Verdichtung in Hergiswil: Es geht auch ohne dicke Luft
Im Ortskern von Hergiswil mussten neun Liegenschaften einer neuen Zentrumsüberbauung mit vier Wohn- und Geschäftshäusern weichen. Mit einem neuen Siedlungsleitbild und einem Masterplan hatte die Gemeinde klare Rahmenbedingungen für die Innenentwicklung geschaffen.
Quelle: DINA Immobilien AG
Der Wylpark in Hergiswil wird einem eigenständigen kleinen Quartier gleichen.
Dichtes Bauen muss nicht immer für dicke Luft sorgen. Das beweist die neue Zentrumsüberbauung Wylpark, die in Hergiswil NW entsteht. Rechtzeitig hatte die Gemeinde ein neues Siedlungsleitbild und einen Masterplan für das Ortszentrum erarbeitet. Damit verfügte sie über die nötigen Werkzeuge, um die verschiedenen Projektideen für dieses Gebiet und ihre eigenen strategischen Entwicklungsabsichten unter einen Hut zu bringen. Das Projekt hatte auch kaum mit Widerstand zu kämpfen. Der Schweizer Raumplanungsverband Espace Suisse hat nun den Wylpark in seine Datenbank von guten Beispielen der Innenentwicklung und Verdichtung aufgenommen.
«Das durchdachte Projekt fusst auf einer Reihe von Planungsschritten, die die Gemeinde in den letzten sechs Jahren durchlaufen hat», schreibt Espace Suisse auf densipedia.ch, der Wissensplattform für Innenentwicklung und Verdichtung in der Schweiz. Die Gemeinde habe ihre strategischen Entwicklungsabsichten behördenverbindlich im Siedlungsleitbild und im Masterplan für das Zentrum festgehalten. Diese strategischen Instrumente hätten klare Rahmenbedingungen für die Bauwilligen und Investoren geschaffen und ihnen gleichzeitig eine hohe Planungssicherheit geboten.
Nachdem die Gemeindeversammlung die erforderliche Umzonung bewilligt hatte, erarbeitete ein externes interdisziplinäres Projektteam den Gestaltungsplan beziehungsweise Sondernutzungsplan für den Wylpark. Darin wurden die Ansätze des Masterplans aufgenommen und eigentümerverbindlich festgelegt. Vorgegeben wurden ein klarer städtebaulicher Ausdruck, publikumsorientierte Erdgeschossnutzungen entlang der Seestrasse und eine offenere Gestaltung privater Freiräume mit zugänglichen Bereichen für die Öffentlichkeit.
Migros steigt ein
Am Anfang standen unterschiedliche Bauvorhaben entlang der Seestrasse und im Dorfzentrum. Das Areal des Wylparks bestand ursprünglich aus zehn Parzellen mit acht unterschiedlichen Eigentümern. Zwei von ihnen planten, auf ihren vier Parzellen gemeinsam mehrere Ersatzneubauten für die bestehenden neun Wohnhäuser zu erstellen. Weil der Masterplan eine Konzentration von Einkaufs- und Dienstleistungsnutzungen vorsah, interessierte sich aber auch die Migros für diesen Standort.
Der Grossverteiler überzeugte die zwei Bauwilligen, das Vorhaben auf die benachbarten sechs Parzellen auszuweiten und statt einer reinen Wohnüberbauung ein gemischtes Quartierzentrum zu erstellen. Dazu mussten die übrigen sechs Grundeigentümer an Bord geholt werden. Diese unterstützten die Idee. Sie gewährten den Projektverantwortlichen die Planungsvollmacht über ihre Parzellen und räumten ihnen ein Kaufrecht ein. Ende 2018 erwarben diese die sechs Parzellen. Heute sind noch zwei Eigentümer am Wylpark beteiligt.
Promotor des Projekts und heutiger Bauherr ist Joseph Lustenberger, Inhaber der Hergiswiler Bauunternehmung Poli Bau AG und ehemaliger Präsident des Unterwaldner Baumeisterverbands. Für die Planung zeichnet das Architekturbüro Burch und Partner in Sarnen OW verantwortlich. Die Baukosten werden auf 65 Millionen Franken geschätzt.
Im April 2019 ging der Spatenstich über die Bühne. Die bestehenden Gebäude auf dem Areal wurden abgebrochen. In einem der Häuser war in den letzten Jahren das Kompetenzzentrum der ETH für biomedizinische Weltraumforschung eingemietet. Einige der neun Gebäude waren fast 100 Jahre alt und mussten von einer Spezialfirma während mehrerer Wochen fachmännisch von gesundheitsschädigendem Asbest befreit werden.
Quelle: DINA Immobilien AG
Grosse Baugrube: Die neun bestehenden Gebäude auf dem Areal wurden abgebrochen.
50 neue Wohnungen
Die Bauzeit wird auf knapp drei Jahre veranschlagt. Der Wylpark wird dereinst einem eigenständigen kleinen Quartier gleichen. In der neuen Zentrumsüberbauung entstehen auf über 5000 Quadratmetern vier Wohn- und Geschäftshäuser. Die rund 50 neuen Wohnungen werden die je zur Hälfte als Eigentums- und Mietobjekte vermarktet. Vorgesehen ist ein Mix aus 2,5- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen. Im Zentrum der Geschäfte entsteht ein Migros-Supermarkt mit einer Verkaufsfläche von rund 700 Quadratmetern. Er ist damit rund dreimal grösser als die bestehende Filiale. Daneben soll Platz bleiben für vier weitere Läden oder Dienstleister.
Zuletzt wohnten und arbeiteten rund 50 Menschen in den neun Liegenschaften, die dem Wylpark weichen mussten. Neu entstehen neben Wohnungen für rund 100 Personen auch Geschäftsflächen für gut 30 Arbeitsplätze. Die Nutzerdichte steigt insgesamt um über 100 Prozent im Vergleich zu vorher, wie Espace Suisse vorrechnet. Auch die bauliche Dichte nehme stark zu: Mit der neuen Überbauung werde eine Ausnützungsziffer von 1,22 erreicht.
Quartierplatz im Innenhof
Trotzdem fällt die Verdichtung laut dem Schweizer Raumplanungsverband nicht negativ auf. Der Wylpark passe sich architektonisch gut in die Umgebung ein. Die vier fünfgeschossigen Ersatzneubauten werden auf einem gemeinsamen Sockelgeschoss erstellt und richten sich in der Höhe nach den umliegenden Gebäuden. Zudem werden wichtige Sichtachsen bewahrt.
Die Parkplätze werden grösstenteils in der unterirdischen Einstellhalle untergebracht, was Platz für Fusswege und Raum für Begegnungen schafft. Zwischen den Neubauten entsteht ein autofreier Innenhof mit begrünten Spiel- und Aufenthaltsflächen. Er soll zum neuen Quartierplatz werden, der Anwohnern und Nachbarn gleichermassen offensteht. Ob die Idee aufgeht, wird sich weisen.
Quelle: DINA Immobilien AG
Zwischen den Neubauten entsteht ein autofreier Innenhof, der zum neuen Quartierplatz werden soll.
Die Einkaufsmöglichkeiten, der neue Quartiertreffpunkt und die Tiefgarage mit 140 Parkplätzen schufen Akzeptanz in der Bevölkerung: Nur drei Einwendungen gingen während der öffentlichen Auflage des Gestaltungsplans ein. Alle konnten gütlich beigelegt werden. Auch an der Gemeindeversammlung fand der Gestaltungsplan deutliche Zustimmung. Gegen das Baugesuch wurde keine einzige Einsprache eingereicht.
«Dank Innenentwicklung zum qualitätsvollen Quartierzentrum»: So übertitelt Espace Suisse die Projektbeschreibung der neuen Überbauung in Hergiswil. Der Raumplanungsverband sammelt seit Jahren sammelt gute Beispiele der Innenentwicklung und Verdichtung in der Schweiz. 58 Projekte aus verschiedenen Landesteilen hat er auf der Internetplattform densipedia.ch zusammengetragen.
Siedlung neu interpretiert
Als weiteres Musterbeispiel einer gelungenen Verdichtung ist etwa der Ersatzneubau der Zürcher Siedlung Grünmatt in diese Hall of Fame aufgenommen worden. Die Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) ersetzte ihre Gartenstadtsiedlung zwischen 2010 bis 2014 durch Neubauten. Die 64 eingeschossigen Arbeiter-Reihenhäuser aus den 1920er-Jahren wurden zurückgebaut, weil die kleinen Räume und die grossen Gärten nicht mehr den heutigen Bedürfnissen entsprachen. Die neue Siedlung weist rund 100 Wohneinheiten mehr auf als die alte. Sie beherbergt heute knapp 500 Menschen – mehr als doppelt so viele wie zuvor.
Der FGZ sei es gelungen, die Gartenstadtsiedlung neu zu interpretieren und zu verdichten, so Espace Suisse. Die Genossenschaft habe in einem breit abgestützten Prozess ein ausgereiftes Bauleitbild erstellt und darauf gemeinsam mit dem Zürcher Amt für Städtebau einen Masterplan erarbeitet. Obwohl die Siedlung neu gebaut wurde, lasse sich die historische Siedlungsstruktur noch immer ablesen.
«Perfekte Beispiele gibt es nicht – gute schon», erklärt Espace Suisse. Planungsfachleute des Verbands und der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR) haben die Beispiele bewertet. Auf der Webseite werden auch Fachbegriffe und Werkzeuge der Raumplanung erklärt, mit denen die Siedlungsentwicklung nach innen gefördert und die Zersiedelung eingedämmt werden kann. Die Plattform ist damit eine Art Wikipedia für die Innenentwicklung und Verdichtung.
Kaum noch neue Bauzonen
Der Hintergrund ist das seit Mai 2014 geltende revidierte Raumplanungsgesetz (RPG). Dieses Gesetz soll die Siedlungsentwicklung nach innen lenken. Das heisst: Die künftige Siedlungsentwicklung soll in erster Linie den heute schon bestehenden Bauzonen erfolgen – nur ausnahmsweise sollen neue Bauzonen dazukommen. Siedlungen müssen damit verdichtet werden.
Statt weiterhin grüne Wiesen zu überbauen, gilt es, Baulücken zu füllen, Brachen in Städten und Dörfern umzunutzen und schwach belegte Flächen im Siedlungsgebiet besser auszulasten. Vor allem die sogenannten Nachverdichtungen beschäftigen Kantone, Städte und Gemeinden. Die Baulücken sind zunehmend gefüllt und die Brachen umgenutzt. Das Bauen im Bestand ist anspruchsvoll, denn die Konflikte sind hier grösser als auf der grünen Wiese oder auf Brachen. Gleichzeitig soll die Qualität der Dörfer und Städte mit der Verdichtung besser werden, zum Beispiel durch mehr belebte öffentliche Räume und grüne Parkanlagen.
Hilfe für Städte und Gemeinden
Mit densipedia.ch sollen Schweizer Städten und Gemeinden bei der Umsetzung des revidierten Raumplanungsgesetzes unterstützt werden. Die Webplattform ist ein Baustein eines Impulsprogramms zur Innenentwicklung. Der Nationalrat und der Ständerat haben in der Sommersession 2016 für dieses nationale Programm 550 000 Franken bewilligt.
Vor allem den Städten und Gemeinden soll damit bei der Siedlungsentwicklung nach innen unter die Arme gegriffen werden: durch Beratung, Weiterbildung und eine Sammlung guter Beispiele. Der Raumplanungsverband Espace Suisse ist auf diesen Gebieten seit Jahren tätig. Er wurde deshalb vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) beauftragt, seine Angebote auszubauen.
Quelle: Berner Fachhochschule
Siedlung Grünmatt in Zürich: Die Arbeiter-Reihenhäuser wurden durch Neubauten ersetzt.