Nationalrat will Lärmschutz bei Wohnungsbau weniger stark lockern
Der Nationalrat will den Wohnungsbau in lärmbelasteten Gebieten weiterhin erleichtern, doch weniger stark als der Ständerat. Das hat er am Dienstag bei der zweiten Beratung einer Revision des Umweltschutzgesetzes beschlossen.
Quelle: Ben Kron
Das Gebiet um die Rosengartenstrasse in der Stadt Zürich ist besonders stark von Verkehrslärm betroffen.
Die grosse Kammer sprach sich dafür aus, dass in neuen Wohnungen mindestens die Hälfte der lärmempfindlichen Räume über ein Fenster verfügen soll, bei dem bei Messungen die Lärmgrenzwerte eingehalten werden. Lärmempfindliche Räume sind Zimmer, in denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten.
Wird eine kontrollierte Lüftung installiert, genügt es, wenn die am offenen Fenster gemessenen Grenzwerte in einem lärmempfindlichen Raum pro Wohnung eingehalten werden. Dasselbe gilt, wenn ein ruhiger, privat nutzbarer Aussenraum zur Verfügung steht.
Geht es nach dem Ständerat, sollen die Grenzwerte bei Wohnungen mit kontrollierter Lüftung an keinem offenen Fenster mehr eingehalten werden müssen.
Diese Position gehe zu weit, lautete allgemein der Tenor im Nationalrat. Kein einziges Fenster öffnen zu können, an dem die Lärmgrenzwerte eingehalten werden, sei eine «schreckliche Vorstellung für die Kommission», sagte etwa Stefan Müller-Altermatt (Mitte/SO), Mitglied der vorberatenden Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats (Urek-N).
Keine Chance für Lüftungsfensterpraxis
Ohne Erfolg setzte sich im Nationalrat eine Minderheit ein für die sogenannte Lüftungsfensterpraxis, welche auch der Bundesrat und der Schweizer Städteverband befürworten. Sie besagt, dass Wohnungsbau in Gebieten mit übermässigem Lärm dann möglich ist, wenn bei jeder Wohneinheit jeder lärmempfindliche Raum über ein Fenster verfügt, bei dem die Immissionsgrenzwerte eingehalten werden.
Lange wurde diese Praxis in mehreren Kantonen angewendet, doch setzte ihr das Bundesgericht 2015 mit einem Urteil zu einem Fall im Kanton Aargau ein Ende. Der Bundesrat wollte diese Praxis im Gesetz verankern.
Für die Minderheit im Nationalrat beeinträchtigt ein Abbau beim Lärmschutz die Wohnqualität und gefährdet die Gesundheit. Alle Architekten sagten ihr, mit einer kontrollierten Lüftung allein bringe man im Sommer die Wärme nicht aus den Zimmern, sagte im Rat Gabriela Suter (SP/AG) im Namen der Minderheit.
Christian Wasserfallen (FDP/BE) gab zu bedenken, in der Schweiz habe es im vergangenen Jahr eine Nettozuwanderung von 100'000 Personen gegeben. Wenn man die Lüftungsfensterpraxis anwenden wolle, könne man in lärmbelasteten Gebieten faktisch keine Wohnungen bauen.
Mit 130 zu 64 Stimmen sprach sich der Nationalrat für den Vorschlag seiner vorberatenden Kommission aus und gegen den Antrag der Minderheit Suter zugunsten der Lüftungsfensterpraxis.
Kein neuer Grenzwert in Flughafennähe
Einig sind sich National- und Ständerat bei Erleichterungen für den Wohnungsbau in Flughafennähe. Der Nationalrat verzichtet auf seine ursprüngliche Forderung nach spezifischen Fluglärm-Grenzwerten in Flughafennähe.
Ebenfalls kein Thema mehr ist es, ins Gesetz zu schreiben, dass auf verkehrsorientierten Strassen die Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit nicht verlangt werden kann. Allerdings wurde im Nationalrat mehrfach darauf verwiesen, dass die beiden Räte eine Motion des Luzerner FDP-Nationalrats Peter Schilliger dem Bundesrat überwiesen haben. Sie soll es erschweren, auf wichtigen Strassen innerorts Tempo 30 einzuführen.
Altlasten: Verursacherprinzip soll gelten
Ein weiteres Kernthema der Revision des Umweltschutzgesetzes ist die Altlastensanierung. Der Bundesrat will sie beschleunigen. Der Nationalrat hält an seiner Position fest, dass grundsätzlich die Eigentümer der Standorte für die Kosten zur Untersuchung und Sanierung privater Spielplätze und Hausgärten aufkommen müssen.
Das entspricht aus seiner Sicht dem Verursacherprinzip. Der Ständerat will diese Bestimmung streichen. Zur Bereinigung der übriggebliebenen Differenzen geht die Vorlage wieder zurück an den Ständerat. (sda)