13:40 BAUBRANCHE

«Schweizer Baubranche steckt bei KI noch in Kinderschuhen»

Geschrieben von: Simone Matthieu
Teaserbild-Quelle: ChatGPT/Dall-e/mai

Gianluca Genova von «Bauen digital Schweiz» und «Building Smart Switzerland» ist digitaler Berater. Seine Mission ist es, Bauherren sowie Fachexperten der Planung und des Baus bei der Digitalisierung und Transformation ihrer Projekte zu begleiten und bei der Implementierung moderner Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), BIM und datenbasierter Prozesse zu unterstützen. Er beleuchtet die aktuellen Herausforderungen.

KI-Bild Baustelle der Zukunft

Quelle: ChatGPT/Dall-e/mai

Heute kann KI nur einzelne Aufgaben im Bau angehen.

Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt die Welt – und Unternehmen. Doch längst nicht überall ist KI so anwendbar, wie es sich viele vorstellen. Gianluca Genova betont: «Zuerst einmal muss man wissen: Es gibt zwei Arten von KI. Einerseits generische KI-Modelle, wie etwa die Lösungen von OpenAI, die allen Menschen zur Verfügung stehen. Diese sind auf der Stufe von ‹Massen-Knowhow›.» Für fachspezifische Bedürfnisse brauche es andererseits separate, spezialisierte und eigens trainierte Fach-KIs. Diese funktionieren allerdings nur, wenn sie mit strukturierten, vertrauenswürdigen Datensätzen trainiert werden. «Diese Daten fehlen uns noch – ebenso die personellen und finanziellen Ressourcen, um eine entsprechende KI aufzubauen und zu implementieren.» 

Die Schweizer Baubranche steckt laut Genova noch in den Kinderschuhen, wenn es um den Einsatz von KI geht. Es gebe derzeit auch international keine KI, die über das notwendige Grundwissen verfüge, wie ein Haus gebaut wird. Eine spezialisierte KI erfordert grosse Mengen präziser und verlässlicher Daten, doch diese seien in der Bauwirtschaft kaum vorhanden, weil jeder mehr oder weniger für sich arbeitet. Die Fragmentierung und Heterogenität der Daten sind das zentrale Problem: «Jeder Architekt, jedes Bauunternehmen und jeder Bauingenieur arbeitet nach eigenen Methoden, verfolgt individuelle Methodiken. Dies führt zu einer Vielzahl inkompatibler Datenformate, Softwarelösungen und Fachbegriffe.» Diese Inkompatibilitäten erschweren den Aufbau gemeinsamer Datenpools und machen es äusserst schwierig, allgemein gültiges Wissen zusammenzutragen. Zwar werde im Bauwesen mehr Datenqualität gefordert, allerdings verstehe kaum jemand, warum er das tun soll. «Weil viele die Technologie nicht richtig verstehen, können sie auch nicht sinnvoll in KI investieren oder sie effektiv nutzen.»

Datenbank unter staatlicher Aufsicht

Das «Gärtchendenken», die Angst vor Wettbewerbsnachteilen und die Befürchtung, ihre Expertise sei nicht mehr gefragt, blockiert die Entstehung gemeinsamer Datenplattformen unter den Akteuren im Bau ebenfalls. Der Wissensaustausch zwischen den einzelnen Beteiligten sei jedoch entscheidend, um das Potenzial der KI vollständig auszuschöpfen. Genova plädiert für einen pragmatischen Ansatz: Eine zentral verwaltete Datenbank unter staatlicher Aufsicht, aus der ein KI-Modell entwickelt werden könnte. Nicht von heute auf morgen, aber in einem graduellen Prozess, bei dem Unternehmen zunächst eigene KI-Enterprise-Lösungen entwickeln. Diese könnten dann durch neue Geschäftsmodelle und verstärkte Zusammenarbeit schrittweise zu einer gemeinsamen, branchenweiten KI-Lösung zusammenwachsen. «Wir brauchen einen Plan, der sicherstellt, dass unsere Daten von Anfang bis Ende hochwertig sind. Nur so können wir KI im Bauwesen nutzbringend einsetzen.»

Trotz der vielen Herausforderungen sieht Genova durchaus schon heute sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für KI in der Baubranche – allerdings in deutlich kleineren Dimensionen, als viele erwarten. KI sei kein «magischer Problemlöser», der die gesamte Bauplanung oder das Architekturdesign übernehmen könne. Vielmehr handelt es sich um ein Werkzeug, das gezielt eingesetzt werden muss, um die Effizienz zu steigern, und die menschliche Expertise zu unterstützen. Er sieht sinnvolle Anwendungen in Bereichen wie der Vorstudienanalyse, der Erstellung von Berichten, der Projektverwaltung und der Automatisierung von Routineaufgaben. «Da ist man mit der KI auf einer Art Brainstorming-Stufe, darin ist sie stark. Sie kann uns punktuell unterstützen. Sie wird uns allerdings nicht ersetzen, auch in Zukunft nicht, aber sie kann uns helfen: Ich spare durch die Arbeit mit KI sicher einen Arbeitstag pro Woche. Ich erstelle meine Recherchen, Berichte, Präsentationen, E-Mails mithilfe von KI. Im Büro ist KI also ein guter Assistent auf Stufe eines Praktikanten. Ich brauche allerdings nur schon für die erwähnten Arbeiten mindestens fünf verschiedene KI-Applikationen.»

Gianluca Genova

Quelle: zvg

Gianluca Genova von «Bauen digital Schweiz» und «Building Smart Switzerland» ist digitaler Berater.

Für das Bauwesen gibt es weltweit zurzeit knapp 1500 KI-Tools, die man anwenden kann. Diese führen allerdings lediglich je eine einzelne Tätigkeit aus, gehen ein ganz spezifisches Problem an. «Es gibt nicht die superintelligente Über-KI, die alles für dich tut. Wenn Du eine gute Datenbank hast, entsteht Magie – ohne Daten geht nichts.» Genau da hat die Schweizer Baubranche ein Problem: «Die Digitalisierung in der Schweizer Baubranche erfolgte schrittweise mit hybriden Übergangsphasen: von Handplänen in den frühen 1990er-Jahren über CAD-Software bis hin zu BIM, das seit Ende der 2010er-Jahre zunehmend implementiert wird. Wir haben heute immer noch eine sehr heterogene und unstrukturierte Datenbasis in den Planungsmethoden. Mit dieser heterogenen Datengrundlage können wir nur KI-Modelle mit beschränkten Funktionalitäten trainieren. Deshalb müssen wir momentan lernen, mit verschiedenen trainierten KI-Tools umzugehen und Multi-KI-Fähigkeiten zu erweitern.»

Digital versierte BIM-Fachleute

Eine weitere Schwierigkeit ist laut Genova die Tatsache, dass die Baubranche mit zwei grossen Wandeln gleichzeitig konfrontiert ist: «Wir erleben gerade zwei Transformationen gleichzeitig: die digitale Ära, in der wir bereits im Rückstand sind, und jetzt folgt schon die nächste: die KI-Ära. Digitalisierung und KI-Revolution überlappen sich in der Baubranche. Wir haben noch nicht einmal beim BIM einen Konsens erreicht.» BIM-Experten gehören derzeit zu den digital versiertesten Fachleuten im Bauwesen und müssen sich bereits neue KI-Kompetenzen aneignen.

Die Entwicklung eigener KI-Lösungen ist für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Baubranche unverzichtbar. «Dies gewährleistet nicht nur technologische Unabhängigkeit, sondern macht die Schweiz auch zu einem innovativen KI-Hub im Bausektor, schafft Arbeitsplätze und zieht Investitionen an», erklärt Genova. Er betont jedoch, dass dies einen tiefgreifenden kulturellen Wandel erfordert: «Wenn plötzlich grosse ausländische Firmen KI-Systeme für den Bau anbieten, wird es einen Kulturschock geben – das wird sehr disruptiv und radikal. Der Bausektor ist konservativ und geschlossen, eine KI das genaue Gegenteil. Wir müssen die Expertise über das Funktionieren von KI aufbauen, die Leute sensibilisieren und sie überzeugen, dass eine KI nur so gut ist, wie die Daten, mit denen sie trainiert wird.» Bauunternehmen müssen bereit sein, ihr Wissen zu teilen und sich an der Schaffung gemeinsamer Datenbanken zu beteiligen. «Staatliche Förderprogramme für KI-Forschung, klare regulatorische Rahmenbedingungen und gezielte Infrastrukturinvestitionen können diesen Wandel beschleunigen und ein solides Fundament für ein nationales Bau-KI-Ökosystem schaffen», fügt Genova hinzu.

Roboter KI

Quelle: ChatGPT/Dall-e/mai

Die Schweizer Baubranche steckt laut Gianluca Genova noch in den Kinderschuhen, wenn es um den Einsatz von KI geht.

Klare Visionen gesucht

Obwohl Genova die aktuelle Lage kritisch sieht, blickt er dennoch optimistisch in die Zukunft. «Jede Firma hat heute schon irgendein KI-Produkt. So bekommt man das Gefühl, dass KI neu ist. Aber KI-Modelle gibt es schon seit zehn bis zwanzig Jahren. Seit sie für die Öffentlichkeit zugänglich sind, ist KI nun einfach ein grosses Thema. Es wird viel mehr Kapital reingesteckt und die Entwicklung schreitet schneller voran. Was vorher ein Jahr dauerte, kann jetzt in einem Monat realisiert werden. Die Beschleunigung ist also da.» Die Chancen, die KI und Digitalisierung bieten, seien immens – vorausgesetzt, die Branche sei bereit, sich zu öffnen und gemeinsam an einer besseren Zukunft zu arbeiten. «Jetzt haben wir wenigstens ein Ziel», sagt er. «Es ist besser, eine klare Vision zu haben und konkrete Schritte in Richtung einer digitalisierten und KI-gestützten Bauwirtschaft zu unternehmen, als weiterhin ziellos ‹herumzudigitalisieren›.» Diese Beschleunigung des Fortschritts, gepaart mit einer klaren Vision und strategischer Umsetzung, ebnet den Weg für eine effiziente und innovative Zukunft der Bauwirtschaft.

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