Was der gemeinnützige Wohnungsbau für die Gesellschaft leistet
Der gemeinnützige Wohnungsbau sei ein Modell für die
Zukunft: So lautete der Tenor am Forum der Schweizer Wohnbaugenossenschaften.
Denn die Genossenschaften bieten nicht nur preisgünstigen Wohnraum an. Sie
gehen auch auf neue Wohnbedürfnisse ein und entwickeln nachhaltige Lösungen.
Quelle: Stefan Bucher
Die Lindenpark-Überbauung der Genossenschaft «Wohnen im Alter in Kriens» (GWAK).
32 Alterswohnungen mit zweieinhalb oder dreieinhalb Zimmern
mitten im Zentrum, eine Anderthalbzimmer-Wohnung, eine Clusterwohnung mit sechs
Zimmern, drei Pflegewohngruppen mit insgesamt 21 Pflegeplätzen, Spitex, Zahnarzt,
Physiotherapie und ein Bistro im Haus, dazu ein Altersfitnessraum und
grosszügige Gemeinschaftsräume, eine Parkanlage vor der Türe und eine begrünte
Dachterrasse: Das alles bietet die Lindenpark-Überbauung in Kriens LU älteren
Menschen. Und das zu fairen und günstigen Mietpreisen zwischen 790 und 1820
Franken pro Monat, wobei noch Heiz- und Nebenkosten sowie Beiträge für
Grunddienstleistungen des betreuten Wohnens hinzukommen.
Vor gut einem Jahr wurde der Lindenpark eröffnet. Davor fanden sich in Kriens zwar Alters- und Pflegeheime, doch Wohnungen mit Dienstleistungen für Seniorinnen und Senioren fehlten trotz des erwiesenen Bedarfs. Dass die finanziell arg gebeutelte Stadt ein Alterswohnprojekt stemmen könnte, war undenkbar. Vier örtliche Baugenossenschaften beschlossen deshalb, ihre Kräfte in einer gemeinsamen Organisation zu bündeln, und riefen die Genossenschaft «Wohnen im Alter in Kriens» (GWAK) ins Leben. Der Trägerschaft schlossen sich auch der Verband Wohnen Schweiz, die katholische und die reformierte Kirchgemeinde, die Stadt, die Spitex, die Immobilienfirma Schweighofpark AG und drei private Genossenschafter an.
Viel ehrenamtliche Arbeit
Die GWAK gewann einen Investorenwettbewerb der Stadt um ein
Baufeld beim Gemeindehaus und erstellte darauf im Baurecht für 28,5 Millionen
Franken die Lindenpark-Überbauung. Für das Projekt habe die Genossenschaft viel
ehrenamtliche Arbeit geleistet, erklärt GWAK-Präsident Stefan Bucher. Kosten
von fast 500 000 Franken wären angefallen, wenn pro Stunde 50 Franken verrechnet
worden wären. Ohne ein einziges Inserat zu schalten, konnte die GWAK alle Räumlichkeiten in kurzer Zeit vermieten. Gemäss dem Vermietungsreglement
sollen die Wohnungen nicht an rüstige Senioren vergeben werden, sondern an
ältere Menschen, bei denen ein Bedarf an diesen Angeboten nachgewiesen ist.
«Mit dem Lindenpark haben wir einen gesellschaftlichen
Mehrwert geschaffen», sagt Bucher. Die GWAK habe ein politisches Problem in
Kriens gelöst, eine Lücke im Pflegeangebot geschlossen, ein grosses Wohnbedürfnis
abgedeckt und preisgünstige Wohnungen an bester Zentrumslage zur Verfügung
gestellt. Das Projekt habe aber auch die Baugenossenschaften in Kriens
zusammengeschweisst.
Der Lindenpark war eines von mehreren beispielhaften
Projekten aus dem In- und Ausland, die am 8. Forum der Schweizer
Wohnbaugenossenschaften vorgestellt wurden. Wohnbaugenossenschaften Schweiz und
Wohnen Schweiz, die beiden Dachverbände des gemeinnützigen Wohnungsbaus,
wollten mit der Tagung aufzeigen, welche Mehrwerte die gemeinnützigen Bauträger
der Gesellschaft bieten. Gegen 400 Vertreterinnen und Vertreter von
Wohnbaugenossenschaften aus der ganzen Schweiz, von Behörden und Unternehmen
sowie Fachleute trafen sich im KKL Luzern zum grössten Branchenanlass.
Neue Wohnbedürfnisse
«Die gemeinnützigen Bauträger sorgen nicht nur für
preisgünstigen Wohnraum. Sie gehen zum Beispiel auf neue Wohnbedürfnisse ein –
etwa das Wohnen im Alter, neue Wohnformen, die Verbindung von Wohnen und
Arbeiten. Sie tragen auch zum Klimaschutz bei, indem sie nachhaltige
Wohnkonzepte entwickeln, die den Ressourcenverbrauch verringern», so
SP-Ständerätin Eva Herzog, Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, und
Daniel Burri, Präsident von Wohnen Schweiz. Damit entspreche das historische genossenschaftliche
Modell ganz dem Zeitgeist und komme dem Bedürfnis nach mehr sozialer und
ökologischer Verantwortung entgegen. Der gemeinnützige Wohnungsbau sei ein
Modell für die Zukunft, das noch an Bedeutung gewinnen werde.
Quelle: Martin Bichsel, zvg
Eva Herzog, Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, und Daniel Burri, Präsident von Wohnen Schweiz (von rechts).
Was der gemeinnützige Wohnungsbau für die Gesellschaft
leistet, zeigt auch das Beispiel des Zollhauses in Zürich. Das Zollhaus bietet
eine einmalige Wohnlage inmitten der Stadt Zürich – zwischen dem Hauptbahnhof,
den Gleisen und dem Langstrassen-Quartier. Diverse Gemeinschaftsräume, eine
sozial durchmischte Mieterschaft und die Bereicherung durch Kultur, Verkauf,
Gastronomie und Dienstleistungen machten es zu einem lebendigen Ort des
Miteinanders, sagt Jonathan Kischkel, Co-Präsident der Genossenschaft
Kalkbreite, der Zollhaus-Bauträgerin.
Neben Familienwohnungen sowie kleineren und grösseren
Wohngemeinschaften bietet die Genossenschaft Kalkbreite hier auch Raum für neue
Wohnformen und erprobt als erste Wohnbaugenossenschaft das sogenannte
Hallenwohnen. Acht überhohe Hallen unterschiedlicher Grösse wurden von den
Mietern und Mietern selbst ausgebaut und bieten damit sozial wie
architektonisch Raum für neue Formen des Zusammenlebens. Für den
«Tages-Anzeiger» handelt es sich um «Zürichs verrücktestes Wohnexperiment».
«Die Einführung einer neuen Form kollektiven Wohnens tut uns allen gut»,
schrieb dagegen die Zeitschrift «Hochparterre». «Neben der grossen Masse
Konvention braucht der Wohnungsmarkt auch radikale Experimente wie das
Hallenwohnen.»
Das Quartier Plaines-du-Loup in Lausanne will ökologisch und sozial besonders hohe Standards erfüllen. Rund 11 000 Menschen sowie Arbeitsplätze und Freizeitanlagen sollen hier bis 2030 Platz finden. Für das Projekt wurde eigens die soziale Bewohnergenossenschaft Le Bled gegründet. Neue, nachhaltige Formen des Wohnens, Zusammenlebens und Zusammenarbeitens werden nach den Prinzipien der Sozialökonomie und Solidarität in den bisher zwei Siedlungen der Genossenschaft Batir Group in den waadtländischen Ortschaften Cheiry und Grandvaux erprobt.
Raum für Kunst, Kultur, Soziales und Bildung, bezahlbares Wohnen und Verwaltungsnutzungen sollen im «Haus der Statistik» in Berlin nach über zehn Jahren Leerstand entstehen. Modellhaft ist nicht nur der vielfältige Nutzungsmix, sondern auch die Kooperationsgemeinschaft: Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft sind darin gleichberechtigt vertreten. Gemeinsam werden individuelle Freiheiten und kollektive Bedürfnisse ausgehandelt.
Selbstverwaltete urbane Dörfer
Als «Bottom-up-Bewegung für zukunftsweisende Lebensorte»
sieht sich die Genossenschaft «Urbane Dörfer» mit Sitz in Bern. «Wir stellen
gängige Entwicklungsprozesse auf den Kopf und formen zuerst lebendige
Nachbarschaften, bevor wir Gebäude bauen», sagt Matthias Tobler, Gründer der
Genossenschaft. Zusammen mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern entwickle
die Genossenschaft zukunftsorientierte und gemischt genutzte Lebensräume im
urbanen Kontext. Das Ziel sei ein systematischer Aufbau von selbstverwalteten urbanen
Dörfern. Ein solches Dorf vereine individuelle Wohnmöglichkeiten, gemeinsam
genutzte Flächen und öffentliche Räume mit gesellschaftsrelevanten Angeboten.
Das erste urbane Dorf soll in Gümligen BE entstehen. Ab 2024 wird hier laut Tobler ein nachhaltiger Wohn-, Arbeits- und Lebensraum für 150 Personen geschaffen. Das Erdgeschoss des Neubaus wird gewerblich genutzt. Ein weiteres urbanes Dorf mit Wohnraum für 200 Personen ist in Zollikofen BE geplant. Dabei sollen in einem urbanen Umfeld neue Wege in der Lebensmittelversorgung entdeckt werden.
Die Hochschule für Agrar-, Forst- und
Lebensmittelwissenschaften der Berner Fachhochschule will hier das Potenzial
eines Wohnprojekts als lokale Versorgungsgemeinschaft erforschen. So werden die
Aussenräume als essbare Landschaften in Permakultur gestaltet. Mit einem
Dachgarten, hängenden Gärten und Hochbeeten im Innenraum sollen zusätzliche
Anbauflächen geschaffen werden. Das Konzept sieht zudem die Zusammenarbeit mit
lokalen Landwirten, eine Einkaufsgemeinschaft und eigene Lager- und
Produktionsräume vor. Die Genossenschaft betrachte jedes Wohnprojekt als
Reallabor, erklärt Tobler. Denn: «Experimente sind die besseren Konzepte.»
Quelle: Urbane Dörfer
Das Projekt der Genossenschaft «Urbane Dörfer» in Gümligen.
«Es ist beeindruckend, was Genossenschaften alles für die
Gesellschaft leisten. Für viele Fragen haben wir heute schon die Lösungen –
aber um einen Unterschied zu machen, braucht es deutlich mehr gemeinnützigen
Wohnungsbau», sagt Adrian Achermann, Geschäftsführer von Wohnen Schweiz. Für
Urs Hauser, Direktor von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, müssen die
Genossenschaften ihr vielfältiges gesellschaftliches Engagement in der
Öffentlichkeit noch stärker sichtbar machen.
Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor
Für eine nachhaltige Entwicklung sei auch ein Umdenken in
Wirtschaft und Politik nötig, erklärt Tina Teucher, Expertin für nachhaltiges
Wirtschaften und Zukunftskompetenz. Nachhaltiges Wirtschaften mache sich auch
bezahlt. Nachhaltigkeit sei vom Schlagwort zum Erfolgsfaktor geworden. In
Zukunft dürften diejenigen Unternehmen Erfolg haben, die das Gemeinwohl ins
Zentrum stellen und Lösungen für die anstehenden sozialen und ökologischen
Herausforderungen bereitstellen. Branchen mit ökologischen und sozialen
Mehrwerten befänden sich im Aufschwung, so Teucher. Die Nachfrage nach Bio- und
Fairtrade-Produkten, erneuerbaren Energien und grünen Investments steige. 20
Prozent der Firmen-Neugründungen stammten aus der Green Economy. Jeder Vierte
richte sein Konsumverhalten an Genuss, Gesundheit und Nachhaltigkeit aus. Für
den Wirtschaftswandel sind gemäss Teucher die «drei magischen K» wichtig: Es
gelte, das Kerngeschäft zu hinterfragen, die Kreislaufwirtschaft zu fördern und
Kultur zu nutzen, um mit positiven Emotionen alle mitzunehmen.
Für ein nachhaltiges Wirtschaften, bei dem ethische Werte
wie das Wohl von Mensch und Umwelt im Zentrum stehen, setzt sich die
internationale Reformbewegung Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ein. Sie wurde von
Österreich, Bayern und Südtirol aus gestartet. In der Schweiz wurde 2010
ein Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie gegründet. Heute werde die
Bewegung von über 2000 Unternehmen, mehreren Nichtregierungsorganisationen,
einer Reihe von Gemeinden und über 5000 Privatpersonen unterstützt, sagt die
GWÖ-Beraterin Doris Schumacher. Sie beschreibt, wie die Gemeinwohl-Ökonomie die
Wirtschaft verändert: Nachhaltige und langlebige Produkte setzten sich durch,
es bleibe mehr Wertschöpfung in der Region, gute und sinnvolle Arbeitsplätze
würden geschaffen, das wirtschaftliche Miteinander werde wieder menschlicher,
und das Potenzial für eine sinnvolle Umwelt- und Klimapolitik wachse.
Mit der Frage, wie eine wünschbare Zukunft machbar wird,
beschäftigt sich die Innovationsexpertin und Zukunftsforscherin Senem Wicki.
Gefragt seien Fantasie, Mut und Haltung. Um mehr Wert für die Gesellschaft von
übermorgen zu schaffen, müsse eine Firma oder Organisation in einer
Evaluations- und Lernschlaufe die langfristigen Entwicklungen systematisch
erfassen, sich kritisch mit der eigenen Zukunft auseinandersetzen, die Fantasie
trainieren und Kick-off-Projekte entwickeln – und danach wieder mit der
Trendanalyse beginnen.
Stadtentwicklung im Dialog
Neben neuen, nachhaltigeren Wirtschaftsmodellen brauche es
auch soziale Innovation, so mehrere Stimmen an der Tagung. In der
Stadtentwicklung zum Beispiel sollte sozialen Faktoren ein höherer Stellenwert
eingeräumt werden. Die Wiener Stadt- und Gesundheitspsychologin Cornelia
Ehmayer-Rosinak begleitet Stadtentwicklungsprozesse im Dialog mit den
Beteiligten. Sie sieht in Nachbarschaften ein soziales Kapital, das es zu
nutzen gelte: «Starke Nachbarschaften sind eine äusserst wertvolle Ressource,
denn sie sind das soziale Fundament einer funktionierenden Stadt.»
In Wien sind Stadtteilmanager aktiv, wo neue Wohngebiete entstehen. Die Entwicklung von Stadtteilen werde nicht mehr nur von Planern und Investoren bestimmt, sondern auch die Menschen vor Ort und lokale Institutionen würden frühzeitig eingebunden, erklärt Ehmayer-Rosinak. Nachbarschaften könnten auch gestärkt werden, indem Vermittlungspersonen eingesetzt werden, seien es ehrenamtliche Ombudsleute oder ausgebildete Sozialarbeiter mit fester Anstellung.
Eine der besten Möglichkeiten, um
nachbarschaftliche Beziehungsnetzwerke entstehen zu lassen, seien aber
Gemeinschaftsgärten. Auch die Architektur könne das Zusammenleben in der
Siedlung fördern. Einen gestalterischen Ansatz liefert die
Prospect-Refuge-Theorie des britischen Geografen Jay Appleton. Danach fühlen
sich Menschen in denjenigen Aussenräumen sicher und geborgen, die ihnen sowohl
Ausblick als auch Rückzugsmöglichkeiten bieten.