Luzern, Schwyz und Zug: Streit um Auszonungen und Steuersenkungen
21 Luzerner Gemeinden sollen insgesamt 67 Hektar Bauland rückzonen. Viele Gemeinden und Grundeigentümer sind empört. Der Kantonsrat hat die Regierung vorerst gestoppt. Schwyz und Zug wollen ihre komfortable Finanzlage nutzen, um die Steuerzahler in der Corona-Krise zu entlasten.
Auszonen sei kein Wunschjob, sagte der Luzerner Baudirektor Fabian Peter (FDP), als er die Rückzonungsstrategie des Kantons vorstellte. Aber: «So wie der Staat das Recht zum Bauen gibt, kann er es auch wieder wegnehmen.» Um die Zersiedelung einzudämmen und das Kulturland zu schützen, müssen zu grosse Bauzonen verkleinert werden. Das verlangt das revidierte Raumplanungsgesetz des Bunds (RPG), das die Schweizer Stimmberechtigten 2013 angenommen haben. Gemeinden dürfen nur noch Baulandreserven für 15 Jahre haben. Eingezontes Bauland muss innert dieser Frist für bauliche Zwecke genutzt werden.
Der Kanton Luzern verfügte 2018 über rund 570 Hektar unüberbaute Bauzonen. Rein rechnerisch gesehen müssten 170 Hektar Bauland rückgezont werden. Der Regierungsrat wollte aber «nicht päpstlicher sein als der Papst», wie sich Peter ausdrückte, und reizte den Spielraum aus. Lediglich 67 Hektar sollen nun in den anstehenden Ortsplanungen ausgezont werden. Die Mindestanforderungen des Bunds sind in den Augen des Kantons aber erfüllt.
Rund 900 Grundeigentümer betroffen
Betroffen sind rund 900 Grundeigentümer in 21 der 82 Luzerner Gemeinden. Diese Gemeinden haben sogar bei einem Szenario mit hohem Bevölkerungswachstum zu grosse unüberbaute Bauzonen. Rückzonen müssen demnach: Aesch, Altbüron, Altwis, Büron, Entlebuch, Ermensee, Escholzmatt-Marbach, Flühli, Greppen, Hitzkirch, Mauensee, Rain, Reiden, Rickenbach, Roggliswil, Schwarzenberg, Triengen, Vitznau, Wauwil, Weggis und Zell. Besonders in den Seegemeinden Weggis und Vitznau wurde in den vergangenen Jahren viel unbebautes Land als Bauland ausgewiesen.
Der Kanton hat laut Regierungsrat Peter alle unüberbauten Parzellen «genau angeschaut». Ausschlaggebend für die Auszonungen waren etwa die Lage einer Parzelle innerhalb der Bauzone, die Erschliessung, die Bebaubarkeit, bestehende Bebauungs- und Gestaltungspläne oder die Frage, wie lange eingezontes Land nicht bebaut wurde. Die betroffenen Gemeinden müssen nun ihre Ortsplanungen anpassen. Dagegen können Einsprachen erhoben werden, bevor die Ortsplanungen von der Gemeindeversammlung und dem Regierungsrat genehmigt werden. Dann beginnt das Rechtsmittelverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten bis vor Bundesgericht.
Quelle: Jeff Dlouhy, CC BY 2.0, flickr.com
Weggis gehört zu den Gemeinden, in denen in den vergangenen Jahren viel unbebautes Land als Bauland ausgewiesen wurde.
«Diktatorisches Vorgehen»
Im grössten Zentralschweizer Kanton ist bereits ein
erbitterter Streit um die Rückzonungsstrategie entbrannt. Viele Gemeinden sehen
ihre kommunale Planungshoheit verletzt und kritisieren das «diktatorische
Vorgehen» des Kantons. Viel lieber würden sie die Rückzonungsflächen selber
bestimmen, weil sie die örtlichen Verhältnisse besser kennen und in der
Entwicklung des eigenen Dorfs nicht bevormundet werden wollen. In anderen
Kantonen wie in Nidwalden, im Aargau und im stark betroffenen Wallis können die
Gemeinden selber festlegen, welche Parzellen rückgezont werden. Der Kanton hat
jeweils nur übergeordnet für die rechtliche Prüfung der Nutzungsplanung zu
sorgen.
Luzerner Grundeigentümer befürchten, ihr Land werde an Wert
verlieren. Die Landpreise unterscheiden sich von Gemeinde zu Gemeinde und je
nach Lage stark. Gemäss dem Schweizerischen Verband der Immobilienwirtschaft
(SVIT) kostet erschlossenes Bauland in einer Luzerner Landgemeinde zwischen 400
und 1000 Franken pro Quadratmeter. Der Wert von Landwirtschaftsland hingegen
liegt bei wenigen Franken bis höchstens 50 Franken pro Quadratmeter. Diese Zahlen
zeigen: Den Landbesitzern droht ein Wertverlust von bis zu 95 Prozent.
Wenn die Zonenpläne rechtskräftig sind, könnten Betroffene
ein Gesuch um Entschädigung stellen, weil ihr Grundstück durch die Auszonung an
Wert verliert. Bezahlt würde das aus dem kantonalen Mehrwertfonds, der dereinst
110 bis 140 Millionen Franken schwer sein soll. Dieser Fonds wird mit den
Mehrwertabgaben von 20 Prozent gespiesen, die abgeschöpft werden, wenn
Grundstücke wegen Zonenplanänderungen an Wert gewinnen.
Die Chancen der Grundeigentümer auf eine Entschädigung wegen
materieller Enteignung stehen aber schlecht. Nach der bisherigen Rechtsprechung
der Gerichte müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Das Grundstück muss
überbaubar oder durch die Kanalisation grob erschlossen sein, «weitgehend» im
überbauten Gebiet liegen, und schliesslich muss der Eigentümer für die
Erschliessung und Überbauung schon «erhebliche» Mittel aufgewendet haben. Im
Kanton Luzern erfülle nur «eine Minderheit aller rückgezonten Flächen» diese
Voraussetzungen, erklärte die Regierung auf eine Anfrage im Kantonsrat.
Neubeurteilung verlangt
Auf Geheiss des Parlaments muss sie jetzt aber über die
Bücher gehen. Eine Mehrheit aus CVP, FDP und SVP überwies Ende Juni ein
Postulat, das den Regierungsrat auffordert, die kantonale Rückzonungsstrategie
einer Neubeurteilung zu unterziehen. Den Vorstoss eingereicht hatte Armin
Hartmann (SVP), Präsident des kantonalen Hauseigentümerverbands. Hartmann
meinte, das Raumplanungsgesetz werde nicht im Sinne des Volksentscheids
umgesetzt. Stattdessen werde in Buchhaltermanier rückgezont. Er sprach von
«Schreibtischtaten». Auf der anderen Seite standen Baudirektor Peter und
Vertreter von SP, Grünen und GLP. Sie erklärten, die Regierung und die
Gemeinderäte müssten einen Volksauftrag umsetzen.
Weitere Weichen werden am 29. November gestellt, wenn das
Stimmvolk im Kanton Luzern über die beiden Kulturlandschaft-Initiativen
befindet. Ein Komitee aus den Reihen von CVP, EVP, GLP, Grünen, SP sowie
Umweltschutzverbänden setzt sich mit einer Verfassungs- und einer
Gesetzesinitiative gegen die Zersiedelung und für den Erhalt des fruchtbaren
Bodens ein. Die Kantonsregierung lehnt beide Initiativen ab: Nach ihrer Meinung
würden sie «faktisch zu einem Bauzonenmoratorium führen». Sie hat einen
Gegenvorschlag zur Gesetzesinitiative ausgearbeitet, den die Initianten aber
als ungenügend ablehnen.
Insgesamt gute bis sehr gute Noten erhielt der Kanton Luzern
in der neuesten Bevölkerungsbefragung, durchgeführt von Lustat Statistik Luzern
im Auftrag der Regierung. Luzernerinnen und Luzerner fühlen sich sicher und
sind zufrieden mit der Arbeitsplatzsituation, dem öffentlichen Verkehr und den
Bildungsangeboten. Kritisch äusserten sich die rund 4100 Befragten hingegen zur
Finanz- und Steuerpolitik. Nur noch 27 Prozent der Luzerner sind mit der
Steuer- und Finanzpolitik des Kantons einverstanden. 2009 lag dieser Wert noch
bei 36 Prozent. In der gleichen Zeitspanne ist der Anteil jener gestiegen, die
nicht zufrieden sind: von 13 auf 32 Prozent.
Dabei hat sich die finanzielle Situation des Kantons
entspannt. Die Jahresrechnung 2019 schloss mit einem Plus von 64,1 Millionen
Franken – um über 105 Millionen Franken besser als budgetiert. Die Verschuldung
des Kantons befindet sich auf einem fast schon historischen Tiefstand. Auf den
ersten Blick sollte diese Finanzlage allen politischen Lagern Grund zur Freude
sein. Doch über die Finanzpolitik des Kantons wird seit Jahren leidenschaftlich
gestritten. Während die bürgerlichen Parteien gemeinsam mit dem Regierungsrat
die Tiefsteuerstrategie und die Sparpakete der vergangenen Jahre verteidigen,
sehen die linken Parteien eben darin die Wurzel allen Übels.
Von Gerichten zurückgepfiffen
Bereits drei Mal haben Gerichte finanzpolitische Entscheide
des Kantons kassiert: 2019 rügte das Bundesgericht den Kanton Luzern für seine
zu tiefe Einkommensgrenze bei der Verbilligung der Krankenkassenprämien. Im
vergangenen Februar kam das Kantonsgericht zum Schluss, die Luzerner Regierung
begrenze die Ergänzungsleistungen von Heimbewohnern zu stark. Im Juni pfiff das
Bundesgericht den Kanton beim Steuerfussabtausch zurück. Der Steuerfussabtausch
zwischen den Luzerner Gemeinden und dem Kanton war ein zentraler Bestandteil
der umstrittenen Aufgaben und Finanzreform (AFR), die das Stimmvolk im Mai 2019
mit rund 57 Prozent absegnete.
Sie verteilt verschiedene Aufgaben im Umfang von 200
Millionen Franken neu. Um den Kanton zu entlasten, hätten die Gemeinden für ein
Jahr die Steuern senken sollen, damit der Kanton sie erhöhen und mehr Geld
einnehmen kann. Dass den Gemeinden die Kompetenz zur Festlegung ihres
Steuerfusses entzogen werde, verletze ihre verfassungsmässig garantierte
Finanzautonomie, befand das Bundesgericht. Die gesamte AFR wollten die Richter
deswegen aber nicht kippen.
Die Zeiten der schwarzen Zahlen dürften jedenfalls vorerst vorbei sein. Die Corona-Pandemie wird den Jahresabschluss 2020 des Kantons Luzern stark belasten. Ersten Erkenntnissen zufolge wird mit einem Verlust von 25,5 Millionen Franken gerechnet. Dies würde einer Verschlechterung von 40,4 Millionen Franken gegenüber dem Budget entsprechen. Trotz massiven Ertragseinbussen will der Luzerner Regierungsrat zurzeit weder Sparpakete schnüren noch Steuern erhöhen. Die Steuerausfälle, die der Wirtschaftseinbruch mit sich bringen wird, sollen mit dem Geld aus dem 270 Millionen Franken schweren Ausgleichskonto finanziert werden.
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