Trafotürme: Eine Architekturform, die nicht mehr gebaut wird
Rund 2000 Transformatorentürme stehen
noch in der Schweiz. Einige sind in Betrieb, andere wurden umgenutzt. Viele
sind verschwunden, weil die Stromleitungen heute grösstenteils unterirdisch
verlaufen. Trafofans haben eine Internet-Dokumentation der Stromhäuschen
zusammengestellt.
Quelle: Hans E. Gisler
Einzigartig: Der Trafoturm in Dornach SO unweit des Goetheanums (rechts im Hintergrund) wurde vom Anthroposophie-Begründer Rudolf Steiner entworfen.
Sie stehen fast überall: in Städten, Dörfern, auf Feldern
und in Wäldern. Mit ihrer Höhe sind sie eigentlich unübersehbar. Trotzdem
werden sie kaum beachtet. Doch die Transformatorentürme haben durchaus ihre
Liebhaber. Einer von ihnen ist der Solothurner Stephan Ruch. Seit 2009 betreibt
er die Website www.swisstrafos.ch.
Hier werden die Trafotürme in der Schweiz nach Standorten aufgelistet und mit
Fotos gezeigt. Wer sich durch diese Internetseiten klickt, erfährt auch
Wissenswertes über die einzelnen Objekte und die Geschichte dieser Bauwerke. «Mir
geht es darum, ein Stück Technik- und Industriegeschichte zu bewahren», erklärt
Ruch. Die älteren Türme seien noch sehr aufwendig gebaut worden. Je später ein
Objekt entstanden sei, desto nüchterner sei es gestaltet worden.
Über seine Person mag Ruch öffentlich nichts preisgeben:
«Die Trafotürme sollen im Vordergrund stehen.» Die Drahthüsli, wie sie
hierzulande auch genannt werden, seien ihm schon in jungen Jahren ins Auge
gestochen. «Türme übten schon immer eine Faszination auf mich aus – auch Kirch-
und Leuchttürme.» Und eines Tages habe er sich gefragt, welche Funktion die
vielen Stromhäuschen eigentlich haben und was sich in ihnen verbirgt. Er habe
aber kaum Informationen gefunden. Das habe ihm den Anstoss gegeben, ein
Inventar der Transformatorenhäuschen in der Schweiz aufzubauen.
Aus der Zeit der Elektrifizierung
Trafotürme stammen aus der Zeit, als die Menschen begannen,
Strom zu nutzen. Die meisten dieser Bauwerke wurden zwischen 1890 und 1950 errichtet.
Die Bauherren waren oft dorfeigene Elektrizitätsgenossenschaften, manchmal auch
die Elektrizitätswerke selbst. Die Kleinbauten wurden auf einer geringen
Grundfläche aus Stein, Backstein, Holz oder Beton erstellt. Damals floss
Hochspannungsstrom über weit oben gespannte oberirdische Leitungen in die
Trafostationen. Deshalb errichtete man diese als kleine Türme. Die darin
eingebauten Transformatoren wandelten den Strom in die vom Endverbraucher
benötigte niedrigere Spannung um.
Quelle: Hans E. Gisler
Die Trafostation in Ebikon LU zeichnet sich durch gesprosste Eckpfeiler und ein geschweiftes Satteldach mit Klebedachspickeln aus.
Quelle: Hans E. Gisler
Trafotation in Niederwil AG: Auffällig sind das Satteldach und die querliegenden, gesprossten Fensterbänder, die asymmetrisch an den Fassaden angeordnet sind.
Heute sind dafür keine hohen Bauten mehr notwendig. Denn die
Stromleitungen werden grösstenteils unterirdisch geführt. Die modernen
Transformatoren fallen im Gegensatz zu früher kaum mehr auf. Sie finden heute
in unscheinbaren Betonkästen Platz. Viele Trafotürme sind denn auch bereits verschwunden.
Stephan Ruch spricht deshalb von einer vergänglichen Bauform. Nach seinen
Schätzungen stehen heute in der Schweiz noch rund 2000 Turmtrafos.
Ein beträchtlicher Teil der Stromstationen ist noch in Betrieb.
Wie viele es in der Zeit der Elektrifizierung gab, ist
unklar. Ruchs Mitstreiter Hans E. Gisler hat fast 4000 solche Bauten in einer
Excel-Tabelle erfasst – mit Bild, Standort, Baujahr und Koordinaten. Gisler hat
inzwischen nach eigenen Angaben rund 150 000 alte Luftaufnahmen aus dem
ETH-Archiv angeschaut, um möglichst alle Trafohäuschen ausfindig zu machen. Ob
er aIIe gefunden hat, ist offen. Die Suche geht weiter. Als begeisterter
Modellbauer hat er auch Bastelbögen von verschiedenen Türmchen angefertigt, die
von der Swisstrafos-Website heruntergeladen werden können.
Traforeporter im ganzen Land
Über tausend Stromhäuschen sind heute auf diesen Internetseiten zu finden. Weitere 500 Objekte werden in der nächsten Zeit dazukommen. Die Fotos sind bereits vorhanden, doch Ruch muss noch Informationen über die Bauwerke beschaffen. Viele Angaben findet er in Büchern, im Internet und auf alten Luftaufnahmen. Auch in Gesprächen mit der Nachbarschaft lässt sich einiges herausfinden.
Ruch kann inzwischen auf die Unterstützung durch rund 40 sogenannte Traforeporter in der ganzen Schweiz zählen, die Bilder und wertvolle Hinweise liefern. Er pflegt auch Kontakte zu Trafoliebhabern in anderen europäischen Ländern. Aus Deutschland stammt zum Beispiel die Website www.trafoturm.eu, die nach eigenen Angaben «die schönsten Trafohäuschen Europas» zeigt. Die Internetseiten werden allerdings seit 2016 nicht mehr weitergepflegt.
Quelle: Hans E. Gisler
Das Mauerwerk des Turmtrafos in Mümliswil SO wurde aus rotem und gelbem Sichtbackstein gebaut.
Quelle: Hans E. Gisler
Kabinentrafo in Embrach ZH: Über dem quadratischen Kubus befindet sich ein spitz zulaufendes Türmchen aus Blech, an dessen Ende sich die alten Keramikisolatoren befinden.
Die Trafofans, wie sie sich selbst nennen, können sich für
die Vielfalt der Architektur begeistern. «Damit eine Trafostation ins Ortsbild
passte, wurden auch auf Druck der Heimatschutzvereine Elemente wie verschiedene
Dachformen, spezielle Anstriche und detailreiche Zierelemente bei der Planung
und Ausführung berücksichtigt», ist auf der Swisstrafos-Website zu lesen. Da
gibt es schlanke Säulentrafos, die vor allem in dicht besiedelten Gebieten zu
finden sind, wo der Platz knapp ist. Diese Trafobauten können nicht betreten
werden und werden von aussen bedient. Mehr Platz für die Einrichtungen und das
Bedienpersonal bieten Flaschentrafos. Sie haben die Form einer Flasche und sind
mit einem helmartigen Dach versehen.
Andere Bautypen weisen ein Mauerwerk aus Backstein auf, das
oft von durchdachten Zierelementen geschmückt wird. Damit habe man sich in der
Schweiz an einem ungewöhnlichen Stil versucht, der wohl von der aufwendigen
Klinkertechnik nördlicher Länder beeinflusst gewesen sei, heisst es auf der
Swisstrafos-Website. Eine Seltenheit geblieben sind Kleintürme mit einem über
dem Dach befestigten Eisenbügel. Dies aus ästhetischen und
sicherheitstechnischen Gründen: Die Freileitungen werden hier nicht wie üblich über
Vorrichtungen an der Fassade oder im Dachgiebel zum Transformator geführt,
sondern über einen auf dem Dach sitzenden Bügel.
Architekturwettbewerbe für Trafos
Zweckmässig und schlicht wurden die modernen Trafohäuschen
gebaut. Auf aufwendige Verzierungen, spezielle Anstriche oder Sonderdetails
wurde verzichtet. Daneben sind verschiedene regionale Bauformen entstanden. Die
Betreiber beziehungsweise Energieunternehmen beauftragten häufig Architekten
mit der Gestaltung der Turmtrafos. Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ)
schrieben sogar Architekturwettbewerbe aus. Bis zu 124 Projekte wurden dabei eingereicht. Zu den Ergebnissen gehörte ein
aufwendig gestalteter, eleganter Flaschentrafo, der ein Obergeschoss mit
Bedienraum besass.
Quelle: Hans E. Gisler
Die Trafostation in Gossau ZH weist ein helmartiges Dach aus Blech mit Lukarnen auf, über dem sich ein schlankes Eisenbetontürmchen befindet.
Quelle: Hans E. Gisler
Eine Seltenheit: Beim Trafohaus in Russikon ZH wurde über dem Satteldach ein grosser Eisenbügel mit Aufbauten für die Stromzufuhr angebracht.
Quelle: Hans E. Gisler
Der flaschenförmige Steintrafo mit einem Helmdach in Montreux VD wurde mit einem Rundbogen versehen.
Laut der Industriearchäologin Yvonne Scheiwiller gibt es
Trafotypen, die nur in einem Tal vorkommen. Häufig lasse sich an den Bauwerken
ablesen, wer die Gegend damals elektrifiziert hat. Im Kanton Schwyz zum
Beispiel stehen in Freienbach und in Einsiedeln typische Trafobauten der EKZ. Der
innere Kantonsteil hingegen wurde von den Centralschweizerischen Kraftwerken (CKW)
elektrifiziert.
Vom Elektrizitätswerk Schwyz (EWS) erbaut wurde dagegen der
Trafoturm auf dem Stoos, dessen Fassade wohl dem Landschaftsbild zuliebe
teilweise mit Holzschindeln verkleidet wurde – eine Rarität in der Schweiz.
Einzigartig ist auch der Transformatorenturm in der Nähe des Goetheanums in
Dornach SO, den der Anthroposophie-Begründer Rudolf Steiner in unverkennbarer Formensprache
selber entworfen hat.
Lebenserwartung erreicht
Heute haben viele dieser historischen Bauten ihre Lebenserwartung
erreicht. Wenn Sanierungen anstehen, müssen die Elektrizitätsunternehmen
entscheiden, ob die alten Gebäude weiter verwendet werden können. Je nach
Bausubstanz oder der verfügbaren Fläche kann ein Neubau einer Fertigkabine die
einfachere und günstigere Lösung sein. Manche Türme werden deshalb abgebrochen.
Was den Trafostationen ebenfalls oft zum Verhängnis wird: Nur zu gern ergänzen
benachbarte Liegenschaftsbesitzer ihr Areal durch die Fläche, wo der Turm steht
– nicht in der Absicht, diesen Bau zu erhalten.
Quelle: Hans E. Gisler
Bei diesem Trafobau in Worb BE fallen die hochstehenden, gesprossten Fensterbänder in Kombination mit hochrechteckigen Mauervertiefungen auf.
Quelle: Hans E. Gisler
Der Trafoturm in Niedergösgen SO wurde inzwischen abgebrochen. Eine Besonderheit war der über eine Aussenleiter und einen Balkon erschlossene Hochzugang.
Quelle: Hans E. Gisler
Die Trafostation in Tramelan BE wurde zweckmässig mit einfachen Fenster- und Türformen sowie einem Satteldach gestaltet.
Die Abrisse stossen selten auf Widerstand. Die Trafofans
erfahren meistens eher zufällig im Nachhinein davon. Auf der
Swisstrafos-Website werden dann die Fotos der verschwundenen Stromhäuser mit
einem schwarzen Todeskreuz versehen. Stephan Ruch zeigt aber Verständnis für
die Elektrizitätsunternehmen: «Man kann nicht alle Trafobauten um jeden Preis
erhalten.» Es sei eben eine andere Zeit angebrochen: «Das muss man
akzeptieren.»
Er sei dankbar, Bilder der alten Bauwerke für die Nachwelt festhalten zu können. Mit seiner Website möchte Ruch mehr Aufmerksamkeit für
die kleinen Bauten schaffen. «Zumindest die hübschen Türme sollte man behalten»,
findet er. Immerhin beginne sich auch die Denkmalpflege allmählich mit diesen Zeitzeugen der Elektrifizierung zu beschäftigen. Einige Objekte wurden
zumindest zum kommunalen Schutz empfohlen. Ob die Standortgemeinden die
Türmchen tatsächlich erhalten, steht allerdings dahin.
In Wohnhäuser umgebaut
Manche Turmbauten, die nicht mehr für die Stromumwandlung verwendet werden, sind umgenutzt worden. Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Einige Berühmtheit hat der frühere Trafoturm in Möhlin AG erlangt. Ein Werbefachmann rettete die ehemalige Stromstation vor dem Abbruch und baute sie zu einem Einfamilienhaus mit Anbau aus. Zeitungen und Magazine in ganz Europa berichteten über das «kleinste Hochhaus der Welt».
Quelle: Ulrike Nitzschke
Zaubertürmli: Das Trafogebäude in Grenchen SO wurde von einem pensionierten Unternehmer mit vielen guten Ideen und Liebe zum Detail in ein Wohnhäuschen umgebaut
Quelle: Tierfriedhof, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
Der Transformatorenturm in Läufelfingen BL dient heute als Abdankungsraum des Tierfriedhofs.
Ein weiteres bekanntes Beispiel ist das Zaubertürmli in
Grenchen SO. Ein pensionierter Unternehmer erwarb das stillgelegte Trafogebäude
und baute es liebevoll in ein Wohnhäuschen um. So entstand eine Wohnfläche von
65 Quadratmetern auf drei Etagen. Seinen Namen verdankt das Zaubertürmli nicht
seinem märchenhaften Erscheinungsbild, sondern dem Grenchner Zauberer Orsani,
der in den 1970er-Jahren darin ein einfaches Clublokal für seinen Zauberring
eingerichtet hatte. In Läufelfingen BL dient der Trafoturm der ehemaligen
Gipsfabrik als Abdankungsraum des Tierfriedhofs. Ein altes Türmchen in Zürich
beherbergt heute die Bierbrauerei Hirnibräu. Zu einem romantischen Café ist ein
Trafogebäude in Locarno TI geworden.
Häufig erhalten die Elektrizitätsunternehmen auch Anfragen
von ornithologischen Vereinen oder Naturschützern. Diese möchten die
Kleinbauten als Unterkunft für Vögel oder Fledermäuse nutzen. In Frenkendorf BL
hat zum Beispiel die Stiftung Pro Artenvielfalt eine Trafostation zu einem
Artenschutzturm für Vogelarten wie Haussperling, Mauersegler, Hausrotschwanz,
Kleiber oder Star sowie für Fledermäuse umgebaut. Auch als Gartenhäuschen,
Clublokal, Remise, Lager, Werbeträger oder als öffentliche Toilette werden die
Gebäude genutzt. Stephan Ruch hat sich auch schon überlegt, einen Trafoturm zu
kaufen, liess es aber bleiben. «Ich wusste nicht, wofür ich ihn nutzen könnte.»