10:31 BAUBRANCHE

Quartierplanung à la Domenig

Teaserbild-Quelle: Matthias Dietiker

Wer über die Architektur von Chur etwas schreiben will, kommt um das Architekturbüro Domenig nicht herum. Seit bald 80 Jahren und über drei Generationen prägen die Architekten das Stadtbild. Ihr neustes Werk heisst City West und wird von vielen auch als die neuen Twin Towers Graubündens angepriesen.

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Hochhäuser Chur from Matthias Dietiker on Vimeo.

Thomas Domenig senior empfängt uns in seinem Büro an der Belmontstrasse im Herzen seines ersten städtebaulichen Meisterwerks, dem Lacuna-Quartier, Etappe eins. In den 60er-Jahren gebaut, sind die Räumlichkeiten noch heute von einer ungebrochenen Eleganz. Sie zeigen auch die Philosophie der anderen Bauten, die Qualität und Wirtschaftlichkeit miteinander vereinen. Hinter Domenig hängt ein grosser Stadtplan von Chur. Gut ein Drittel der Parzellen ist gelb eingefärbt. «Sind das die Gebäude, welche Sie in Chur realisiert haben?», wage ich kleinlaut zu fragen. «Ja, ja», meint Thomas Domenig mit seiner rauchgeschwängerten Stimme schmunzelnd, «es wären eigentlich noch mehr, aber die Tinte des gelben Stiftes ist mir leider ausgegangen». Genüsslich zündet er seine Pfeife an.

Imposantes Lebenswerk

Ja, er kann sich zurücklehnen, sein imposantes Lebenswerk betrachten. Nach dem Studium an der ETH trat er nach einem Assistenzjahr bei Professor William Dunkel 1958 ins Architekturbüro seines Vaters ein. Voller Tatendrang, dies umzusetzen, was er im Studium gelernt hatte. Sein Vater hatte dazumal bereits einige Grundstücke im Churer Aussenbezirk «Im Lachen» gekauft. Nach der Realisierung des ersten Quartierplans in Chur, dem Solaria-Park, folgte als grösstes zusammenhängendes Werk der Quartierplan Lacuna. «Der Name kommt vom ursprünglichen Flurnamen ‹im Lachen›, was nichts anderes heisst als ‹überschwemmtes Gebiet›, Lagune, Lacuna», erklärt Domenig die Namensgebung.

Das Gebiet war prädestiniert für den Gedanken einer weitsichtigen Quartiersplanung. Während die damals vorhandene Stadt weitenteils organisch dem Schuttkegel der Plessur entlang gewachsen war, wäre es eine unverzeihliche Unterlassung gewesen, hier in der Weite der Rheinebene die planerischen Möglichkeiten jener Zeit einfach brachliegen zu lassen. «Für mich war klar, dass es in diesem Gebiet auch Hochhäuser geben musste. Der Vorteil eines Hochhauses ist schnell aufgezeigt.» Der Architekt zeichnet eine imaginäre Parzelle mit vier Quadraten darauf. «Sehen Sie: Wenn wir diese Parzelle mit fünfgeschossigen Bauten bebauen, dann verstellen wir die ganze Parzelle. Stapeln Sie diese fünfgeschossigen Gebäude jedoch aufeinander, erhalten Sie riesige Freiflächen. Und diese machen auch das Lacuna-Quartier aus. Bei der Setzung der Gebäude ist es jedoch wichtig, dass alle freie Sicht auf die Grünanlagen haben», erklärt Thomas Domenig den Gestaltungsplan. Mit dieser Sichtweise liegt er voll in der Tradition der klassischen Moderne, welche Hochhäuser nicht als Verdichtungsmassnahme, sondern als Zeichen des modernen Aufbruchs und auch einer modernen Lebensweise verstanden hat. Wir machen einen Rundgang durchs Quartier. «Schauen Sie, wie grün es hier ist», schwärmt Domenig, «früher haben wir selbst hier gewohnt, als unsere Kinder noch klein waren. Damals waren Ententeich und Spielplatz von Kindern belagert. Es ist schon eine deutliche Überalterung der Siedlung merkbar, aber langsam kommt der Generationenwechsel». Wie sieht es denn mit dem Renovationsbedarf der Gebäude aus? «Die meisten wurden bereits renoviert. Da ein grosser Teil der Bauten damals erstmalig in Graubünden in Stockwerkeigentum aufgeteilt und verkauft wurde, sind die Besitzer selber für die Renovierung der Innenräume verantwortlich. Nur an der Aussenhülle dürfen sie eigentlich nichts machen, aber leider sieht man hie und da mal ein ausgewechseltes Fenster oder einen selbst montierten Rafflamellenstoren. In den meisten Fällen wird jedoch wieder unser Büro für die Fassadensanierung aufgeboten». Bei den Renovierungen hätte sich auch gezeigt, dass die Gebäudehüllen bereits in den 60er Jahren hervorragend gedämmt wurden. Eine Aufdoppelung der Isolationsschicht, oder sogar eine Aussendämmung, die den Charakter der Häuser massiv beschnitten hätte, wäre nicht notwendig gewesen. «Mein Vater hat bautechnisch schon damals sehr darauf geschaut, dass die Qualität stimmt. Auch das Thema des Schallschutzes war ihm sehr wichtig». Die Wertigkeit der Siedlung ist wirklich auf Schritt und Tritt spürbar: die Setzung der Gebäude, die Fassadenausbildungen, die Abwechslung von hohen und liegenden Häusern, die grosszügigen Eingänge und Grundrisse – all das ist in sich stimmig und es erstaunt nicht, dass immer wieder durchgeführte Umfragen bei den Bewohnern des Quartiers bis heute stets einhellig positive Ergebnisse zeigten. Auch finanziell scheint der Besitz einer Wohnung im Lacuna-Quartier keine schlechte Investition zu sein. Domenig: «Ich weiss von Wohnungen, welche die Besitzer damals für 250 000 Franken gekauft und heute für fast eine Million wieder verkauft haben».

Quartier Kalchbühl

Szenenwechsel. Wir fahren ans andere Ende der Stadt. Ins Quartier Kalchbühl. Auch hier hat das Büro Domenig seine Spuren hinterlassen. So stammt etwa der dunkel blau spiegelnde Gebäudekomplex, der die Tourismusfachschule und die Redaktionen der Südostschweiz-Mediengruppe beheimatet aus seiner Feder. Aber auch die vier weissen Kuben, welche andere Dienstleitungsbetriebe und etwa auch den Migros-Do-it-yourself-Laden beherbergen, stammen von der gleichen Urheberschaft. Nicht zu vergessen das pyramidenförmige Hotel Ibis mit McDonald’s oder die stilisierte Bergkette der Migros-Maxistore-Filiale auf der anderen Seite der Kasernenstrasse.

Schaut man sich Luftbilder des entstehenden Kalchbühl-Quartiers an, so sieht man, dass die Gebäude zwischen Raschären- und Kalchbühlstrasse eine Einheit bilden. Domenig: «Wir sind in diesem Quartier schon seit mehr als 30 Jahren tätig. Auch die Grundstücke, welche die Grundlage des neuen Gebäudekomplexes City-West bilden, haben wir nach und nach zusammengekauft». Die Domenig Immobilen AG stellt denn auch 75 Prozent des Investoren-Kapitals, 20 Prozent kommen von der Sachs Gruppe und die restlichen fünf Prozent lässt eine Baugenossenschaft einfliessen. «Die Erstellungskosten belaufen sich etwa auf 150 Millionen Franken», resümiert Domenig.

Projekt City West

Das Projekt City West bildet den Abschluss der Quartierentwicklung. Als Herzstück der Überbauung ragen Zwillingstürme in den Churer Himmel. «Wenn man jetzt von der Autobahn Ausfahrt Süd nach Chur hineinfährt, dann zeigt sich die Stadt hier sehr mondän und selbstbewusst», meint Domenig. Die Twin Towers bilden nämlich nicht nur den räumlichen Abschluss des Komplexes, sondern setzen auch einen ganz besonderen städtebaulichen Akzent. Die zwei Hochhäuser stehen optisch auf einem riesigen Sockelbau, statisch sind sie natürlich in den Boden verankert. Der Sockelbau bedeckt eigentlich das ganze Grundstück.

In ihm kommt ein riesiges Einkaufs- und Gewerbezentrum zu liegen. Als Grossverteiler hält Coop im ersten OG auf einer Fläche von rund 4000 Quadratmetern über zwei Stockwerke hin Einzug. «Ich habe gelernt, dass man die übrigen Läden niemals in den oberen Stockwerken planen darf, sonst haben Sie kein Brot», meint der Architekt. Darum kommen die weiteren Geschäfte wie etwa H&M, Ochsner Sport, New Yorker und Dosenbach im Erdgeschoss zu liegen. «Was ich auch gelernt habe, ist, dass man dem eiligen Kunden nebst der Tiefgarage auch eine oberirdische Parkierung direkt beim Einkaufsladen bieten muss», erklärt er weiter. Darum sind im ersten und zweiten OG nebst den 480 Parkplätzen in der Tiefgarage noch weitere 200 Parkplätze vorgesehen. Auch mit dem öffentlichen Verkehr ist das Einkaufszentrum gut zu erreichen. «Eigentlich wäre es im Projekt vorgesehen, dass der Bus innerhalb des Gebäudekomplexes, direkt vor dem Mall-Eingang halten sollte, aber scheinbar ist das nicht machbar, also hält er nun vor dem Gebäude. Das ist auch nicht schlecht, so können wir später vielleicht noch mehr Geschäfte unterbringen». Die Eröffnung des Einkaufsparadieses findet am 11. November 2011 um 11 Uhr statt. Angesichts des Rohbauzustandes, scheint dies doch eine recht sportliche Terminvorgabe zu sein. «Ja, sie müssen schon noch an ein bisschen Gas geben, aber das schaffen wir schon», meint Domenig zuversichtlich und er weiss ja, wovon er spricht.

Bei den Türmen, die im Herbst 2012 bezugsbereit sein sollen, ist der Bau Ende Juli 2011 beim 15. Stockwerk angelangt. Jetzt kommen hier noch fünf Geschosse oben drauf plus ein freies Attikageschoss. Total haben die Hochhäuser eine Höhe von 79 Metern über Boden, was 24 Stockwerken entspricht. In den beiden Türmen sind verschiedene Nutzungen vorgesehen. So befinden sich im ersten Hochhaus in den ersten sieben Geschossen ab Sockelgeschoss ein Hotel mit 49 Zimmern und ein Restaurant. Darüber sind mehrere Stockwerke für Büros geplant.

In den obersten Stockwerken des ersten Hochhauses wird eine Altersresidenz eingerichtet. «Ich habe da tatsächlich bereits eine Wohnung für mich reserviert, als Gästeappartement», meint Domenig, «die Sicht von da oben – über die Stadt und ins Bündner Oberland hinauf – ist natürlich einmalig». Im zweiten Hochhaus kann der untere Teil flexibel genutzt werden, etwa für Büros oder Arztpraxen. Der Rest ist für Wohnungen mit 2,5- bis 4,5-Zimmern reserviert. Die Fassade der Türme und des Sockelbaus wird in weissem Metall, Beton und Glas ausgeführt. Dadurch wird der Gebäudekomplex auch optisch ins Kalchbühl-Quartier eingebunden. Und wo bleibt das Grün, das Domenig bei seiner Quartierplanung im Lacuna-Quartier so wichtig war? «Natürlich ist das hier ein bisschen eine andere städtebauliche Situation. Die Dichte ist um einiges höher als im Lacuna. Trotzdem hoffen wir, mit der Begrünung des Sockelbau-Daches und mit einer parallel zur Kasernenstrasse verlaufenden Baumallee etwas mehr Natur ins Kalchbühl zu bringen.» (Anita Simeon Lutz)

Auszüge aus der Broschüre aus dem Jahr 1973 zum Lacuna-Quartier

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