11:40 BAUBRANCHE

Zukunftsvisionen für den öffentlichen Raum im Kornhausforum Bern

Geschrieben von: Katrin Ambühl (ka)
Teaserbild-Quelle: zvg

Darf man mit Spielgerät den Aussenraum verändern? Kann der öffentliche Raum sogar Leben retten? Könnte man einen Dorfbrunnen komplett umnutzen? Kreative und verblüffende Antworten auf diese und viele andere Fragen geben die Beiträge der Ausstellung «Shared Spaces in Change» im Kornhausforum Bern. Das Baublatt hat mit einem Architekten über seinen gesellschaftlich brisanten Vorschlag gesprochen.

Projekt Guerilla Citizen

Quelle: zvg

Das Projekt «Guerilla Citizen» schlägt mit einem Augenzwinkern kleine Interventionen im Aussenraum vor. Zum Beispiel wie hier, mit einem an einen Pfosten gebundenen Ball, der zum Spielen animieren soll.

Eine dicke Markierungslinie zieht sich in teils absurdem Zickzack durch den historischen Ausstellungsraum. Sie sind ein Verweis auf die weissen Abstandslinien, die sich in der Corona-Pandemie vor dem Supermarkt, im Bahnhof und eigentlich im gesamten öffentlichen Raum wie Pilze ausgebreitet haben und geblieben sind. Tatsächlich hat das Projekt «Shared Spaces in Change» seinen Anfang im Corona-Jahr 2020.

Damals riefen das Kornhausforum Bern in Kooperation mit der Kommission Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Bern und dem Architekturforum unter anderem Kunstschaffende, Raumentwickler und Schulen dazu auf, Ideen für die zukünftige gemeinsame Nutzung des öffentlichen Raums zu entwickeln. Insbesondere stand auch die Frage zur Debatte, wie sich das Verhältnis zum gemeinsamen Zusammenleben, zur Nutzung von öffentlichem Raum mit der Corona-Pandemie geänderthat, mit der das soziale Leben auf ein Minimum heruntergefahren wurde und Veranstaltungen, Treffen, Märkte und vieles mehr auf Gemeinde- oder Stadtgrund in einem Dornröschenschlaf versanken. 

Schliesslich wurden 35 Projekte aus-gewählt. Elf davon sind im öffentlichen Raum der Stadt platziert, der Rest im Kornhausforum Bern. Hier gibt es nicht nur viel zu sehen, sondern auch zu hören. Lustige und denkwürdige Beiträge halten sich die Waage. Das Projekt von Hotel Regina gehört zur ersten Kategorie. Die Videoinstallation macht den Vorschlag, einen öffentlichen historischen Brunnen als Winterbad zu nutzen. Geheizt wird das Brunnenwasser mit einem Velo, an dem sich Passanten freiwillig abstrampeln, während sich Badende im dampfenden Brunnenwasser suhlen. Der Name des Projekts: «Brunnen gehn». Dahinter steckt die Vision der Initiantengruppe Hotel Regina, dass dieser Slang-Ausdruck eines Tages vielleicht zu einer hippen Tätigkeit, zu einer Urban Legend, wird, so dass man sich samstags sagt: «Lasst uns Brunnen gehn».

Stadtguerillas und Kinderfantasien

Nicht gebadet, aber geskatet hat ein Teilnehmer des Beitrags «Virus Asphalt». Die Fotoarbeiten von Claudia Christen und Andreas Seiler zeigen junge Menschen bei ihren Freizeitaktivitäten auf Berner Stadtplätzen. Parallel dazu haben sie diese gefragt, wie sich die Pandemie auf ihr Leben auswirkte. Einer der Protagonisten ist Skater und erzählt direkt und schonungslos, dass der Europaplatz, an dem das Foto entstanden ist, buchstäblich sein Leben gerettet habe. Alles habe er in dieser Zeit verloren, Job und Freundin, nur das Skaten im öffentlichen Raum habe ihn davor bewahrt, Schluss zu machen, ist im Audiobeitrag zu hören.

Zum Schmunzeln hingegen ist der Vorschlag «Guerilla Citizen» von Mona Neubauer und Alex Bradley. Sie regen eine interaktive Auseinandersetzung von Bewohnern mit dem öffentlichen Raum an und ermutigen zu kleinen, niederschwelligen Interventionen mit dem Ziel, den gemeinsam genutzten Aussenraum lebenswerter und menschlicher zu machen. Zum Beispiel mit kleinen Holztischen, die sich in eine Bank stecken lassen für ein bequemes Picknick oder einem an der Strassenlaterne angebrachten Ball für ein spontanes Spiel zu zweit. Kleine Guerillaaktionen, mit denen sie die Grenze zwischen privat und öffentlich, zwischen erlaubtem und verbotenem Eingriff im geteilten Gemeinraum ein kleines bisschen verschieben.

Deutlich radikaler würden Kinder in den Aussenraum eingreifen, wie man in der Soundinstallation «Ich sehe was, was du nicht siehst» erfährt. Magdalena Nadolska und Regula Bühler haben bei einem Stadtspaziergang an verschiedenen Orten rund 70 Kinder gefragt, wie sie diese verändern würden. Am Ansermetplatz würde ein Knirps gerne einen wasserspritzenden Steinriesen mit Laseraugen hinzaubern. Und einen dazugehörenden Badeteich gleich dazu. Ein anderer wünscht sich statt Asphalt eine Wiese mit Kletterbäumen und einer Höhle zum Spielen. Ob radikal oder subtil: An Ideen für komplett neu gedachte Plätze und Orte im öffentlichen Raum mangelt es also nicht. Die Ausstellung ist noch bis 30. Januar zu sehen.

Weitere Informationen zur Ausstellung «Shared Spaces» auf www.kornhausforum.ch

Stadt machen!

Ein Beitrag der Ausstellung stammt von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, (ZHAW). Die Arbeit entstand im Institut Urban Landscape unter Stefan Kurath, Philippe Koch und Simon Mühlebach und basiert auf einem Forschungsprojekt sowie dem daraus entstandenen Buch «Figurationen von Öffentlickeit», das 2021 vom Triest Verlag publiziert wurde. Für die Ausstellung haben der Stadtsoziologe Philippe Koch und der Architekt Simon Mühlebach die Podcast-Serie «Stadt machen!» zu eben diesem Thema produziert. Darin sprechen die Autoren auf Stadtspaziergängen in Bern, Winterthur, Wallisellen und Frauenfeld darüber, was öffentliche Räume eigentlich sind, wer sie definiert und wie sie in Zukunft geplant werden könnten. Im Abschlussgespräch plädieren sie dafür, dass Grosszügigkeit in der Planung angebracht wäre, nicht nur räumlich, sondern auch regulatorisch. Und vor allem: Dass es Mut braucht, in der Raumplanung mehr offen zu lassen, also den Menschen Spielraum in der zukünftigen Nutzung zu bieten. Denn kein Experte – ob Architektin, Soziologe, Raumplanerin oder Politiker – könne voraussehen, welche Dynamik ein Aussenraum in der Zukunft einmal entwickeln wird. (ka)

Infos zum Buch und Zugriff auf den Podcast auf www.zhaw.ch

Interview mit Charles O. Job

Charles O. Job

Quelle: D.Buettner/buettner@buettner.ch

Charles O. Job

Die Bank «Bench Bed» von Charles O. Job ist Teil der Ausstellung. Der Architekt und Designer ist seit 2004 Professor für Designtheorie an der Berner Fachhochschule, Departement Architektur, Bau und Holz. Die Suche nach einfachen Lösungen und Innovationen prägen alle Projekte des in Zürich wohnhaften Architekten.

Was ist die Kernidee von «Bench Bed»?

Es ist eine Sitzbank, deren Lehne heruntergeklappt werden kann und so Schutz bietet. Die Rückseite ist als Werbefläche gedacht.

Warum die Verbindung von Werbung und öffentlichem Raum?

Der öffentliche Raum, das Stadtleben hat mich schon immer fasziniert. Neben riesigen Werbeflächen und Business-leuten gibt es aber auch Menschen, die unsichtbar sind: Obdachlose, Menschen, die durch die Maschen des sozialen Netzes gefallen sind. Es gibt also Werbung und unsichtbare Menschen, meine Idee war, dass das eine das andere finanzieren könnte.

Ein Obdachloser auf einer Bank mit einer Dior-Werbung zum Beispiel? Das klingt ziemlich provokant.

Die Idee ist einfach und logisch, aber brisant. Ich sehe meinen Beitrag als Vorschlag für das reiche Zürich (lacht).

Aber es ist keine Lösung des Obdachlosenproblems?

Nein, es ist eher eine Vision für eine Gesellschaft, die sich kümmert, eine Vision eines gemeinsam geteilten öffentlichen Raums. Eine Bank mit Hut. Dies war meine Ausgangsidee analog dem englischen Begriff «neighborhood», in dem ja auch der Hut, die Kapuze, drin steckt.

Wann hatten Sie die Idee für eine solche multifunktionale Bank?

Für die Design Fair in Nagaoka, Japan, hatte ich 1994 bereits ein ähnliches Projekt eingereicht. Es ging damals um eine Werbefläche mit acht herunterklappbaren Schlafkojen für Benetton. Damals war das Modelabel für seine provokanten Werbesujets bekannt. Ich dachte, es könnte passen, dass ein Brand, das auf soziale Missstände aufmerksam macht, ein solches Projekt unterstützen könnte. Doch es wurde nicht umgesetzt. Als dann die Ausschreibung für die Ausstellung «Shared Spaces in Change» des Kornhaus Bern lief, reichte ich mein neues Projekt ein. Das war mitten in der Coronazeit, als ich oft abends einen Spaziergang durch die Stadt machte und mir dabei immer wieder «unsichtbare» Menschen auffielen.

2021 war das «Bench Bed» auch während der Design Biennale im September in Zürich zu sehen. Wie waren die Reaktionen?

Es gab positive und negative Rückmeldungen. Ein Argument war, man sollte Obdachlose nicht ermutigen, draussen zu leben. Städte und Gemeinden machen ja eher das Gegenteil mit Bänken, auf denen man nicht liegen darf. (ka)

Geschrieben von

Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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