Pritzkerpreis für Lacaton & Vassal: Rückbau, eine Verschwendung?
Umbauen statt rückbauen. Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Sie passen bestehende Bauten neuen Bedürfnissen an und bewahren ihre ursprünglichen Qualitäten. Nun haben sie den Pritzkerpreis erhalten.
"Gute Architektur ist offen. Sie
ist offen gegenüber dem Leben und einer Freiheit, in der sich jeder entfalten
kann", sagt Anne Lacaton von Lacaton & Vassal. „Architektur soll weder
protzig noch aufdringlich sein, sondern vertraut, nützlich und schön. Sie soll
dem Leben dienen, das in ihr stattfindet." Die Architektin ist gemeinsam
mit ihrem Partner Jean-Philippe Vassal mit dem diesjährigen Pritzkerpreis
geehrt worden. Das französische Architektenduo wird damit Teil einer erlauchten
Runde. Vor ihnen sind neben anderen etwa Shigeru Ban, Jørn Utzon, Zaha Hadid,
Balakrishna Doshi, Eduardo Souto de Moura, SANAA, Peter Zumthor und Herzog
& de Meuron ausgezeichnet worden.
„Hoffnungen und Träume der Moderne“
Die Jury lobt ihren „kraftvollen Sinn für Raum und
Materialien“ und dass ihre Architektur „ebenso stark in ihren Formen wie in
ihren Überzeugungen“ sei. „Die Hoffnungen und Träume der Moderne, das Leben der
Menschen zu verbessern, werden durch ihre Arbeit neu belebt“, heisst es in der
Begründung der Jury.
Mit ihren Projekten liefern Lacaton und Vassal Antworten auf
ökologische Fragen, sie suchen aber auch nach Lösungen für soziale
Herausforderungen. Letzteres wird vor allem in ihren Wohnungsbauprojekten
deutlich. Das zeigt sich darin, dass Wohnräume um Wintergärten und Balkone
erweitert werden. Auf diese Weise lässt sich Energie sparen, gleichzeitig
können die Bewohner unabhängig von der Jahreszeit die Natur geniessen.
Ein Beispiel dafür ist die 1993 erbaute „Maison Latapie“ im
südfranzöischen Floirac. Bei diesem Projekt griffen Lacaton und Vassal erstmals
für den Wintergarten auf Gewächshaustechnologien zurück: Ausfahrbare,
transparente Polycarbonat-Paneele sorgen an der Rückseite des Hausen dafür, dass
die gesamte Wohnung von natürlichem Licht erhellt wird und man Wohnzimmer sowie
Küche ohne viel Kostenaufwand vergrössern konnte.
Sozialwohnungen vergrössern
Ähnliches gilt für die 17-stöckige Überbauung „La Tour Bois le Prêtre“ aus den 60er-Jahren in Paris, wenn auch in viel grösserem Massstab als jene im südfranzösischen Floriac: Lacaton und Vassal erweiterten die insgesamt 96 Wohnungen, indem sie die ursprüngliche Betonfassade mit Balkonen ersetzten. Grosse Fenster bieten zusätzliches Licht und einen weiten Blick über die Stadt.
Dieses Konzept wandten die Architekten 2017 auch auf drei
Gebäude – insgesamt 530 Wohnungen – der Sozialüberbauung Grand Parc in Bordeaux
an. Die Veränderungen waren hier ebenfalls dramatisch, weil die einzelnen
Wohnungen teils stark erweitert werden konnten. Bei einigen liess sich die
Fläche gar verdoppeln, ohne dass die Nachbarn verdrängt wurden. Der Umbau war
günstig, er belief sich gerade Mal auf einem Drittel der Kosten für einen
Neubau.
„Verschwendung von Energie, Material und Geschichte“
Von neuen und grösseren Räumen profitierte auch der Palais
de Tokyo in Paris. Lacaton und Vassal veschafften dem Museum
zusätzliche 20‘000 Quadratmeter, zum Teil über unterirdische Räume. Oder ein
ehemaliges Werftgebäude in Dunkerque: Sie liessen die spektakuläre Halle stehen
und errichteten daneben eine Art Zwilling: ein transparentes Gebäude von
ähnlicher in Form und Grösse.
Transformation bedeutet für Lacaton, etwas was bereits vorhanden ist, zu verbessern. Der Entscheid für einen Rückbau sei bequem und kurzfristig. „Es ist eine Verschwendung von vielem, von Energie, Material und Geschichte. Und es wirkt sich sozial negativ aus“, sagt Locaton. Ein Abbruch ist für sie Vassal „ein Akt der Gewalt.“ (mai)
Quelle: Pritzker Prize
Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal.