Thurgau und Schaffhausen: Aussen grün, innen baulich entwickelt
Raumplanung konkret umzusetzen, birgt Konfliktpotenzial. Das musste die Thurgauer Regierung im Umgang mit den Weilerzonen erfahren. In Schaffhausen sorgte derweil die Verdichtung nach innen für politische Grabenkämpfe.
Quelle: Uwe Häntsch, CC BY-SA 2.0, flickr
Weiler Chöll in Stettfurt TG.
Der 15. Mai war für die Wartmanns aus
Amlikon-Bissegg ein schwarzer Tag. Aus dem Amtsblatt erfuhr die Thurgauer
Familie, dass ihr Betrieb – notabene die älteste Tilsiter-Käserei der Schweiz –
ab sofort nicht mehr in der Weiler-, sondern in der Landwirtschaftszone lag.
Ihr Boden im Weiler Holzhof war per kantonaler Verordnung über Nacht vom
Bauland zum Nichtbaugebiet mutiert. Gleich erging es den Landbesitzern in 28
weiteren Kleinsiedlungen, die sich neu ebenfalls in der Landwirtschaftszone
wiederfanden. 114 Weiler hatte der Kanton zudem in eine Art Erhaltungszone
umgeteilt, in der lediglich noch bestehende Bauten erneuert, umgenutzt oder
sanft entwickelt werden dürfen. Die Folgen der harten Umzonung für die
Wartmanns: Ein noch nicht bezifferbarer Wertverlust und Existenzängste aufgrund
der nun fehlenden baulichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Zur vorsorglichen kantonalen Verordnung hatte ein Auftrag
des Bundes geführt: Der Thurgau müsse unerwünschte bauliche Entwicklungen in
Kleinsiedlungen endlich eindämmen, dies basierend auf dem 2013 revidierten
eidgenössischen Raumplanungsgesetz. «Oberstes Ziel ist es, Rechtssicherheit zu
schaffen», sagte die Thurgauer CVP-Baudirektorin Carmen Haag vor den Medien. Es
gehe darum, dass «die historisch gewachsenen und für den Thurgau typischen
Weiler in ihrer Schönheit erhalten bleiben». Die betroffenen Gemeinden hatten
jedoch befürchtet, dass ihre Weiler wegen der Kleinsiedlungsverordnung eher in
Schönheit sterben würden – und erfolglos beim Kanton interveniert. Dieser will
beim raumplanerischen Projekt weiter vorwärtsmachen und das angepasste
Richtplankapitel Ende März 2021 veröffentlichen.
Energetischer Rückenwind
Bereits letzten Frühling hatte der Thurgauer Grosse Rat die
im Vorfeld umstrittene Aufnahme von sechs Windpotenzialgebieten in den
kantonalen Richtplan überraschend deutlich gutgeheissen. Der Bund dürfte das
Paket noch dieses Jahr genehmigen. «Die Planungshoheit liegt dann bei den
Gemeinden, in denen sich Windpotenzialgebiete befinden», sagte Kantonsplanerin
Andrea Näf gegenüber der «Thurgauer Zeitung». Diese könnten Windenergiezonen
einrichten, allerdings im Rahmen eines ordentlichen Nutzungsplanungsverfahrens
mit öffentlicher Auflage. Lokaler Widerstand gegen die geplanten Windparks ist
vorprogrammiert: So setzt sich etwa der Verein Pro Salen-Reutenen vehement
gegen den Bau von sieben Windturbinen auf dem Thurgauer Seerücken ein. Die
schützenswerte Landschaft solle frei von menschlichen Eingriffen bleiben.
Die Regierung wolle den Thurgau «Stufe um Stufe nach oben
bringen», sagte Regierungspräsident Walter Schönholzer von der FDP als er das
Programm der Exekutive bis 2024 vorstellte. «Wir wollen die wirtschaftliche
Entwicklung gewährleisten und gleichzeitig die landschaftliche Schönheit des
Kantons bewahren. Das ist ein enormes Spannungsfeld.» Die Digitalisierung biete
in den dezentralen Strukturen des Thurgaus jedoch «grosse Chancen», sei
Arbeiten doch künftig vermehrt im Homeoffice oder in Co-Working-Spaces möglich,
so Schönholzer weiter.
Museales Unentschieden
Seine eigene Geschichte will der Kanton jedoch auch künftig
physisch vor Ort vermitteln – oder genauer gesagt an zwei Orten. Im
Standortwettbewerb um das Historische Museum entschied der Thurgauer
Regierungsrat nämlich salomonisch: Während der Museumsteil für ältere
Geschichte im zu sanierenden Schloss Frauenfeld verbleibt, soll das neue
Historische Museum für jüngere Geschichte auf dem Arboner Saurerareal
entstehen. Der Kantonshauptort haderte mit dem Entscheid, das Oberthurgauer
Zentrum fühlte sich als Sieger nach Punkten. «Diese ausgewogene dezentrale
Lösung ist ein Gewinn für den gesamten Kanton», sagte der Arboner
Stadtpräsident Dominik Diezi gegenüber der «Thurgauer Zeitung».
Freude herrschte Ende Februar aber auch bei den
«Hauptstädtern». Das Kantonsspital Frauenfeld konnte sein neues Bettenhaus
beziehen. Mit einer Bausumme von 251 Millionen Franken handelt es sich dabei um
das teuerste kantonale Gebäude, das im Thurgau je realisiert wurde.
Abgeschlossen ist das Projekt «Horizont» damit aber noch nicht: Was diesen
Herbst folgt, ist der Rückbau des alten Bettenturms. Im grossen Stil ausgebaut
wird zudem der Frauenfelder Waffenplatz Auenfeld. Bis ins Jahr 2035 will der
Bund in den Armeestandort insgesamt 350 Millionen Franken investieren, um ihn
langfristig zu stärken. Vergangenes Jahr ist die erste Ausbauetappe mit einem
Budgetrahmen von 121 Millionen Franken gestartet, bereits bewilligt sind zudem
86 Millionen Franken für die zweite Etappe.
Raue See, beständiger Kurs
Die Investitionen hoch halten will angesichts der
coronabedingt schwierigen wirtschaftlichen Lage auch der Thurgauer
Regierungsrat. Im erstmals seit Jahren negativen Budget 2021 sind dafür rund 60
Millionen Franken veranschlagt. «Wir wissen, wie wichtig diese Investitionen
für das Gewerbe im Kanton Thurgau sind», sagte der neue Finanzdirektor Urs
Martin im September vor den Medien. «Daher belässt sie der Regierungsrat auf
Vorjahresniveau – trotz voraussichtlicher Steuerausfälle in Höhe von 35
Millionen Franken.»
Dem von linker Seite geforderten Impulsprogramm hatte Martin schon früher eine Absage erteilt: «Ein solches kommt in der Regel zu spät und wirkt am falschen Ort.» Ausserdem habe der Kanton zusammen mit den Banken rechtzeitig ein 100-Millionen-Hilfsprogramm zur Linderung der wirtschaftlichen Corona-Folgen aufgegleist. Wegen des budgetierten Minus von 27,1 Millionen Franken sei zudem eine allgemeine Steuersenkung kein Thema mehr, ergänzte der SVP-Regierungsrat wohl zuhanden der eigenen Parteifreunde. Nach dem klaren Volks-Ja zum kantonalen Steuerpaket von Anfang Februar war hingegen der Gewinnsteuersatz für Thurgauer Unternehmen rückwirkend per 1. Januar 2020 von 4 auf 2,5 Prozent gesunken.
Quelle: ETH-Bibliothek Zürich; Comet Photo AG; Com_FC18-8580-032; CC BY-SA 4.0
Die grünen Thurgauer Wiesen werden weniger: Schon 1997 dehnte sich das Siedlungsgebiet in Amriswil aus, wie diese historische Luftaufnahme zeigt.
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