Totentanz auf neuen Balken
Während des Winters wurde die Spreuerbrücke, eine der ältesten der Schweiz, total saniert. An ihren Abschnitten lässt sich die Entwicklung der Ingenieurskunst ablesen: von der rudimentären Konstruktionsweise aus dem 16. Jahrhundert bis zur statischen Bogenbauweise Anfang des 19. Jahrhunderts. Nun ist sie wieder geöffnet. Ein Gang über und unter die Brücke.
Vor ein paar Tagen: Die Spreuerbrücke ist gesperrt und eingehüllt. Holzspäne fliegen, Bretter werden angepasst. Handwerker balancieren über Balken, Dachdecker drehen jeden Ziegel um. Der historische Bilderzyklus des Totentanzes, der die Giebel der Brücke zierte und auf dem Knochenmänner über das Schicksal der Sterblichen verhandeln, ist abgehängt.
Der Zahn der Zeit nagte während viereinhalb Jahrhunderten an der Brücke, Millionen Menschen wandelten über sie: Die Bogenhölzer waren von Schädlingen befallen, Fäulnis frass sich in die Balken, Urin hatte die Eisenlaschen angeätzt und die ganze Holzkonstruktion hing durch. Eine Sanierung war unumgänglich, sollte die denkmalgeschützte Brücke überleben. Seit letzten November sind das Tiefbauamt der Stadt Luzern und die Ingenieure der Schubiger AG und die Lauber Holzbauingenieure in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege daran, die ganze Brücke total zu sanieren. «Wir müssen im April fertig sein. Dann muss das heruntergehängte Gerüst weg, weil nachher das Schmelzwasser von fünf Kantonen die Reuss hinunter fliesst, was die Arbeit verunmöglichen würde», sagt Jörg Hartmann, Projektleiter des Tiefbauamts.
Durch den geöffneten Bodenbelag sieht man tief ins Brücken-Skelett und erhält einen interessanten Einblick in die Entwicklung des Holzbauingenieurwesens. Die beiden Randfelder der Hängewerkbrücke wurden 1568 gebaut, das mittlere Hängewerkfeld stammt aus dem Jahr 1785 und die nördlich anschliessende Bogenbrücke von 1805. Soweit auseinander diese Daten liegen, so unterschiedlich sind auch die Konstruktionen und damit auch die zu ergreifenden Sanierungsmassnahmen.
Brücke mit viel Geschichte
«Mit wenig Kraft hätte man die Brücke horizontal umwerfen können», sagt der Holzbauingenieur Andreas Stump zum statischen Zustand des ältesten Teils und relativiert: «Klar hält sie irgendwie, aber bei hohen Windbelastungen oder Hochwassern besteht keine Gewähr.» Die beiden Abschnitte wurden vor 450 Jahren noch empirisch gebaut. Das heisst, dass die Zimmerleute ein Modell im Massstab eins zu zehn erstellten und dann schauten, wie viele Menschen die Konstruktion tragen konnte. Sie verbesserten und tüftelten Meter für Meter ohne jegliche Berechnungen anzustellen, bis sie die gewünschte Stabilität erreicht hatten – Eisenverstrebungen standen damals nicht zur Verfügung. Aufgrund des Alters und jener Bauweise fallen die Sanierungen an den beiden Teilen am umfänglichsten aus. Ein Zuggurt (Längsbalken) war hier gebrochen und wird teilweise ersetzt und mit Chromstahlverbindungen an die 450-jährigen Balken angesetzt. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Hauptbalken, die Knotenverbindungen, werden eingeschlitzt und mit Chromstahlplatten verstärkt. Ebenso wird der Teil durch hölzerne Windverbände horizontal ausgesteift.
Im mittleren Abschnitt aus dem Jahr 1785, der zwischen den beiden älteren Teilen nach einem Hochwasser neu errichtet wurde, hat man geschmiedete Elemente verwendet. «Hier sieht man bereits, dass die Konstrukteure einiges an Know-how hatten. Sie fingen an, den Kräftefluss zu berechnen, was man als Anfang der Statik lesen kann», sagt Andreas Stump. «In diesem Teil verstärken wir den Windverband, der bereits bestanden hat, indem wir ihn im mittleren Bereich ergänzen. Die schmiedeisernen Aufhängungen ersetzen wir durch gleiche Teile aus nicht rostendem Stahl», erklärt Stump.
Unter den Abschnitten aus dem 16. und 18. Jahrhundert, die als Hängewerk erstellt wurden, bringt man zur Verbesserung der Tragfähigkeit und zur Verminderung der Durchbiegung neue Bugstreben (schräge Abstützungen zu den Brückenpfeilern) an, wie sie teilweise schon früher vorhanden waren. «Die Streben aus Eichenholz werden wie alles verwendete Holz aus den luzernischen Wäldern herbeigeführt», sagt Hartmann.
Exemplarische Bauweise
Die Eichenbalken wurden mehrere Monate in Wasser eingelegt, damit die Gerbsäure herausgewaschen wird und somit den Sandsteinsockel, auf dem sie an den Pfeilern stehen, nicht mehr angreifen kann. Andreas Stump macht einen kurzen Exkurs zur Dimension des Holzes: «Die alten Balken, die keine morschen Stellen oder andere Schäden aufweisen, sind stärker als die auf dem Markt erhältlichen. Das liegt daran, dass der Holzbauer früher selber in den Wald ging und sich das Holz dem Verwendungszweck entsprechend aussuchte. Heute fällt man Bäume, ohne vorher zu wissen, wie sie später verwendet werden.»
Der nördliche 27 Meter lange Brückenabschnitt von 1805 setzte damals Massstäbe, was die Baukonstruktion betraf: Sechs übereinandergelegte gebogene Balken auf beiden Seiten der Brücke überspannen den Reussarm ohne Zwischenpfeiler. «So würde man auch heute noch bauen», sagt Hartmann. Folglich werden die Balken des Bogens bloss miteinander verschraubt, um als ein einheitliches System zusammenzuwirken.
Die ganze Brücke erhält eine neue technische Ausrüstung: Die Stadt ersetzt Beleuchtung, Brandmeldesystem, Videoüberwachung, Taubenschutz und Invalidenlift. Bis heute wird das alles geschehen sein und Andreas Stump bedauert das Ende der Sanierung: «Diese Brücke ist leider ein Ausnahmefall. Es gibt für einen Holzbauingenieur nicht oft solch interessante Projekte.» Dem Zerfall der Spreuerbrücke konnte erfolgreich entgegengewirkt werden, das Provisorium für die Fussgänger wird abgebaut, der Totentanz hängt wieder in den Giebeln und geht weiter, bis zur nächsten Sanierung in 100 Jahren.Von Michael Hunziker
Pläne zu den Sanierungsmassnahmen
Nachgefragt bei Jörg Hartmann
Was gab es bei der Planung der Sanierung der Spreuerbrücke besonders zu beachten?
Bei der Terminplanung mussten wir auf den Wetterverlauf des ganzen Jahres achten. Zwischen Juni und September führt die Reuss zu viel Wasser, dazu kommt der Touristenstrom, der in die Altstadt hinüber will. Wir entschieden uns für die Zeit zwischen November und April und bauten eine Hilfsbrücke für die Passanten des Weihnachtsverkaufs und der Fasnacht.
Wie lange hätte man mit der Sanierung noch zuwarten können?
Vielleicht noch 20 Jahre. Jede Verzögerung hätte aber den Umfang der Sanierungsarbeiten vergrössert. Vor der Fasnacht 2005 hatte ich bemerkt, wie die Brücke schwingt. Eine trampelnde Menschenmasse hätte sie möglicherweise zum Einsturz gebracht, deshalb liessen wir sie mit zwei provisorischen Stahlträgern verstärken.
Wie qualifiziert man sich als Unternehmen für einen solch heiklen Auftrag?
Ich verlangte mindestens drei Referenzobjekte in historischer Holzbauweise. Im Einladungsverfahren fanden wir keinen Zimmermeister zu einem fairen Preis. Erst nach der öffentlichen Ausschreibung stiessen wir auf eine geeignete Firma, die Buob Holzbau AG, die diese anspruchsvollen Restaurationsarbeiten nach unseren Erwartungen anbot.
Zu welchen speziellen Erkenntnissen kamen Sie während der Sanierung?
Erstaunlich war, wie stark sich die Statik der Brücke verbesserte, nachdem wir die Bugstreben angebracht hatten.
Wie lange wird die Brücke nun nach der Sanierung halten?
Der Stahl, den wir verwendeten, ist rostfrei und auch die Tragkonstruktion muss wieder 60 Jahre halten. Am statischen System muss bestimmt die nächsten hundert Jahre nichts mehr geändert werden. Die Verschleissteile wie Boden- und Brüstungsbretter sollen auch wieder rund 20 Jahre halten. (mh)