Ausbau von Seewasserwerk Kesswil: Leitungsverlegung im Bodensee
Das Seewasserkraftwerk Kesswil versorgt seit 1952 die Region
Amriswil mit frischem Wasser. Damit die Versorgung auch in Zukunft
sichergestellt werden kann, wird es ausgebaut und die Kapazität erhöht. Dafür
müssen zwei neue Fassungsleitungen in den See verlegt werden.
Quelle: Eduard Schiebelbein_Staubli, Kurath & Partner AG
Die Anlieferung der 16 Meter langen Teile der Seewasserfassung auf dem Schweissplatz in Güttingen.
Rund 20 Prozent des Schweizer Wasserbedarfs wird aktuell in
Seewasserwerken gewonnen. Auch in Kesswil im Thurgau. Im von der Regio Energie
Amriswil (REA) betriebene Seewasserwerk werden fast 90 Prozent des in Amriswil
benötigten Wassers aufbereitet.
Seit seinem Bau wurde das Seewasserwerk Kesswil bereits zweimal ausgebaut und modernisiert. Zu Spitzenzeiten liegt der Wasserbedarf ab Seewasserwerk bei rund elf Millionen Litern pro Tag. Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Menge bis ins Jahr 2050 verdoppeln könnte. Die Anlage stösst jedoch zusehens an ihre Kapazitätsgrenze.
Um für den steigenden Wasserbedarf
gerüstet zu sein, steht nun die dritte Sanierung mit gleichzeitiger Erweiterung
der Anlage und dem Neubau einer Transportleitung nach Amriswil von rund sechs
Kilometern Länge auf dem Programm. Dabei wird der Leitungsquerschnitt von
bisher 400 Millimetern auf 600 Millimeter vergrössert. Die neue Gussleitung ist
innen wie aussen zementbeschichtet. Mit der neuen Leitung wird der
Trinkwasserbedarf von Amriswil und den angeschlossenen Gemeinden für die
nächsten 70 Jahre gesichert.
Für die neue Technik mit Pumpen und neuer
Wasseraufbereitungsanlage wird das bestehende Gebäude des Seewasserwerks
erweitert. Die neuen Pumpen haben eine Leistung von 1,2 Millionen Liter Wasser
pro Stunde. Zusätzlich wird ein Zwischenspeicher als zweites
Reinwasserreservoir mit einem Volumen von 330'000 Liter Wasser gebaut.
Das Wasser wird momentan aus einer Tiefe von rund 32 Metern
ins Seewasserwerk gepumpt. Nach einer mehrstufigen Aufbereitung kann es direkt
in das Trinkwassernetz eingespeist werden. Die mittlere Tagesproduktion beläuft
sich auf 5,7 Millionen Liter Wasser, das entspricht etwa dem Inhalt von 47500
Badewannen. Im Jahr 2019 wurde ein Maximalwert von 11,1 Millionen Litern pro
Tag erreicht.
Quelle: Claudia Bertoldi
Der Montage- / Schweissplatz liegt auf einem ufernahen Feld in Güttingen.
Zwei neue Fassungsleitungen
Doch nicht allein der steigende Trinkwasserbedarf machen die Sanierungsarbeiten dringend notwendig. Im Bodensee hat sich seit gut fünf Jahren eine invasive Muschel aus dem Schwarzmeergebiet angesiedelt, die nicht nur die Fauna und Flora des Sees bedroht, sondern auch Bauwerke und technische Anlagen schädigt oder funktionsuntüchtig macht. Die Quagga-Muschel setzt sich auch an den Sieben und Rohrwänden der Seewasserleitungen fest. Nach und nach setzt sich das Rohr zu, was letztendlich zu einem verminderten Wasserdurchfluss bis zur Verstopfung führen kann.
Deshalb soll die bestehende Leitung mit zwei neuen
Fassungsleitungen ergänzt werden. Dafür werden Rohre bis in eine Tiefe von 60
Metern in den See verlegt. Die zwei Leitungen sollen durch ihre Redundanz mehr
Sicherheit bei der Wartung und Reinigung garantieren. Denn die Reinigung muss
in Zukunft regelmässig durchgeführt werden. Dafür kann jeweils eine der beiden
Leitungen temporär vom Netz genommen werden. Jede Leitung verfügt über ein
Fassungsvermögen von mehr als 600 Kubikmetern pro Stunde. Die heute bestehende
Trinkwasserfassungsleitung wird weiter betrieben. Mit ihr soll zukünftig
Bewässerungswasser für die Landwirtschaft gefasst und ohne Aufbereitung der
Landwirtschaft zugeführt werden.
Quelle: Claudia Bertoldi
Ein Teilstück der im Erdreich verlegten Rohrleitung der Wasserfassungsleitung. Sie hat einen Durchmesser von 600 Millimetern und kann mehr als 600 Kubikmeter pro Stunde fassen.
Für die zwei neuen Seeleitungen wurden verschiedene
Rohrmaterialien geprüft. Die Bauherrschaft entschied sich für ein Stahlrohr DN
600 mit Innen- und Aussenbeschichtung, einem Aussendurchmesser von 610
Millimetern und 6,3 Millimeter Wandstärke. Die Rohre sind an der Aussenseite
mit Epoxidharzprimer, Haftvermittler und einer Polyethylen (PE)/
Polypropylen-(PP)-Decklage mit speziellem T-Profil und Faserzementummantelung
(FZM) beschichtet. Die FZM-Umhüllung wird nur im Bereich des grabenlosen
Leitungsbau verwendet. Im offen verlegten Leitungsabschnitt erhält das Rohr nur
eine PE-Umhüllung. Innen wird das Rohr mit einem Anstrich aus Epoxidharz
beschichtet.
Der passive Korrosionsschutz wird durch Beschichtung der
Stahlrohroberfläche gewährleistet. Zusätzlich wird die Leitung mit der
Installation einer kathodischen Korrosionsschutzanlage (KKS) aktiv
gegen die Korrosion geschützt. Die KKS-Anlage schützt die Leitung im Fall einer
Beschädigung der Aussen- oder Innenbeschichtung.
Quelle: zvg
Verlauf der zweistrangigen Wasserfassung im Bodensee vor dem Seewasserwerk Kesswil.
Rohrmontage in Güttingen
In der Nähe des Hafens von Güttingen liegt der Rohrschweissplatz für die Rohre der Wasserfassung. Die Stahlrohre wurden mit einer Länge von 16 Metern angeliefert und werden im Anschluss zu Leitungssträngen zusammengeschweisst. An den Schweissstellen müssen die Rohre nachisoliert werden. Die Leitungsstränge der offen auf dem Seegrund verlegten Leitung sind rund jeweils rund 60 Meter lang. Sie werden vor das Ufer am Seewasserwerk Kesswil transportiert und einzeln vom Ponton abgesenkt und auf dem Seegrund verlegt. Anschliessend werden sie am Seeboden von speziell für Arbeiten in mehr als 40 Metern Tiefe ausgebildeten Tauchern miteinander verschraubt.
Für den grabenlosen Leitungsbau, also die Zulieferleitung zum Seewasserwerk, mussten zwei Leitungsstränge von rund 510 Metern Länge zusammengeschweisst werden. Nach dem Einwassern wurden sie mit Pontons zum Verlegeort transportiert. Dort wurden die Leitungen auf den Seegrund vorübergehend abgelegt, um die Vorbereitungsarbeiten für den Leitungseinzug vornehmen zu können. Sobald der Einzug vorbereitet ist, werden die Leitungen wieder angehoben, in Position gebracht und in das jeweilige Bohrloch eingezogen.
Den Transport und die Leitungsbauarbeiten unter Wasser
führen die Spezialisten der Willy Stäubli Ing. AG aus Horgen aus. «Mehrere
Pontons müssen die Rohrleitung sauber in der Schwebe halten. Dies erfordert
absolutes Koordinationsgeschick und eine nahezu ruhige See. Bei Wind und Wellen
kann der Leitungseinzug nicht durchgeführt werden», erklärt Projektleiter
Eduard Schiebelbein von Staubli, Kurath & Partner AG Zürich.
Quelle: Eduard Schiebelbein_Staubli, Kurath & Partner AG
Das Einbringen der über 500 Meter langen, zusammengeschweissten Leitungen der Seewasserfassung erfolgt über einen Schienenstrang.
Grabenloser Leitungsbau
Direkt ans Seewasserwerk Kesswil anschliessend öffnet sich momentan eine Baugrube. Hier erstellen Curdin Pinggera und seine Kollegen vom Spezialunternehmen Schenk AG aus Heldswil die Bohrungen für die grabenlose Verlegung der Rohre. Diese Baumethode wurde gewählt, um die wertvolle Uferzone vor umfangreichen baulichen Massnahmen einer Leitungsverlegung im offenen Graben zu schützen.
Der Baugrund selbst liegt im Moränengebiet und ist stabil.
«Es gibt es nicht viele Firmen für Spülbohrungen, die mit diesen
Herausforderungen wie Geologie, Leitungsgrösse, Länge und Leitungsführung
umgehen können. Schenk ist hierbei ein absoluter Experte, wie es auch die
anderen beteiligten Firmen, die Willy Stäubli Ing. AG und Josef Muff AG, auf
ihren Gebieten sind», meint Eduard Schiebelbein.
In einem ersten Schritt erfolgte jeweils eine bogenförmige
Pilotbohrung mit einem Durchmesser von 300 Millimetern in Richtung See.
Anschliessend wurden diese Bohrungen auf 900 Millimeter aufgeweitet und
gereinigt. Hier werden im Anschluss die zwei 510 Meter langen Leitungsstränge
mit einem Durchmesser von 600 Millimetern eingezogen. Die Bohrungen sind
bereits fertiggestellt, das Aufweiten ist abgeschlossen.
Für die Bohrungen wurde eine bentonitbasierte
Stützflüssigkeit verwendet. Trotz der herausfordernden Geologie konnten die
Bohrarbeiten ausser im strengen Winter ohne grössere Unterbrechungen
durchgeführt werden. In den erstellten Bohrlöchern werden anschliessend vom See
her die Rohrleitungsstränge in Richtung Land eingezogen. Dafür wird ein
besonderer Einzugskopf am Rohrleitungsende montiert.
Nach dem Kuppeln des Stranges am Bohrgestänge mittels des Einzugskopfs und einer Einzugsvorrichtung unter Wasser wird der Strang allmählich und unter Kontrolle der Zugkräfte in die Bohrung eingezogen. Neben den eingespielten Spezialisten-Teams bedarf es aber auch optimaler Witterungsverhältnisse.
So musste zum Beispiel wegen der stürmischer und
windiger Wetterlage zu Jahresbeginn etwa sechs Wochen zugewartet werden, bis
das erste Einzugsmanöver Ende April ausgeführt werden konnte. Inklusive
Vorbereitung sind dafür mehrere Tage nötig. Das Einziehen der Leitung selbst
nimmt gut einen Tag in Anspruch. Der zweite Einzug soll demnächst erfolgen.
Quelle: Claudia Bertoldi
Die Tafel mit Informationen zur Baustelle steht am Seeufer in der Nähe des Schweissplatzes in Güttingen.
Spezielle Reinigungstechnik
Die neuen Fassungsleitungen werden bis auf eine Tiefe von 60
Metern gelegt. Auch in dieser Tiefe hat sich die Quagga-Muschel bereits
angesiedelt. Deshalb musste nach neuen Techniken gesucht werden, um die
Leitungen möglichst lange voll funktionstüchtig zu halten.
Die Seiher werden vorgefertigt angeliefert und ebenfalls vom
Ponton aus am Verlegeort abgesenkt und von Tauchern mit den Leitungen
verschraubt. Sie kommen in einer Wassertiefe von rund 60 Metern zu liegen. Sie
wurden so konzipiert, dass sie sich auch unter Wasser einfach öffnen und
schnell demontieren lassen. Es ist geplant, sie mithilfe von ferngesteuerten
Unterwasserfahrzeugen (Tauchroboter respektive ROV) inspizieren und öffnen zu lassen.
Bei Bedarf kann der Tauchroboter sie zur Reinigung an die Oberfläche befördern.
Der Leitungsbewuchs mit Quagga-Muscheln stellt alle Nutzer des Seewassers vor grosse Herausforderungen im Hinblick auf den Unterhalt und Sicherstellung eines dauerhaften Betriebs. «Eine mechanische Reinigung wird wahrscheinlich die erfolgreichste Massnahme gegen die invasive Quagga-Muschel sein.
Da bisher kaum Kenntnisse über den Befall bestehen, müssen die Wartungs-
und Reinigungsintervalle erst anhand von Kontrollen ermittelt und dann
festgelegt werden», so Eduard Schiebelbein. Um einen Bewuchs mit Muscheln zu
verhindern, müssen alle Leitungen periodisch mechanisch gereinigt werden. Die
Muscheln müssen möglichst im jungen Stadium, in welchem die Haftungskraft noch
nicht so gross ist, entfernt werden.
Dies erfolgt mit Leitungsmolchen, einer Art weicher Pfropfen
mit Bürsten, welche im Pumpenhaus durch eine Molchschleuse in die Leitung
eingeführt und mit hohem Wasserdruck in Richtung See gestossen werden.
Anschliessend werden die Molche im See geborgen. Bei regelmässiger Anwendung
kann so der stetige Bewuchs der Muschel verhindert werden.
Die beiden Seewasserfassungen mit den Gesamtlängen von
jeweils rund 1450 Metern werden im Sommer in Betrieb genommen. Das gesamten
Erweiterungs- und Umbauprojekt soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Grösster Trinkwasserspeicher Europas
Quelle: DreiH_pixelio.de
Der Bodensee in einer Luftaufnahme: Mit 536 Quadratkilometern Fläche und einer mittleren Tiefe von 90 Metern ist er das grösste natürliche Trinkwasserreservoir Europas.
Der Bodensee ist mit rund 50 Milliarden Kubikmetern Wasser
Europas bedeutendster Trinkwasserspeicher. Der See liefert für 5,5 Millionen
Menschen in der Schweiz und Deutschland frisches Trinkwasser. Rund 670 000
Kubikmeter Wasser werden pro Tag für die Wasserversorgung entnommen.
Auf Schweizer Gebiet profitieren Gemeinden der Kantone
Thurgau und St. Gallen von der ausgezeichneten Wasserqualität des Bodensees.
Auch das Trinkwasser der Stadt St. Gallen stammt zu 100 Prozent aus dem
Bodensee.
In Baden-Württemberg, das selbst über geringe
Wasservorkommen verfügt, werden 183 Städte und Gemeinden mit insgesamt rund
vier Millionen Einwohnern versorgt. Auch Städte wie Stuttgart, Pforzheim und
Heilbronn sind am über 1700 Kilometer langen, weitverzweigten Netz
angeschlossen.
Der Bodensee wird zu zwei Dritteln von Zuflüssen aus den
Alpen gespeist, das sind circa 11,5 Milliarden Kubikmeter frisches Wasser pro
Jahr. Der Hauptzufluss des Bodensees ist der Alpenrhein, der das Schmelzwasser
der Alpengletscher mit sich führt. Im Jahresmittel fliessen dem Bodensee
durchschnittlich 360 Kubikmeter Wasser pro Sekunde zu.
Rund 180 Millionen Kubikmeter Wasser werden jährlich durch 17 Trinkwasserwerke am Bodensee entnommen, ein Viertel in der Schweiz, das dreifache Volumen auf deutschem Gebiet. Die mittlere Entnahmemenge aller Wasserwerke beträgt rund 5,5 Kubikmeter pro Sekunde.
Im Vergleich mit dem Zufluss ist die
Entnahmemenge vernachlässigbar, sie beträgt nur ein bis zwei Prozent der
Durchflussmenge durch den See. Wesentlich grösser Wassermengen verliert der See
durch die natürliche Verdunstung. (cb)
Die invasive Gefahr
Quelle: Linda_Haltiner_Eawag
Die invasive Quagga-Muschel aus dem Schwarzmeergebiet bedroht die heimischen Gewässer.
In der Schweiz wurde die Quagga-Muschel (Dreissena
rostriformis bugensis) erstmals 2015 nachgewiesen. Die aus dem Gebiet des
Schwarzen Meers stammende Dreikantmuschel scheint hier ideale Bedingungen
vorgefunden zu haben. Im Bodensee wurde sie erstmals 2016 angetroffen.
Mittlerweile ist sie laut Wasserforschungsinstitut Eawag auch im Genfer-,
Neuenburger- und Bielersee nachgewiesen.
Seitdem breitet sie sich explosionsartig aus. Die Muscheln
bedrohen damit das komplette Ökosystem der einheimischen Gewässer. Die Muscheln
heften sich auf Hartsubstrat wie der Unterseite von Steinen oder an Betonwänden
fest. Da sie sich das ganze Jahr über vermehren, bilden sich innerhalb kurzer
Zeit grosse Muschelbänke. Mit Hilfe ihrer Byssusfäden können sie auch andere
Muscheln und Weichtiere überwachsen. Einheimischen Arten frisst sie das
Plankton weg und bedroht damit den Fischbestand.
Doch nicht allein das Ökosystem ist in Gefahr. Bereits jetzt sind massive Schäden an den Systemen der Trinkwasserversorgung aufgetreten. Anders als einheimische Muscheln ist die Quagga-Muschel auch in tiefen Gewässern zu finden, wo die technischen Anlagen der Trinkwasserentnahme verlegt sind. Dadurch findet sie leicht den Zugang zum Wasserversorgungssystem.
Sie
setzen sich an den Sieben und Rohren fest und verstopfen die
Trinkwasserleitungen. Seit 2016 verursacht die zusätzliche Reinigung der technischen
Anlagen, Mikrosiebe und Rohre hohe Kosten und zusätzlichen Personalaufwand. (cb)
Quelle: Eduard Schiebelbein_Staubli, Kurath & Partner AG
Der Abtransport der verschweissten Stahlleitung zur Einwasserung wird mithilfe von Pontons bewältigt.