Baubotanik: Planen und Bauen mit Bäumen
Wie plant man mit digitalen Werkzeugen, wenn lebende Bäume als Stützen für ein Pavillon „verbaut“ werden sollen? Solchen Fragen geht ein Forschungsteam der TU München nach. Ferdinand Ludwig, Architekt und Professor an der TU, erklärt im Interview worum es dabei geht.
Quelle: cocoparisienn, Pixabay-Lizenz
Im Zuge des Klimawandels gewinnen Bäume nicht nur in grossen Städten wie Paris an Bedeutung.
Mehr Grün in der Stadt sorgt für mehr Abkühlung. Nachdem dieses Thema angesichts steigender Temperaturen zunehmend an Bedeutung gewinnt, stellt sich auch die Frage, welche neuen Möglichkeiten sich bieten könnten, mit Bäumen Bauprojekte zu ergänzen. Damit befasst sich ein Baubotanik-Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM); unter anderem geht es dabei um Bäume als Stützen eines Pavillons oder eines Balkons aber auch darum, wie Bäume zur Klimatisierung von Hausfassaden beitragen.
Ferdinand Ludwig, Professor an der TUM für „Green Technologies in Landscape Architecture“, gibt Einblicke in diese Forschungsarbeit. Er hat vor kurzem zusammen mit Wilfrid Middleton und Qiguan Shu in einem Beitrag im Fachmagazin „Sciencific Reports“ erörtert, wie sich mittels digitaler Werkzeuge der Wachstumsprozess von Pflanzen mit architektonischen Bauplänen verbinden lässt.
Sie arbeiten als Architekt mit lebenden Werkstoffen. Wie
läuft die Zusammenarbeit mit Bäumen als Co-Architekten?
Wir entwerfen und bauen mit lebendigen Bäumen. Weil der Werkstoff mitwächst,
ist das Bauen und auch das Planen bei uns nie abgeschlossen. Wir spielen
Ping-Pong mit dem Baum. Wir machen einen Aufschlag, er schlägt zurück und dann
müssen wir schauen, ob das mit unserem Plan übereinstimmt, und wenn nicht haben
wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir manipulieren das Wachstum, zum Beispiel
durch Schneiden, oder wir ändern unseren Plan.
Wie lässt sich lebendige Architektur überhaupt planen?
Wir erstellen in regelmässigen Abständen 3D-Scans der Baumbestände. Diese
helfen uns, die gewachsenen Strukturen zu verstehen. Doch für einen Bauplan
reicht das noch nicht. Worauf es uns ankommt sind die Knotenpunkte und
Verbindungslinien der gewachsenen Strukturen. Diese können wir durch
computergestützte Abstraktion ermitteln. Mit dem Ergebnis sind statische
Berechnungen und Simulationen des Stofftransports im Baum möglich, die wiederum
darauf schliessen lassen, wie sich das Dickenwachstum der Äste entwickeln
könnte.
Gibt es Beispiele für ein architektonisches Konzept, das auf
diese Weise entstanden ist?
Wir haben den Prozess anhand eines Pavillons, der als Sommerküche genutzt
werden soll, gezeigt. Dazu haben wir erst einmal ein geometrisches Aufmass von
den Bäumen vor Ort erstellt. Die Bäume sollten die Stützen einer
Dachkonstruktion werden, die die Sommerküche vor Wind und Wetter schützt.
Es war klar: Technische Teile sind für das Vorhaben nötig. Diese wollten wir aber möglichst minimal halten. Nachdem die Bäume mit ihren Verästelungen exakt vermessen waren, konnten wir die Geometrie des Daches direkt aus den digitalisierten und abstrahierten 3D-Daten ableiten: Jede Kurve des Daches folgt der Form der Äste, die es tragen. Damit erzielen wir eine optimal an das Wachstum der Bäume angepasste Geometrie. Das Dach haben wir komplett am Computer geplant und vorgefertigt. Die Bäume wurden vor der Installation beschnitten und der Pavillon innerhalb von zwei Tagen errichtet. Spannend war dann der Moment, als der Kran die drei Teile des Dachs langsam abgesenkt hat und sich das Dach mit den Bäumen zusammenfügte.
Nach der Installation leben die Bäume weiter. Wie können Sie
die geschaffene Funktion erhalten?
Auch das ist Teil unseres Konzepts. Dazu sind unsere digitalen Werkzeuge
essenziell, weil wir damit die künftige Entwicklung der Objekte steuern. Das
Wissen um die Wachstumsprozesse spielt dabei ebenfalls eine grosse Rolle.
Ein Beispiel: Äste und Zweige haben ein Längen- und ein Dickenwachstum. Nur der junge, einjährige Trieb wächst in die Länge. Die anderen Zweige und Äste wachsen nur noch in der Dicke, sodass sich die Grundgeometrie im Laufe der Zeit nicht verändert. Aber natürlich ist eine kontinuierliche Pflege notwendig. Wenn ich viel pflege und schneide, bleiben die Bäume dünner. Wenn ich die Bäume zu wild wachsen lasse, wird das Ganze heterogener, die Bäume werden dicker, aber es sterben auch mehr Bäume ab. Es sind also verschiedene Zukunftsszenarien denkbar.
Welchen Plan verfolgen Sie bei Ihrem jüngsten Projekt, der
baubotanischen Sommerküche, die nun ein Dachgestell erhalten hat?
Bei diesem Pavillon sollen die neuen Austriebe wieder in die Struktur
eingeflochten werden und aus dem Dachfirst oben herauswachsen. Es wird also mit
dem zusätzlichen Wachstum auch weiterhin geplant und gearbeitet. Darum kann
auch das Dach jetzt nicht schon komplett eingedeckt werden. Dazu wäre die
lebende Tragstruktur momentan noch zu schwach.
Wenn der Zustand erreicht ist, bei dem wir das Dach vollständig eindecken können – das wird in einigen Jahren der Fall sein – geht es darum, die Funktion des Daches zu erhalten. Das unterscheidet sich fundamental von dem klassischen Bau- und Architekturverständnis. Wir setzen uns zwar auch ein Ziel, das wir erreichen wollen, etwa wie hier ein Pavillondach, aber bei uns gibt es nicht den Punkt, an dem wir als Entwerfer nach Hause gehen können. Vielmehr ist eine gestalterische Weiterentwicklung von vornherein vorgesehen. (mgt/mai)