09:38 BAUPRAXIS

Alternativen zur Bauwerkserhaltung bei der Sanierung von Stahlbetonbrücken

Geschrieben von: Claudia Bertoldi (cb)
Teaserbild-Quelle: Ivan Markovic

Der Zustand der Schweizer Stahlbetonbrücken ist allgemein gut. Doch bei Kontrollen treten auch mal Schäden am Tragwerk zutage, sodass die Tragsicherheit nur knapp erfüllt wird. Alternative Methoden ermöglichen dann die Beurteilung des wirklichen Tragvermögens.

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Quelle: Ivan Markovic

Kontrollen an der Struktur von Stahlbetonbrücken auf statische Schäden und die Sicherheit der Tragfähigkeit.

Die Schweiz ist aufgrund ihrer topografischen Lage ein Land der Brücken. Sie überspannen Täler, Flüsse oder Verkehrswege. Laut dem Bundesamt für Strassen sind allein im Nationalstrassennetz rund 3000 Brücken eingebaut, im Schweizer Schienennetz sind es mehr als 8200 Brücken.

Vor allem Stahlbetonbrücken wurden und werden gebaut. Diese Bauwerke unterliegen einem natürlichen Alterungsprozess. Zudem werden sie heute oft höheren Anforderungen ausgesetzt als bei ihrer Projektierung geplant war. Ihr Zustand und die Tragfähigkeit werden deshalb regelmässig überprüft. 

Wirkliches Tragvermögen erfassen

Der Erhaltung von Brücken aus Stahlbeton widmete sich ein Seminar der Wissenschaftlich-Technischen Arbeitsgemeinschaft für die Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege Schweiz (WTA) und der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil in der Umweltarena Spreitenbach. 

«Es gibt immer wieder Fälle, wo die Normen zur Tragsicherheit laut den Berechnungen nicht oder nur knapp erfüllt sind und das Tragwerk gleichzeitig diverse Schäden aufweist. In diesen Fällen stellt sich oft die Frage, inwieweit die Tragsicherheit tatsächlich gefährdet ist, und wie die Ermüdung oder die Korrosion der Bewehrung das Tragverhalten beeinflussen», sagt Johannes Maier, Präsidiumsmitglied von WTA International. 

«Die Veranstaltung soll alternative Wege in der Erfassung des wirklichen Tragvermögens von Stahlbetontragwerken zeigen.» Dabei solle auch demonstriert werden, wie die Anwendung neuer Mess- und Berechnungsverfahren dazu beitragen könne, bestehende Stahlbetontragwerke vor dem Rückbau zu retten.

Die alternde Substanz stellt die Fachleute im Bereich des Erhaltungsmanagement in den kommenden Jahrzehnten vor grosse Herausforderungen. Bei der Erhaltung von Stahlbetontragwerken ist zu klären, ob die Bauwerke noch sicher sind und welche Massnahmen getroffen werden müssen. Der Rückbau und Ersatz sollte immer die letzte Alternative sein, da vor allem bei stark frequentierten Strassen oder Bahnlinien mit erheblichen Verkehrsproblemen zu rechnen ist.

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Quelle: Ivan Markovic

Kontrollen an der Unterseite einer Stahlbetonbrücke. Offenliegende Bewehrungsstäbe oder eine rötliche Verfärbung sind Anzeichen der Schädigung des Bauwerks, die Standsicherheit könnte beeinträchtigt sein.

Datenbank im Kanton Zürich

Robuste, unterhaltsarme und langlebige Bauwerke, die über die gesamte Nutzungsdauer möglichst niedrige Lebenszykluskosten verursachen, sind das Ziel aller Baumassnahmen des Tiefbauamts (TBA) des Kantons Zürich. Dem Amt obliegen die Erstellung, die regelmässige Überwachung und der Unterhalt von Kunstbauten, unter anderen von Brücken, Lärmschutzwänden, kleineren Tunnel, Über- und Unterführungen, Stützmauern und Bachdurchlässen.

«Es besteht im Amt keine Trennung von Baumassnahmen und Überwachung. Wir haben aus früheren Fehlern gelernt und überwachen die Bauten selber. Dem Amt obliegen alle Arbeiten, also Bau, Rückbau, Ersatz und Erhaltung», erklärt Sven Flütsch, Sektionsleiter Kunstbauten im TBA Kanton Zürich. Die Hauptaufgabe bestehe in der Überwachung inklusive der Hauptinspektion der Bauten.   

Tausende Objekte bewirtschaftet das TBA, darunter auch zirka 1000 Brücken im Staatsstrassenbereich, viele Stützmauern aber auch Wander- und Radwege. Rund 17,3 Prozent der Objekte sind in gutem Zustand, weitere 70 Prozent in einem annehmbaren Zustand. Bei elf Prozent der Bauten wurden grössere Schäden festgestellt, für 31 dieser Objekte sind bereits Massnahmen geplant, so Flutsch.

Für eine einfachere Bewirtschaftung werden alle technischen Details der bestehenden Objekte in einer Datenbank hinterlegt. Die Projektplanung von Neu- und Ersatzbauten erfolgt bevorzugt in BIM, aber auch alle Daten der Prüfungen, Massnahmenplanung und der ausgeführten Arbeiten werden registriert. 

Ebenso werden die nach unvorhersehbaren Ereignissen wie Unwetter oder einem Anprall durchgeführten Massnahmen in diese Datenbank eingepflegt. «Kleinere Massnahmen sind die grösseren Herausforderungen. Doch wenn die Datenbank gut gepflegt wird, können wir auch herausfinden, wie wir später daraus den grössten Nutzen ziehen können.»

Detailliierte Aufzeichnungen für jedes Bauwerk

«Jedes Objekt ist mit seinen Inspektionen, der Krankengeschichte und ergriffenen Massnahmen vermerkt. Dies ist wichtig, da viele Bauwerke eine Lebensdauer von über 100 Jahren haben. Unsere Mitarbeiter arbeiten vielleicht einige Jahrzehnte im Amt, das Wissen muss darüber hinaus gesichert werden», sagt Sven Flütsch.

Die Bewirtschaftung unterliegt klaren Vorgaben. Zu Schäden wird eine Dokumentation erstellt, die die zeitlichen Veränderungen sichtbar macht. Sie ermöglicht langfristig eine automatisierte Schadenserkennung anhand von Fotos und Filmen. Bei den Inspektionen werden Drohnen und Inspektionsroboter zu Hilfe gezogen, um auch schlecht einsehbare Bauwerksteile detailliert überprüfen zu können. Inzwischen sind Dokumentationen unter anderem von rund 3000 Objekten, 1546 Kilometern Strassen und 2000 Kilometern Kabelanlagen vorhanden.

Die Daten dienen in der Austauschplattform auch für zukünftige Planungen. Sie können während der Nutzungsphase vom Bauherrn bearbeitet und aktualisiert werden. Da in die Arbeiten auch andere Gewerke involviert sind, ist das Datenaufkommen sehr gross. 

«Es sollen aber nur so viele Daten wie nötig gesammelt werden. Wichtig sind Details zum Klimaschutz wie der sinnvolle Einsatz von Recycling- und klimaverträglichen Materialien oder die Reduktion klimaschädlicher Materialien durch eine Optimierung der Tragsysteme», so der Sektionsleiter Kunstbauten.

Um eine Vereinfachung bezüglich der gesamtschweizerisch vorhandenen Richtlinien im Bereich Kunstbauten zu erreichen, hat das Tiefbauamt das Fachhandbuch Kunstbauten entwickelt, das auf den Richtlinien und dem Fachhandbuch K des Astra basiert. Es ist im Internet abrufbar: www.zh.ch/de/planen-bauen/tiefbau/strassenanlagen/kunstbauten.html.

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Quelle: Ivan Markovic

Inspektion und Zustandserfassung der Stahlbetonbrücke des Autobahnzubringers Aarau West.

Schadhafte Strassenbrücke

Die Zustandsbewertung bestehender Strassenbrücken aus Stahlbeton gestaltet sich schwierig, da sie im Normalfall nicht extra für den Verkehr gesperrt werden können, zudem Material- und Strukturprüfungen zeitaufwendig und arbeitsintensiv sind. Studenten des Instituts für Bau und Umwelt der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil hatten im vergangenen Jahr den Auftrag, den Zustand einer zwölf Meter langen Stahlbetonbrücke des Autobahnzubringers Aarau West zu erfassen, Nachrechnungen durchzuführen und ein BIM-basiertes Instandsetzungsprojekt zu erstellen. 

Unterstützt wurden sie von den Projektpartnern, dem Tiefbauamt des Kantons Aargau und der Cadwork Informatik AG, Basel. Das offensichtliche Problem der Brücke: korrodierte Bewehrung des Tragwerks. 

«Die Brücke ist klein, aber dennoch ein wichtiger Bestandteil einer kantonalen Verbindung des Autobahnzubringers Aarau West. Das Projekt war überschaubar, es wurden regelmässig Inspektionen durchgeführt», berichtet Ivan Markovic, Professor an der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil und Team-Leiter «Betonbau, Brückenbau und Lebenszyklus von Infrastrukturbauten». 

Laut der Zustandsbewertung der Inspektionen des Tiefbauamtes aus den Jahren 2012 und 2017 befand sich das Bauwerk in einem schadhaften Zustand (Zustandsklasse 3).

Kleine Brücke als Musterbauwerk

Neben der detaillierten Inspektion und Zustandserfassung sollte die Tragfähigkeit der Brücke unter anderem mit Berücksichtigung der Korrosion der Bewehrung neu berechnet werden. Zugleich stand zur Aufgabe, die Software Lexocad der Firma Cadwork für die Erhaltung von Brücken und anderen Kunstbauten zu erweitern. 

Die Brücke diente als Musterobjekt, um verschiedene Module der Software zu testen: das BIM-Modell der Brücke sowie die Visualisierung der Resultate der visuellen Inspektionen und der detaillierten Zustandserfassungs-Messungen jeweils im BIM-Modell. Für das Instandsetzungsprojekt war der Ersatz der Abdichtung und des Belags auf der Fahrbahnplatte vorgesehen.

Es handelt es sich hierbei um ein typisches Brückenbauwerk aus den 1960er-Jahren mit monolithischem Rahmenbauwerk. Zwischen den Platten liegen Cofratol-Rohre. In die Sandwichkonstruktion ist eine Bügelbewehrung eingelegt.

Detaillierte Untersuchungen

Das Brückenbauwerk wurde von den Studenten aufs Genaueste überprüft. Die Vermessung erfolgte mit Drohne und 3D-Laser-Scan. Im Bereich der Fahrbahn wurden Georadarmessungen mit einem am Fahrzeug montierten Gerät vorgenommen. Das Trottoir und der Mittelstreifen wurden mit einem Georadar-Kleingerät vermessen. Mit einer Wärmebildkamera wurde zudem die Belagsstärke ermittelt.

Für die Potenzialfeldmessungen wurden jeweils drei rund einen Quadratmeter grosse Fenster inklusive Sondierungsöffnungen in den Belag geschnitten. An den drei Belagsöffnungen wurden auch Ferroscanmessungen vorgenommen. An den Konsolenköpfen wurden Bohrkerne entnommen, und anschliessend wurde der Chloridgehalt analysiert. Weitere sechs Bohrkerne mit einem Durchmesser von 50 Millimetern wurden in den Belagsfenstern gesetzt.

An der Unterseite der Brücke war die korrodierte Bewehrung schon bei der Sichtüberprüfung zu erkennen. Auch hier wurden Vermessungen mit 3D-Laserscan, Georadarmessungen an Brückenwiderlagern sowie Potenzialfeldmessungen an Brückenwiderlagern und -untersicht ausgeführt. 

Die Ferroscanmessungen an Brückenwiderlagern und Brückenuntersicht zur Überdeckung der Bewehrungseisen erbrachten teilweise negative Ergebnisse. An den Brückenwiderlagern wurde eine Druckfestigkeitsprüfung mit Prellhammer vorgenommen. Hier und an der Untersicht entnahm man zudem Bohrkerne zur Chlorid-Analyse und Druckfestigkeitsprüfung.

Ergebnisse der Überprüfungen

Die Zustandserfassung ergab, dass vor allem im Bereich der Brückenuntersicht eine fortgeschrittene Korrosion der Bewehrung infolge zu kleiner Bewehrungsüberdeckung und / oder Kiesnestern vorhanden ist. Gemäss SIA MB 2006 beträgt der Korrosionsgrad 2 bis 3. Es handelt sich dabei primär um eine karbonatisierungsinduzierte Korrosion. Vor allem an den Stellen mit Betonabplatzungen sind diese Bewehrungskorrosionen anzutreffen. Korrodierte Bewehrung tritt zudem an Stellen mit Chlorideinträgen infolge von Sprüh-Nebel auf. Auch an den Widerlagern besteht in den Bereichen auf Fahrbahnhöhe (Spritzwasser) ein erhöhter Chlorideintrag. Die an den Bohrkernen gemessene Betondruckfestigkeit beträgt 90 bis 100 Newton pro Quadratmillimeter.

Alle in den Bestandsplänen angegebenen Masse sowie die Lage und Geometrie der Cofratol-Rohre wurden durch die Kontrollen bestätigt und somit für die Nachrechnungen übernommen. Die grafische Darstellung der Messresultate und die Überlagerung der einzelnen Ergebnisse ermöglichten eine Übersicht der kritischen Bereiche mit hoher oder erhöhter Korrosionswahrscheinlichkeit und zeigten, wo zu wenig Überdeckung vorliegt. «Es ist und bleibt eine Stichprobe, man kann nicht alles überprüfen, muss aber versuchen, das Maximum herauszuholen», so Ivan Markovic.

Mithilfe der BIM-Software Lexocad der Firma Cadwork wurde das BIM-Model der Strassenbrücke «N1-220a» erstellt und mit dem Modell der gemessenen Belagsstärke ergänzt. Das BIM-Modell mit den Resultaten des Ferroscans der Innenseiten der Brücke lokalisierte die kritischen Bereiche. Das 3D-BIM-Modell mit Resultaten der Potenzialfeld-Messungen ermöglichte die lokale Eingrenzung des Korrosionsrisikos der Stahlbewehrung im Beton. 

Auch eine detaillierte Rissdarstellung ist möglich. Auch die Chlorid-Messungen der Bohrkerne können in das 3D-BIM-Modell aufgenommen werden. Der Chlorid-Gehalt ist ein wichtiger Parameter für Dauerhaftigkeits-Berechnungen und grafische Attribuierung.  

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Quelle: Ivan Markovic

Die Belagsoberfläche der Fahrbahnplatte wird aufgestemmt, um die darunterliegende Bewehrung und damit ihren Zustand sichtbar zu machen.

Die Brücke ist sicher

«Zum Thema des Einflusses der Bewehrungskorrosion auf das Tragverhalten wird seit Jahrzehnten geforscht. Es ist sehr komplex, deshalb liegen keine zuverlässigen Ergebnisse vor», erklärt Ivan Markovic. Nach der Zustandserfassung und einem ausführlichen Literaturstudium seien die bestmöglichen Annahmen getroffen worden. 

Die statischen Berechnungen ergaben, dass die Tragsicherheit voll gewährleistet sei. Untere, obere sowie die Rahmenplatte seien trotz fortgeschrittener Korrosion noch sehr sicher. Es worden deshalb als Instandsetzungsmassnahmen nur die Erneuerung der Abdichtung und des Belag auf der Brücke vorgeschlagen.

Das BIM-basierte Instandsetzungsprojekt der Brücke zeigte in vereinfachter Darstellung die einzelnen Schritte der vorgeschlagenen Erhaltungsmassnahmen: Installation der Baustelle, Abfräsen der bestehenden Asphalt- Schichten, Einbau der PBD-Abdichtung und Einbau des Walz-Asphalts. BIM-basiert wird auch die Mengen- und Kostenermittlung der Baumassnahmen erstellt.

BIM-basierte Projektierung vorteilhaft

«Unser Ziel war es, aufzuzeigen, wie eine BIM-basierte Projektierung erfolgen kann und welche Vor- und Nachteile dabei bestehen», so Markovic. Berechnungen «von Hand» seien in vereinfachter Form für einfache Tragwerke möglich, doch nicht immer sicher. Die Anwendung der nicht-linearen Finite-Elemente-Methode (FEM) habe deshalb grosses Potenzial, um eine realitätsnahe Modellierung von Korrosionsschäden und die Abbildung der Tragreserven zu erreichen. 

Bestehen hingegen Unsicherheiten bezüglich unzugänglicher Bewehrung, dem Korrosionsgrad oder dem Modifizieren von Stoffgesetzen infolge der Korrosion, empfiehlt der Fachmann konservative Berechnungen mit der Annahme verschiedener Szenarien für den Korrosionsgrad.

Die BIM-basierte Zustandserfassung und Instandsetzung von bestehenden Brückenbauten bieten viele Vorteile. Eine realistische Modellierung des Ist-Zustands sowie die Darstellung der geplanten Entwicklung dienen als Entscheidungshilfe für die Optimierung und die Priorisierung der anstehenden Sanierungsmassnahmen, eine Verstärkung oder gegebenenfalls für einen Ersatzneubau.

«Wichtig ist allerdings, nur mit einem zentralen Modell zu arbeiten, das alle Angaben beinhaltet. Die verwendete BIM-Software hat sich beim vorliegenden Erhaltungsprojekt als sehr zuverlässig und benutzerfreundlich erwiesen», sagt Ivan Markovic.

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