07:11 BAUPRAXIS

Ausstellung «Blut & Staub»: Reststoffe werden zu neuen Rohstoffen

Geschrieben von: Katrin Ambühl (ka)
Teaserbild-Quelle: Marco Rosasco

Eine Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur handelt von Abfällen, die zu neuen Produkten oder Werkstoffen werden. «Blut & Staub» präsentiert noch bis zum 1. September 2024 ein Sammelsurium von Recherchen, Hochschulprojekten und Herstellungsmethoden, die den Sprung in die Industrieproduktion geschafft haben. Das Baublatt hat sich vier Projekte genauer angeschaut.

Ausstellung Gewerbemuseum Winterthur Übersicht mit Fachwerk

Quelle: Katrin Ambühl

Blick in die Ausstellung «Blut & Staub», die in Themenfelder wie etwa Bauschutt und Industrieabfall gegliedert ist. Die Untergestelle für die Objekte bestehen aus recyceltem Styropor von Swisspor.

Abfall gab es schon immer, die Verwertung von Reststoffen ist ein altes Thema. Kuhdung wird etwa zu Ziegeln oder Brennmaterial, Schafwolle zu Isolationsmaterial oder ein Mix von Rinderknochen und Rinderblut war ein Vorläufer von Kunststoff. Daraus besteht auch das älteste Exponat der Ausstellung «Blut & Staub» im Gewerbemuseum Winterthur: ein Medaillon von zirka 1859. Beim Material handelt es sich um Bois Durci, für das Rinderblut mit Edelholzspänen gepresst wurde. 

Auch aus jüngerer Zeit finden sich «blutrünstige» Ausstellungsobjekte wie etwa ein Raumobjekt aus Tierblut und weitere mehr oder weniger Ekel erregende Produkte. Zum Beispiel eine Vase aus menschlichem Urin, ein Wasserbehälter aus einem Kuhmagen oder das Geschirr Merdacotta: Es wird aus Kuhfladen gefertigt und ist buchstäblich auf dem Mist des Museo della Merda, oder The Shit Museum, gewachsen. 

Das etwas andere Museum in der Lombardei steht inmitten riesiger Rinderfarmen und nutzt die Fäkalien der Nutztiere auf unkonventionelle Weise, fertigt daraus nicht nur das erwähnte Essgeschirr, sondern auch Pflanzentöpfe, Fliesen oder Dünger und betreibt für Werbezwecke den eigenen Medienkanal Shit TV. 

Tongeschirr aus Kuhmist im Museo Della Merda

Quelle: Hans Schürmann

Tongeschirr aus Kuhmist, ein Vorschlag vom Museo della Merda in der Lombardei.

Ob man solch ungewöhnliche Ansätze spannend findet oder lächelnd abtut: Es sind unbestritten Denkanstösse, aber das Abfallproblem mindern sie nicht merklich. Das trifft auf die meisten in der Ausstellung gezeigten Projekte zu. Das Baublatt hat dennoch eine Handvoll Ideen aus dem Bereich Bauen, Architektur und Interior Design gefunden, die weit gediehen sind beziehungsweise bereits bis zur industriellen Produktion gereift sind. 

Sie nutzen Bauschutt und Altglas, (Reststoffe aus der Papier-, respektive der Holzindustrie), Abfälle aus der Agrarwirtschaft sowie Nylonpulver aus der 3D-Produktion. Sie alle betrachten Abfallstoffe als wertvolle Rohstoffe, die sie in neuartige Produkte verwenden. Damit dies gelingt, müssen die Entwickler der sehr unterschiedlichen Produkte einerseits Produktionsprozesse von Grund auf neu denken und andererseits viel Durchhaltevermögen haben.

Ersatz für Kunststoff

Beides hat Beat Karrer bewiesen, der bereits 2008 die Idee für einen kreislauffähigen Kunststoff hatte und diese konsequent weiterentwickelte. Heute bietet seine Zürcher Firma «FluidSolids» die Technologie für die kundenspezifische Herstellung von sogenannten Biokompositen, einem biologisch abbaubaren Werkstoff, also einen Ersatz für Plastik. Als Basismaterial dienen Reststoffe aus der Agrarwirtschaft, zum Beispiel Nuss- oder Apfelschalen oder Rückstände aus der Bier- beziehungsweise Haferproduktion. 

Die Produktpalette umfasst kompostierbares Einwegbesteck, Kleiderbügel oder alles, wofür normalerweise Kunststoff verwendet wird. Die jüngste Entwicklung wurde auf der Messe Light + Building in Frankfurt 2024 präsentiert: Eine Leuchte von Zumtobel mit einer Reflektorteilstruktur aus Biokomposit, die zusammen mit «FluidSolids» entwickelt wurde. «Es ist ein technisches, anspruchsvolles Bauteil», betont Lukas Scherrer vom Designbüro Shibuleru, der seit den Anfängen mit «FluidSolids» zusammenarbeitet und auch das Einwegbesteck gestaltet hatte. 

Als grösste Herausforderung nennt er das Tempo des Projekts. Vom Start bis zur Lieferung der Komponenten dauerte es gerade mal zwei Monate. «Der Auftrag von Zumtobel ist ein weiterer Meilenstein auf unserem Weg, qualitativ hochwertige Produkte von Kunststoff zu befreien und dazu eine begehrenswerte Materialität anzubieten», sagt Lukas Scherrer. Die modulare Pendelleuchte «Izura», die Zumtobel nach ihren sogenannten Circular Design Rules (CDR) – einer Zumtobel-internen Initiative für das Neudenken der nachhaltigen Produktarchitektur – entwickelt hatte, bietet nicht nur viel Gestaltungsfreiheit, sie erfüllt auch alle Kriterien eines kreislauffähigen Produkts.

Fliesen Shards

Quelle: zvg

Die mehrfach ausgezeichneten Fliesen «Shards» bestehen aus Abfällen aus der Ziegel-, Keramik- und Glasindustrie und sind kreislauffähig.

Urban Mining für neue Fliesen

Die Kreislaufwirtschaft war von Anfang an auch das Ziel von Lea Schücking, deren Fliesen «Shards» ebenfalls an der Ausstellung im Gewerbemuseum zu sehen sind. Die Produktdesignerin befasst sich seit Jahren mit dem Thema Fliesen und hat 2012 eine Materialstudie durchgeführt. Dabei hat sie bei den Glasuren bedenkliche Emissionen und beim Tonabbau enorme Umweltschäden ausgemacht. «In Deutschland werden jährlich 14 Millionen Tonnen Ton abgebaut, und im gleichen Zeitraum fällt die vierfache Menge an Bauschutt an. Statt Naturressourcen zu verbrauchen, bietet «Shards» eine innovative Lösung für die Nutzung von Bauschutt und Abfällen der Ziegel-, Keramik- und Glasindustrie», steht im Businessplan des Unternehmens «Shards», das Schücking zusammen mit Daniel Meyer gegründet hatte. 

Nach Lebensende der «Shards»-Fliesen, können diese erneut zu neuen Fliesen verarbeitet werden. «Wir wollen auch kein Downcycling, sondern gleichwertige Qualität erreichen», definiert Lea Schücking ihr Ziel. Je nach Zusammensetzung des Recyclingmaterials unterscheidet sich Farbe und Optik der Fliesen, das heisst, die Produkte können auf Kundenwunsch zugeschnitten werden. Shards wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, der erste war der Bundespreis Ecodesign aus dem Jahre 2018.

Bis heute wurden diverse kleinere und grössere Projekte realisiert. Das aktuellste ist «Moringa Hamburg», das erste Wohnhochhaus Deutschlands, das vollständig nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip konzipiert wurde und derzeit im Bau ist. Die Laborwerkstatt in Kassel, in der jahrelang geforscht wurde, wird nun zu einer Produktion aufgebaut, die 2025 startklar sein soll. «Die grössten Herausforderungen liegen darin, dass mit unserem neuen Produkt, einer zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial bestehenden Fliese, die Produktion völlig neu gedacht und entwickelt werden muss», betont Benedikt Beiers von «Shards».

Objekte HotWireExtensions

Quelle: Marco Rosasco

Als Ausgangsmaterial für die Objekte von «Hot Wire Extensions» dient der Reststoff aus der 3D-Brillenproduktion des Unternehmens Götti.

Designobjekte aus Nylonpulver

Die Produktherstellung mit dem 3D-Druckverfahren ist seit Jahren ein Hype, doch wird oft vergessen, dass beim Entstehungsprozess auch Abfallmaterial anfällt: Nylonpulver. Dieses nahm der Schweizer Materialforscher Fabio Hendry als Basis und entwickelte mit dem bis anhin nicht recycelbarem Reststoff eine innovative Herstellungsmethode, mit der seit 2017 Leuchten, Hocker und andere Objekte entstehen. «Hot Wire Extensions» heisst die Methode und auch die Firma. Dabei wird eine Mischung aus 25 Prozent Nylonpulver und 75 Prozent Sand sowie ein Draht in eine Form gefüllt. Dann wird der Draht mit Strom erhitzt, wodurch das Material in die vordefinierte Form schmilzt. 

Das neuartige Produktionsverfahren zeigte Hendry erstmals 2017 an der Design Biennale Zürich, und seither hat er in der Designbranche Furore gemacht mit seinen Unikaten und Kleinserien. Als Ausgangsmaterial dient der Reststoff aus der 3D-Brillenproduktion des Schweizer Unternehmens Götti, wovon «Hot Wire Extensions» rund eine Tonne pro Jahr verbraucht. Das Ziel von «Hot Wire Extensions» ist nicht die industrielle Produktion im grossen Stil. «Wir werden unsere Produktion von massgefertigten und individuellen Objekten weiterführen, da dies definitiv eine Stärke unseres Herstellungsprozesses ist», sagt Fabio Hendry.

HotWireExtensions Prozess

Quelle: Marco Rosasco

Die Objekte von «Hot Wire Extensions» bestehen aus einer Mischung aus Nylonpulver und Sand, welches mit einem erhitzten Draht in Form schmilzt.

HotWireExtensions Fachwerk

Quelle: Katrin Ambühl

An der Ausstellung zu sehen: Das Objekt Fachwerk von «Hot Wire Extensions», das ursprünglich für einen Architekturwettbewerb entwickelt wurde.

Derzeit entwickelt das Zürcher Unternehmen eine neue Signature-Kollektion mit rund zehn Objekten, die dann in einer Serie von je 100 Stücken in der Werkstatt von «Hot Wire Extensions» produziert wird. An der Ausstellung im Gewerbemuseum war auch ein neueres Produkt, das Fachwerk, zu sehen. «Es wurde ursprünglich als Teil eines Vorschlags für einen Architekturwettbewerb für eine Schule in Mexiko konzipiert, die vollständig aus recycelten Materialien gebaut werde sollte», erläutert Hendry und ergänzt, das Fachwerk hätte zwar einige funktionale Qualitäten, sei aber aktuell eher für die Anwendung von temporären oder kleineren Strukturen wie zum Beispiel Pavillons vorgesehen. 

Und das Anwendungsfeld für das Restmaterial ist gemäss Hendry noch lange nicht ausgeschöpft: «Wir arbeiten derzeit auch an Heizkörpern und Heizelementen, denn unser Material hat eine ausgezeichnete Wärmekapazität. Darüber hinaus arbeiten wir an der Signaletik für ein neues Primarschulhaus in Zürich, wobei die Zahlen an der Fassade des Gebäudes angebracht werden und auch zur Navigation innerhalb des Gebäudes dienen.»

Swisspor Mineralschaum Rümlang

Quelle: zvg

Der Dämmschaum «SwissporEcorit» ist leicht, einfach zu verbauen und besteht aus Bauschutt. Zudem kann er nach dem Rückbau immer wieder zu neuen Dämmplatten verarbeitet werden.

Dämmen mit Bauschutt

Nicht im kleinen, sondern im ganz grossen Stil will das Schweizer Unternehmen Swisspor Reststoffe wiederverwenden, und zwar Bauschutt. Die Menge an Mischabbruch, also ein Mix von Beton und Backstein, ist riesig. Eine Studie des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) kam 2020 zum Schluss, dass in der Schweiz jährlich rund 2,4 Millionen Tonnen Mischabbruch anfallen, wovon etwa 1,7 Millionen Tonnen in Bauschuttaufbereitungsanlagen gehen. Während Betongranulate bereits problemlos recycelt werden können, ist es schwierig, die aufbereiteten Mischabbruchgranulate in den Baustoffmarkt zurückzuführen. Aus eben diesem wurde nun ein Hightech-Verfahren entwickelt, um einen Dämmschaum herzustellen, der leicht sowie feuerfest ist, einfach zu verbauen, und immer wieder rückgebaut und in den Produktionsprozess geführt werden kann. 

Für die Herstellung des neuen kreislauffähigen «SwissporEcorit»-Dämmstoffes schlossen sich 2021 die beiden Schweizer Unternehmen Swisspor und Eberhard AG zusammen und gründeten die Produktionsgesellschaft Swissporit in Dulliken. Bis heute wurden diverse industrielle Versuchsproduktionen gemacht und sechs Projekte mit «SwissporEcorit» realisiert, unter anderem ein Neubau auf dem Schellingareal in Rümlang oder die Sanierung des Google-Hauptsitzes an der Müllerstrasse in Zürich. Ziel ist es laut Swisspor, ab 2027 pro Jahr rund 4000 Tonnen Mischabbruch zu verwerten.

Von Swisspor sind übrigens auch die Tischblöcke für die Ausstellung «Blut & Staub» im Gewerbemuseum. Es sind gepresste Styropor-Blöcke, sogenannte EPS-Bricks, ein Material, das ebenfalls für die Wärmedämmung eingesetzt wird. Die weissen Blöcke passen nicht nur thematisch zur Ausstellung, sondern machen auch optisch eine gute Figur. Auch wenn einige der Exponate auf der Tischplatte darüber vielleicht interessant oder amüsant, aber nicht mehr sind als blosse Denkanstösse.

Geschrieben von

Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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