was ist beeinflussbar und was ist auch ein wenig zufällig. Unser Ziel ist, offenzubleiben, aus dem Grund, dass wir heute noch gar nicht wissen, welche Fragen in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Ist das Forschungsmodul der erste Schritt im Projekt?

Das Forschungsmodul ist der erste Schritt der physischen Seite des Projektes. Auf der virtuellen Seite haben wir mit der Entwicklung des oben beschriebenen KI-Verfahrens zur Beschleunigung der Simulationsberechnungen begonnen.

Technikraum Forschungsmodul der HSLU

Quelle: Hochschule Luzern, HSLU

Ein mit Gebäudetechnik vollgepackter Technikraum erlaubt es, verschiedenste Raumkonstruktionen zu untersuchen, ohne dass sie gebaut sind.

Was sind die Besonderheiten des Forschungsmoduls?

Es gibt schon einige Forschungsmodule, aber unseres unterscheidet sich von den anderen zum einen durch die Lage. Normalerweise würde es als so genannte «Klimakammer» im Keller stehen. Wir wollten es draussen platzieren, mit einem reellen Bezug zur Umgebung. Sonnenlicht kann man zum Beispiel nicht gut simulieren und das Empfinden ist vom Ausblick geprägt. Im Sommer einen Schlafversuch bei hohen Aussentemperaturen durchzuführen, fühlt sich im Keller oder auf dem Dach, wegen dem Aussenbezug, anders an. 

Zum anderen können wir mit der integrierten Technik verschiedenste Raumkonstruktionen untersuchen, ohne dass sie gebaut sind. Wenn ich zum Beispiel das Temperaturverhalten messe, basiert dies zum grössten Teil auf der thermischen Trägheit des Raumes selbst. Ein schwerer Raum hat eine andere Interaktion mit dem Aussen- und Innenraum als ein leichter. Wir haben das erste Mal einen Versuchsraum gebaut, der an der Oberfläche die thermische Interaktion des Menschen und der Umwelt auf die Wand misst. Im Anschluss gehen die Daten ins Computermodell, wo wir zum Beispiel den Boden als Betonboden definieren. Der ändert bei Sonneneinfall die Temperatur kaum, weil er sie speichern kann. 

Im anderen Fall definieren wir einen Holzboden, der praktisch nichts absorbieren kann und die Temperatur steigt. Mit diesen Verfahren können wir unterschiedliche Raumtypen untersuchen, ohne jedes Mal das Forschungsmodul neu zu bauen. Ziel ist es, eine möglichst hohe Behaglichkeit zu erreichen, und dabei so wenig Energie und Ressourcen wie möglich zu verbrauchen.

Können daraus Handlungsempfehlungen werden?

Am Schluss können die Ergebnisse in einer Empfehlung für die Praxis, Vorträgen, in einem neuen Forschungsprojekt oder in einer wissenschaftlichen Publikation münden. Unsere Präferenz ist, Lösungen für die wirklichen Herausforderungen zu finden. Da ist auch der Einbezug der Studierenden in die Arbeiten wichtig.

Wer kann die Infrastruktur des Moduls nutzen?

Einerseits wollen wir das Modul für unsere eigenen Forschungsprojekte nutzen, aber auch eine externe Nutzung durch Industriepartner oder andere Forschungseinrichtungen ist sehr erwünscht. Wer zum Beispiel eine Lösung für das Thema Überhitzung untersuchen möchte, kann dies im Forschungsmodul unter reellen Bedingungen tun. Die Forschungsräume sind mit einer umfassenden Gebäudetechnik zum Lüften, Heizen und Kühlen ausgerüstet. Ebenso steht eine mobile Messinfrastruktur zur Verfügung.

Wann sind die ersten Ergebnisse zu erwarten?

Die ersten Resultate sind in einem Jahr zu erwarten, denn messen benötigt meist eine gewisse Zeit. Der Vorteil des Projekts «Das perfekte Haus» ist die Dauer von 10 Jahren und die Freiheit, uns auf die Fragen zu konzentrieren, die in Zukunft wichtig sein werden. Das verdanken wir der grosszügigen Spende von Leo Looser. (Interview: Karin Stei)

Macher hinter HSLU-Forschungsprojekt «Das perfekte Haus»

Quelle: Christian Felber

Die Macher hinter dem Projekt «Das perfekte Haus» von links nach rechts: Viktor Sigrist (Direktor Departement Technik & Architektur), Markus Koschenz (Projektleiter «Das perfekte Haus», Institut für Gebäudetechnik und Energie) und Leo Looser aus Bad Ragaz (Spender).

Vier Millionen Franken für die Forschung

Ermöglicht hat dieses Projekt der Alumni der Hochschule Luzern Leo Looser aus Bad Ragaz. Der 88jährige Ingenieur und Unternehmer aus Leidenschaft absolvierte vor nahezu 60 Jahren am damaligen «Technikum» in Luzern den Studiengang «Heizung – Lüftung – Klima». Nach dem Studium leitete er gemeinsam mit seinen Geschwistern die Familienfirma Elco Looser Holding und später die Looser Holding. Die Familie baute beide Unternehmen kontinuierlich aus und führte sie an die Börse. Dank Leo Loosers Spende von vier Millionen Franken an die Hochschule Luzern Foundation wird nun in Horw über zehn Jahren hinweg am perfekten Haus geforscht. «Mit meiner Spende möchte ich die Entwicklung der Gebäudetechnik vorantreiben, so dass sie ihren wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten kann», sagt Leo Looser. Was ihn dabei besonders motiviert hat: «Dass an der Hochschule Luzern junge Menschen ausgebildet werden, die das ‹perfekte Haus› für ihre Bachelor- und Masterarbeiten nutzen können und ihr Wissen nach dem Abschluss in die Industrie tragen», begründet Leo Looser seinen Einsatz. (pm/st)

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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