Bangladesch: Mit Beton und Ziegel für eine bessere Welt
Bangladesch gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Trotzdem gibt es hier eine sehr dynamische Architekturszene. Davon erzählt eine eindrückliche Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum in Basel.
Bangladesch ist ein Billiglohnland mit unhaltbaren Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Ein Land, das regelmässig von Flutkatastrophen heimgesucht wird und in dem Umweltsünden an der Tagesordnung sind. Derweil breiten sich in den Städten die Slums wegen des enormen Bevölkerungswachstums und der Landflucht rasant aus. Mit rund 165 Millionen Einwohnern und einer Fläche von rund 147 000 Quadratkilometern rangiert Bangladesch auf Platz sieben der am dichtest bevölkerten Staaten der Erde. Und die Hauptstadt Dhaka ist eine der weltweit am schnellsten wachsenden Megacities, rund neun Millionen Menschen leben hier.
Der Blick der ersten Welt auf die Nation zwischen Indien und Myanmar ist recht einseitig. Davon erzählt die aktuelle Ausstellung «Bengal Stream» im Schweizerischen Architekturmuseum Basel. Sie stellt eine beeindruckende Vielfalt an zeitgenössischer bengalischer Architektur vor, die neue Strömungen aufnimmt, diese mit lokalen Traditionen verbindet und Lösungen für aktuelle Probleme zu bieten versucht. Der Grund für die schillernde Architekturszene dürfte darin liegen, dass das Land sowohl stark in der Jahrhunderte alten Kultur des indischen Subkontinents verwurzelt ist, als auch als vergleichsweise junge Nation – Bangladesch wurde erst 1971 unabhängig – noch immer von einer Aufbruchstimmung beflügelt ist. Dies trifft auch auf die Hauptstadt Dhaka zu. Ums Jahr 1000 gegründet war die Metropole bis in die 1950er-Jahre mit zahlreichen Grünflächen, gepflegten Flussufern und einem weitverzweigten Kanalnetz eine Art tropische Gartenstadt. Heute leidet sie unter Umweltverschmutzung und sozialen Problemen.
Vater der neuen Architektur
Obwohl das heutige Dhaka wenig mit der Stadt von einst zu tun hat, birgt die Metropole viele architektonische Schätze aus neuerer Zeit: Dies gilt etwa für das Parlamentsgebäude aus der Feder von Louis I. Kahn. Dass der amerikanische Architekt den symbolträchtigen Bau entworfen hat, liegt an Muzharul Islam (1923 – 2012). Er hatte ihn und andere westliche Architekten wie Stanley Tigerman oder Paul Rudolph für wichtige Bauaufgaben in seine Heimat geholt.
Islam gilt als erster moderner Architekt des heutigen Bangladesch, der das Land massgeblich mitgeprägt hat: Nach einer Ausbildung zum Ingenieur studierte er in Portland an der University of Oregon Architektur und schloss in Yale unter Paul Rudolph ab. Dahka verdankt Islam beispielsweise die Bauten des Instituts der Schönen Künste und der Universitätsbibliothek. Islam interessierte sich jedoch für mehr als die Architektur. So gehen etwa die Masterpläne für die Universitäten von Chittagong und Sabhar auf ihn zurück. Überdies hatte er Entwürfe für die Stadtplanung von Dhaka ausgearbeitet. Letztlich genügten ihm diese Projekte nicht. Weil er sich umfassend und auch auf gesellschaftlicher Ebene für die Region einsetzen wollte, engagierte er sich in der Politik. Deshalb reichte er den Auftrag für die Planung des Regierungsviertels an Louis I. Kahn weiter. «Er hatte erkannt, von welch rasanten Entwicklungen seine Heimat bald erfasst werden würde», heisst es in einem Text in der Ausstellung.
Sichtbeton und Backsteine
Die hässlichen Spuren, die diese Veränderungen etwa in Dahka hinterlassen haben, soll ein grossangelegtes Landschaftsarchitekturprojekt tilgen: Mit «Next Dhaka: Buriganga Riverbank» will man das Gebiet um den Buriganga-Fluss mit Gärten, Pavillons, Spazierwegen, Terrassen und Stufen, die zum Wasser hinunter führen, aufwerten. Zudem sind Stationen für Flussboote und Taxis vorgesehen. Das Bauvorhaben ist eines von insgesamt 60 Projekten, die im Architekturmuseum präsentiert werden.
Auch wenn der Fokus der Schau auf aktuellem Schaffen liegt, sind die Architekten mehr oder weniger alle mit Muzharul Islam verbunden; Sie waren einst seine Studenten, Assistenten oder sind seine Weggefährten. So haben in den letzten Jahrzehnten etwa Shamsul Wares, Nahas Khalil, Saif Ul Haque, Kashef Chowdhury, Eshan Khan oder Marina Tabassum eine eigenständige Architekturszene geschaffen, die Islams Anliegen weiterführt und in ihren mehrheitlich aus Sichtbeton und Ziegelsteinen bestehenden Bauten eine eigenständige Architektursprache gefunden hat.
Soziale, ökologische und raumplanerische Aspekte sind besonders wichtig. Dies zeigt etwa das SOS-Jugenddorf in Dahka (Bild Seite 22): ein von üppigem Grün umgebener Komplex aus ein- und zweigeschossigen Bauten aus Stahlbetonrahmen, die mit Sichtbacksteinen ausgefacht sind. Die gewölbten Dächer sorgen für eine natürliche Belüftung, während die Fenster von stark auskragenden Betonüberhängen vor dem Monsun geschützt werden. Hier können sich rund 180 Schulabbrecher und arbeitslose Jugendliche im Elektro-, Elektronik-, Maschinen- oder Automobilbereich ausbilden. Daneben werden Kurse für angehende Zimmerleute angeboten. Entworfen hat die Schule das Büro C.A.P.E., dessen Architekten die Inspiration für die Anlage in ländlichen, kleinen Siedlungen gefunden haben dürften. Ebenfalls an hergebrachte Bauweisen knüpft die Moschee von Dhakas Gulshan Society an: Die Vorlage zu seiner hellen Betonfassade lieferte ein Jali. Dabei handelt es sich um eine durchbrochene Struktur, die in der indischen Architektur für Fenster oder als Raumteiler genutzt wird. Sein gitterartiges Design ist eine abstrahierte Version eines Satzes aus dem islamischen Glaubensbekenntnis in Kufi-Schrift: «Es gibt keinen Gott ausser Allah.» Für die Architekten von Urbana bot das Projekt zudem eine Herausforderung. Weil das Grundstück, auf dem die Moschee zu stehen kommen sollte, relativ klein war und die Moschee einer grossen Gemeinde Platz bieten sollte, mussten sie das Gotteshaus auf sechs Stockwerke verteilen.
Die Ausstellung macht mit solchen Projekten nicht nur Lust noch mehr über eine spannende Architekturszene zu erfahren, sondern auch über das Land selbst.
Bengal Stream bis 24. Juni im Schweizerischen Architekturmuseum Basel.
Weitere Infos: www.sam-basel.org