Nationalrat will staatliche Nothilfen für angeschlagene Stahlwerke
Der Nationalrat will wirtschaftlich angeschlagene Betriebe der Stahl- und Aluminiumproduktion staatlich unterstützen. Er hat entsprechende Überbrückungshilfen nach einer vierstündigen Debatte angenommen. Über das dringliche Gesetz entscheidet nun der Ständerat.
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Der Nationalrat will wirtschaftlich angeschlagene Betriebe der Stahl- und Aluminiumproduktion staatlich unterstützen.
Das Thema wurde am Dienstag in der grossen Kammer kontrovers und zuweilen emotional diskutiert. Letztlich stimmten SP und Grüne, die Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie einzelne Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion für die Staatshilfen. Die GLP war geschlossen dagegen, die SVP- und die FDP-Fraktion mehrheitlich.
Die Überbrückungshilfen für die wirtschaftlich angeschlagene
Stahl- und Aluminiumindustrie will der Nationalrat in einer separaten Vorlage
regeln. In der Gesamtabstimmung wurden die Änderungen im Stromversorgungsgesetz
mit 108 zu 84 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Die Umwelt-, Raumplanungs-
und Energiekommission des Nationalrats (Urek-N) hatte die Vorschläge
ausgearbeitet.
Mehrere Kriterien
Demnach sollen Eisen-, Stahl- und Leichtmetallgiessereien «von
strategischer Bedeutung» unter Auflagen finanziell entlastet werden. In
Medienberichten zu den Unterstützungsplänen genannt wurden Stahl Gerlafingen im
Kanton Solothurn, Swiss Steel in Emmenbrücke LU und die Walliser
Aluminiumgiesserei Novelis.
Konkret soll ihnen während vier Jahren – zwischen 1. Januar
2025 und dem 31. Dezember 2028 – ein Teil der Gebühren für die Nutzung des
Stromnetzes erlassen werden. Im ersten Jahr sollen die Gebühren um 50 Prozent
reduziert werden, im zweiten um 37,5 Prozent, im dritten um 25 Prozent und im
vierten um 12,5 Prozent. Für diesen Rabatt aufkommen sollen alle
Stromkonsumenten solidarisch.
Falls Unternehmen von den Überbrückungshilfen profitieren möchten, müssen sie gemäss den Beschlüssen des Nationalrats mehrere Transparenz- und Nachhaltigkeitsbedingungen erfüllen. Dividenden dürfen sie nicht auszahlen. Zur Absicherung sollen die Unternehmen zudem Standortgarantien abgeben. Halten sie die Auflagen nicht ein, sollen sie die Subventionen zurückzahlen müssen.
«Pragmatische Lösung»
Die Mehrheit im Nationalrat begründete die Staatshilfen mit
der Bedeutung dieser Unternehmen für die Kreislaufwirtschaft. Die Branche müsse
gestützt werden, da Schweizer Stahl ökologischer sei als importierter Stahl,
argumentierte etwa SP-Sprecher Jon Pult (GR).
Aline Trede (Grüne/BE) verwies auf die Hunderten gefährdeten
Arbeitsplätze. Stahl Gerlafingen im Kanton Solothurn wartet die politischen
Entscheide auf Bundesebene ab und verzichtet vorerst auf den Abbau von 120
Stellen. «Es geht um eine pragmatische Lösung für ein offensichtliches Problem»,
gab Roger Nordmann (SP/VD) zu bedenken. Dies verschaffe der Branche Zeit, um
einen mittelfristigen Plan umzusetzen.
Kommissionssprecher Stefan Müller-Altermatt (Mitte/SO)
rechtfertigte den Schritt damit, dass die Stahlindustrie in der EU «hochsubventioniert»
sei. Er warb deshalb für einen «Europa-Konter». Seine Fraktionskollegin Priska
Wismer-Felder (LU) hielt fest, dass bei einem Untergang der Schweizer Betriebe
sämtlicher Stahlschrott ins Ausland exportiert und danach reimportiert werden
müsste.
Die Befürworter gaben mehrfach zu bedenken, dass die Hilfen
temporär seien und mit strengen Auflagen verbunden seien. Die Mitte-Fraktion
zeigte sich offen dafür, falls der Ständerat die Bedingungen verschärfen wolle.
«Neuauflage des Marxismus»
Harsche Kritik kam aus den Reihen der SVP, FDP und GLP. Mike
Egger (SVP/SG) bezeichnete die Staatshilfen als «Neuauflage des Marxismus» und
als «Bürokratiemonster». Aus Sicht seiner Fraktion hat die «links-grüne Politik»
zu den Problemen bei den Industriebetrieben geführt.
Es sei bisher immer von Vorteil gewesen, keine Politik für
einzelne Branchen und Unternehmen zu machen, fand auch die FDP. «Diese
Industriepolitik durch die Hintertüre öffnet Begehrlichkeiten anderer Branchen,
welche auch unter hohen Energiepreisen leiden», sagte Sprecherin Susanne
Vincenz-Stauffacher (SG).
Martin Bäumle (GLP/BE) kritisierte die Vorlage als «unsägliche
Stahl-Gerlafingen-Geschichte». Der Vorschlag sei verfassungswidrig, mehrere
wichtige Fragen seien im Vorfeld von der Urek-N nicht geklärt worden. Die
Minderheit bezweifelte weiter, dass die Entlastung die strukturellen Probleme
der Betriebe beheben kann.
Bundesrat gegen Industriepolitik
Über die Vorlage wird der Ständerat voraussichtlich in der
dritten Sessionswoche befinden. Zudem befasst er sich mit Vorstössen, welche
den Bundesrat auffordern, weitere Massnahmen zum Erhalt der Stahlproduktion in
der Schweiz zu treffen.
Die Landesregierung hatte bislang eine staatliche Förderung einzelner Unternehmen oder Branchen abgelehnt. Energieminister Albert Rösti bekräftigte im Nationalrat diese Haltung. «Der Bundesrat betreibt keine Industriepolitik.» (sda)
Gewerkschaften: Kampf der Stahlarbeiter führte zu Entscheid
Gewerkschaften und Personalverbände haben den Beschluss des Nationalrats für staatliche Nothilfe zugunsten der angeschlagenen Stahlwerke begrüsst. Der Entscheid vom Dienstag sei ein Resultat des entschlossenen Kampfes der Stahlarbeitenden, teilten Syna, Unia, der kaufmännische Verband Schweiz und Angestellte Schweiz mit.
Die Belegschaften haben in den letzten Wochen mehrfach auf die Bedeutung ihrer Arbeit und die einheimische Stahlproduktion hingewiesen. Dies taten sie laut Mitteilung unter anderem mit Kundgebungen in Bern, Gerlafingen SO und Emmenbrücke LU sowie in Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern.
Die finanzielle Unterstützung der Stahl- und
Aluminiumwerke sei richtigerweise an Bedingungen geknüpft, hiess es weiter. Unternehmen müssen eine Standortgarantie abgeben, was
auch Massenentlassungen eines substanziellen Teils der Belegschaft
ausschliesst.