Alternativen zur Bauwerkserhaltung bei der Sanierung von Stahlbetonbrücken
Der Zustand der Schweizer Stahlbetonbrücken ist allgemein gut. Doch bei Kontrollen treten auch mal Schäden am Tragwerk zutage, sodass die Tragsicherheit nur knapp erfüllt wird. Alternative Methoden ermöglichen dann die Beurteilung des wirklichen Tragvermögens.
Quelle: Ivan Markovic
Kontrollen an der Struktur von Stahlbetonbrücken auf statische Schäden und die Sicherheit der Tragfähigkeit.
Die Schweiz ist aufgrund ihrer topografischen Lage ein Land der Brücken. Sie überspannen Täler, Flüsse oder Verkehrswege. Laut dem Bundesamt für Strassen sind allein im Nationalstrassennetz rund 3000 Brücken eingebaut, im Schweizer Schienennetz sind es mehr als 8200 Brücken.
Vor allem Stahlbetonbrücken wurden und werden gebaut. Diese Bauwerke unterliegen einem natürlichen Alterungsprozess. Zudem werden sie heute oft höheren Anforderungen ausgesetzt als bei ihrer Projektierung geplant war. Ihr Zustand und die Tragfähigkeit werden deshalb regelmässig überprüft.
Wirkliches Tragvermögen erfassen
Der Erhaltung von Brücken aus Stahlbeton widmete sich ein Seminar der Wissenschaftlich-Technischen Arbeitsgemeinschaft für die Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege Schweiz (WTA) und der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil in der Umweltarena Spreitenbach.
«Es gibt immer wieder Fälle, wo die Normen zur Tragsicherheit laut den Berechnungen nicht oder nur knapp erfüllt sind und das Tragwerk gleichzeitig diverse Schäden aufweist. In diesen Fällen stellt sich oft die Frage, inwieweit die Tragsicherheit tatsächlich gefährdet ist, und wie die Ermüdung oder die Korrosion der Bewehrung das Tragverhalten beeinflussen», sagt Johannes Maier, Präsidiumsmitglied von WTA International.
«Die Veranstaltung soll alternative
Wege in der Erfassung des wirklichen Tragvermögens von Stahlbetontragwerken
zeigen.» Dabei solle auch demonstriert werden, wie die Anwendung neuer Mess-
und Berechnungsverfahren dazu beitragen könne, bestehende Stahlbetontragwerke
vor dem Rückbau zu retten.
Die alternde Substanz stellt die Fachleute im Bereich des
Erhaltungsmanagement in den kommenden Jahrzehnten vor grosse Herausforderungen.
Bei der Erhaltung von Stahlbetontragwerken ist zu klären, ob die Bauwerke noch
sicher sind und welche Massnahmen getroffen werden müssen. Der Rückbau und
Ersatz sollte immer die letzte Alternative sein, da vor allem bei stark
frequentierten Strassen oder Bahnlinien mit erheblichen Verkehrsproblemen zu
rechnen ist.
Quelle: Ivan Markovic
Kontrollen an der Unterseite einer Stahlbetonbrücke. Offenliegende Bewehrungsstäbe oder eine rötliche Verfärbung sind Anzeichen der Schädigung des Bauwerks, die Standsicherheit könnte beeinträchtigt sein.
Datenbank im Kanton Zürich
Robuste, unterhaltsarme und langlebige Bauwerke, die über
die gesamte Nutzungsdauer möglichst niedrige Lebenszykluskosten verursachen,
sind das Ziel aller Baumassnahmen des Tiefbauamts (TBA) des Kantons Zürich. Dem
Amt obliegen die Erstellung, die regelmässige Überwachung und der Unterhalt von
Kunstbauten, unter anderen von Brücken, Lärmschutzwänden, kleineren Tunnel,
Über- und Unterführungen, Stützmauern und Bachdurchlässen.
«Es besteht im Amt keine Trennung von Baumassnahmen und
Überwachung. Wir haben aus früheren Fehlern gelernt und überwachen die Bauten
selber. Dem Amt obliegen alle Arbeiten, also Bau, Rückbau, Ersatz und
Erhaltung», erklärt Sven Flütsch, Sektionsleiter Kunstbauten im TBA Kanton
Zürich. Die Hauptaufgabe bestehe in der Überwachung inklusive der
Hauptinspektion der Bauten.
Tausende Objekte bewirtschaftet das TBA, darunter auch zirka
1000 Brücken im Staatsstrassenbereich, viele Stützmauern aber auch Wander- und
Radwege. Rund 17,3 Prozent der Objekte sind in gutem Zustand, weitere 70
Prozent in einem annehmbaren Zustand. Bei elf Prozent der Bauten wurden
grössere Schäden festgestellt, für 31 dieser Objekte sind bereits Massnahmen
geplant, so Flutsch.
Für eine einfachere Bewirtschaftung werden alle technischen Details der bestehenden Objekte in einer Datenbank hinterlegt. Die Projektplanung von Neu- und Ersatzbauten erfolgt bevorzugt in BIM, aber auch alle Daten der Prüfungen, Massnahmenplanung und der ausgeführten Arbeiten werden registriert.
Ebenso werden die nach unvorhersehbaren Ereignissen wie
Unwetter oder einem Anprall durchgeführten Massnahmen in diese Datenbank
eingepflegt. «Kleinere Massnahmen sind die grösseren Herausforderungen. Doch
wenn die Datenbank gut gepflegt wird, können wir auch herausfinden, wie wir
später daraus den grössten Nutzen ziehen können.»
Detailliierte Aufzeichnungen für jedes Bauwerk
«Jedes Objekt ist mit seinen Inspektionen, der
Krankengeschichte und ergriffenen Massnahmen vermerkt. Dies ist wichtig, da
viele Bauwerke eine Lebensdauer von über 100 Jahren haben. Unsere Mitarbeiter
arbeiten vielleicht einige Jahrzehnte im Amt, das Wissen muss darüber hinaus
gesichert werden», sagt Sven Flütsch.
Die Bewirtschaftung unterliegt klaren Vorgaben. Zu Schäden
wird eine Dokumentation erstellt, die die zeitlichen Veränderungen sichtbar
macht. Sie ermöglicht langfristig eine automatisierte Schadenserkennung anhand
von Fotos und Filmen. Bei den Inspektionen werden Drohnen und
Inspektionsroboter zu Hilfe gezogen, um auch schlecht einsehbare Bauwerksteile
detailliert überprüfen zu können. Inzwischen sind Dokumentationen unter anderem
von rund 3000 Objekten, 1546 Kilometern Strassen und 2000 Kilometern
Kabelanlagen vorhanden.
Die Daten dienen in der Austauschplattform auch für zukünftige Planungen. Sie können während der Nutzungsphase vom Bauherrn bearbeitet und aktualisiert werden. Da in die Arbeiten auch andere Gewerke involviert sind, ist das Datenaufkommen sehr gross.
«Es sollen aber nur so
viele Daten wie nötig gesammelt werden. Wichtig sind Details zum Klimaschutz
wie der sinnvolle Einsatz von Recycling- und klimaverträglichen Materialien
oder die Reduktion klimaschädlicher Materialien durch eine Optimierung der Tragsysteme»,
so der Sektionsleiter Kunstbauten.
Um eine Vereinfachung bezüglich der gesamtschweizerisch
vorhandenen Richtlinien im Bereich Kunstbauten zu erreichen, hat das
Tiefbauamt das Fachhandbuch Kunstbauten entwickelt, das auf den Richtlinien und
dem Fachhandbuch K des Astra basiert. Es ist im Internet abrufbar:
www.zh.ch/de/planen-bauen/tiefbau/strassenanlagen/kunstbauten.html.
Quelle: Ivan Markovic
Inspektion und Zustandserfassung der Stahlbetonbrücke des Autobahnzubringers Aarau West.
Schadhafte Strassenbrücke
Die Zustandsbewertung bestehender Strassenbrücken aus Stahlbeton gestaltet sich schwierig, da sie im Normalfall nicht extra für den Verkehr gesperrt werden können, zudem Material- und Strukturprüfungen zeitaufwendig und arbeitsintensiv sind. Studenten des Instituts für Bau und Umwelt der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil hatten im vergangenen Jahr den Auftrag, den Zustand einer zwölf Meter langen Stahlbetonbrücke des Autobahnzubringers Aarau West zu erfassen, Nachrechnungen durchzuführen und ein BIM-basiertes Instandsetzungsprojekt zu erstellen.
Unterstützt wurden sie von den Projektpartnern, dem Tiefbauamt des Kantons Aargau und der Cadwork Informatik AG, Basel. Das offensichtliche Problem der Brücke: korrodierte Bewehrung des Tragwerks.
«Die Brücke ist klein, aber dennoch ein wichtiger Bestandteil einer kantonalen Verbindung des Autobahnzubringers Aarau West. Das Projekt war überschaubar, es wurden regelmässig Inspektionen durchgeführt», berichtet Ivan Markovic, Professor an der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil und Team-Leiter «Betonbau, Brückenbau und Lebenszyklus von Infrastrukturbauten».
Laut der Zustandsbewertung der Inspektionen des Tiefbauamtes aus den Jahren 2012 und 2017 befand sich das Bauwerk in einem schadhaften Zustand (Zustandsklasse 3).
Kleine Brücke als Musterbauwerk
Neben der detaillierten Inspektion und Zustandserfassung sollte die Tragfähigkeit der Brücke unter anderem mit Berücksichtigung der Korrosion der Bewehrung neu berechnet werden. Zugleich stand zur Aufgabe, die Software Lexocad der Firma Cadwork für die Erhaltung von Brücken und anderen Kunstbauten zu erweitern.
Die Brücke diente als Musterobjekt, um verschiedene
Module der Software zu testen: das BIM-Modell der Brücke sowie die
Visualisierung der Resultate der visuellen Inspektionen und der detaillierten
Zustandserfassungs-Messungen jeweils im BIM-Modell. Für das
Instandsetzungsprojekt war der Ersatz der Abdichtung und des Belags auf der
Fahrbahnplatte vorgesehen.
Es handelt es sich hierbei um ein typisches Brückenbauwerk
aus den 1960er-Jahren mit monolithischem Rahmenbauwerk. Zwischen den Platten
liegen Cofratol-Rohre. In die Sandwichkonstruktion ist eine Bügelbewehrung
eingelegt.
Detaillierte Untersuchungen
Das Brückenbauwerk wurde von den Studenten aufs Genaueste
überprüft. Die Vermessung erfolgte mit Drohne und 3D-Laser-Scan. Im Bereich der
Fahrbahn wurden Georadarmessungen mit einem am Fahrzeug montierten Gerät
vorgenommen. Das Trottoir und der Mittelstreifen wurden mit einem
Georadar-Kleingerät vermessen. Mit einer Wärmebildkamera wurde zudem die
Belagsstärke ermittelt.
Für die Potenzialfeldmessungen wurden jeweils drei rund
einen Quadratmeter grosse Fenster inklusive Sondierungsöffnungen in den Belag
geschnitten. An den drei Belagsöffnungen wurden auch Ferroscanmessungen
vorgenommen. An den Konsolenköpfen wurden Bohrkerne entnommen, und
anschliessend wurde der Chloridgehalt analysiert. Weitere sechs Bohrkerne mit
einem Durchmesser von 50 Millimetern wurden in den Belagsfenstern gesetzt.
An der Unterseite der Brücke war die korrodierte Bewehrung schon bei der Sichtüberprüfung zu erkennen. Auch hier wurden Vermessungen mit 3D-Laserscan, Georadarmessungen an Brückenwiderlagern sowie Potenzialfeldmessungen an Brückenwiderlagern und -untersicht ausgeführt.
Die
Ferroscanmessungen an Brückenwiderlagern und Brückenuntersicht zur Überdeckung
der Bewehrungseisen erbrachten teilweise negative Ergebnisse. An den
Brückenwiderlagern wurde eine Druckfestigkeitsprüfung mit Prellhammer
vorgenommen. Hier und an der Untersicht entnahm man zudem Bohrkerne zur
Chlorid-Analyse und Druckfestigkeitsprüfung.
Ergebnisse der Überprüfungen
Die Zustandserfassung ergab, dass vor allem im Bereich der
Brückenuntersicht eine fortgeschrittene Korrosion der Bewehrung infolge zu
kleiner Bewehrungsüberdeckung und / oder Kiesnestern vorhanden ist. Gemäss SIA
MB 2006 beträgt der Korrosionsgrad 2 bis 3. Es handelt sich dabei primär um
eine karbonatisierungsinduzierte Korrosion. Vor allem an den Stellen mit
Betonabplatzungen sind diese Bewehrungskorrosionen anzutreffen. Korrodierte
Bewehrung tritt zudem an Stellen mit Chlorideinträgen infolge von Sprüh-Nebel
auf. Auch an den Widerlagern besteht in den Bereichen auf Fahrbahnhöhe
(Spritzwasser) ein erhöhter Chlorideintrag. Die an den Bohrkernen gemessene
Betondruckfestigkeit beträgt 90 bis 100 Newton pro Quadratmillimeter.
Alle in den Bestandsplänen angegebenen Masse sowie die Lage
und Geometrie der Cofratol-Rohre wurden durch die Kontrollen bestätigt und
somit für die Nachrechnungen übernommen. Die grafische Darstellung der
Messresultate und die Überlagerung der einzelnen Ergebnisse ermöglichten eine
Übersicht der kritischen Bereiche mit hoher oder erhöhter Korrosionswahrscheinlichkeit
und zeigten, wo zu wenig Überdeckung vorliegt. «Es ist und bleibt eine
Stichprobe, man kann nicht alles überprüfen, muss aber versuchen, das Maximum
herauszuholen», so Ivan Markovic.
Mithilfe der BIM-Software Lexocad der Firma Cadwork wurde das BIM-Model der Strassenbrücke «N1-220a» erstellt und mit dem Modell der gemessenen Belagsstärke ergänzt. Das BIM-Modell mit den Resultaten des Ferroscans der Innenseiten der Brücke lokalisierte die kritischen Bereiche. Das 3D-BIM-Modell mit Resultaten der Potenzialfeld-Messungen ermöglichte die lokale Eingrenzung des Korrosionsrisikos der Stahlbewehrung im Beton.
Auch eine
detaillierte Rissdarstellung ist möglich. Auch die Chlorid-Messungen der
Bohrkerne können in das 3D-BIM-Modell aufgenommen werden. Der Chlorid-Gehalt
ist ein wichtiger Parameter für Dauerhaftigkeits-Berechnungen und grafische
Attribuierung.
Quelle: Ivan Markovic
Die Belagsoberfläche der Fahrbahnplatte wird aufgestemmt, um die darunterliegende Bewehrung und damit ihren Zustand sichtbar zu machen.
Die Brücke ist sicher
«Zum Thema des Einflusses der Bewehrungskorrosion auf das Tragverhalten wird seit Jahrzehnten geforscht. Es ist sehr komplex, deshalb liegen keine zuverlässigen Ergebnisse vor», erklärt Ivan Markovic. Nach der Zustandserfassung und einem ausführlichen Literaturstudium seien die bestmöglichen Annahmen getroffen worden.
Die statischen Berechnungen ergaben,
dass die Tragsicherheit voll gewährleistet sei. Untere, obere sowie die
Rahmenplatte seien trotz fortgeschrittener Korrosion noch sehr sicher. Es worden
deshalb als Instandsetzungsmassnahmen nur die Erneuerung der Abdichtung und des
Belag auf der Brücke vorgeschlagen.
Das BIM-basierte Instandsetzungsprojekt der Brücke zeigte in
vereinfachter Darstellung die einzelnen Schritte der vorgeschlagenen
Erhaltungsmassnahmen: Installation der Baustelle, Abfräsen der bestehenden
Asphalt- Schichten, Einbau der PBD-Abdichtung und Einbau des Walz-Asphalts.
BIM-basiert wird auch die Mengen- und Kostenermittlung der Baumassnahmen
erstellt.
BIM-basierte Projektierung vorteilhaft
«Unser Ziel war es, aufzuzeigen, wie eine BIM-basierte Projektierung erfolgen kann und welche Vor- und Nachteile dabei bestehen», so Markovic. Berechnungen «von Hand» seien in vereinfachter Form für einfache Tragwerke möglich, doch nicht immer sicher. Die Anwendung der nicht-linearen Finite-Elemente-Methode (FEM) habe deshalb grosses Potenzial, um eine realitätsnahe Modellierung von Korrosionsschäden und die Abbildung der Tragreserven zu erreichen.
Bestehen hingegen Unsicherheiten bezüglich
unzugänglicher Bewehrung, dem Korrosionsgrad oder dem Modifizieren von
Stoffgesetzen infolge der Korrosion, empfiehlt der Fachmann konservative
Berechnungen mit der Annahme verschiedener Szenarien für den Korrosionsgrad.
Die BIM-basierte Zustandserfassung und Instandsetzung von
bestehenden Brückenbauten bieten viele Vorteile. Eine realistische Modellierung
des Ist-Zustands sowie die Darstellung der geplanten Entwicklung dienen als
Entscheidungshilfe für die Optimierung und die Priorisierung der anstehenden
Sanierungsmassnahmen, eine Verstärkung oder gegebenenfalls für einen
Ersatzneubau.
«Wichtig ist allerdings, nur mit einem zentralen Modell zu
arbeiten, das alle Angaben beinhaltet. Die verwendete BIM-Software hat sich
beim vorliegenden Erhaltungsprojekt als sehr zuverlässig und benutzerfreundlich
erwiesen», sagt Ivan Markovic.