Leere Wohnungen im Dorfkern: Huttwil will Zentrum wieder beleben
Mit seinem hohen Leerwohnungsbestand machte Huttwil landesweit Schlagzeilen. Trotzdem wird in dem Oberaargauer Dorf munter weitergebaut. Die Gemeinde hat mit der Berner Fachhochschule nach Lösungen gesucht, um das verödende Ortszentrum wieder zu beleben.
Nirgends in der Schweiz stehen so viele Wohnungen leer wie in Huttwil, der östlichsten Gemeinde im Kanton Bern. Knapp 14 Prozent der 2600 Wohnungen sind es gemäss der Berner Fachhochschule. Zum Vergleich: Im Schweizer Durchschnitt liegt dieser Wert bei 1,7 Prozent. Die offizielle Statistik für 2019 weist in Huttwil zwar nur acht Prozent aus. Doch Wohnungen, die länger als drei Jahre leer standen, sind aus der Statistik gefallen.
Obwohl es in Huttwil schon heute zu viele Wohnungen gibt, werden in der 5000-Seelen-Gemeinde im Oberaargau emsig neue Häuser gebaut. In Huttwil zeige sich ein neues Phänomen, sagt Christine Seidler, Co-Leiterin des Kompetenzbereichs Dencity im Institut für Siedlungsentwicklung und Infrastruktur an der Berner Fachhochschule. «Die Investoren bauen heute Häuser, um ihr Kapital zu parkieren, und nicht für die Menschen, die die Wohnungen nutzen.»
Das Dencity-Forschungsteam ist im Auftrag der Gemeinde den Ursachen und Auswirkungen des hohen Immobilienleerstands auf den Grund gegangen. Wie die Untersuchung ergab, stehen vor allem Wohnungen im Zentrum leer, dem historischen Städtchen. Huttwil gleiche heute einem Donut, dem amerikanischen Zuckergebäck mit dem Loch in der Mitte, sagt Seidler.
Es ist die Bautätigkeit rund um den Ortskern, die zu Leerständen im Zentrum führt. Die Raumplanungsexperten haben in Huttwil eine starke Binnenwanderung festgestellt. Menschen ziehen aus ihren Altbauwohnungen im Zentrum in die neuen Wohnungen am Dorfrand um. Die Neubauwohnungen sind weniger dem Lärm des Durchgangsverkehrs ausgesetzt und moderner gebaut. Teilweise sind sie sogar günstiger, weil die Investoren wegen der Leerstände die Mieten senken.
In der Abwärtsspirale
Das Loch im Donut wird immer grösser. Trotz wachsender Bevölkerung weiten sich die Leerstände aus. Das zu grosse Wohnungsangebot drückt auf die Mietpreise. Das Nachsehen haben die Hausbesitzer im Ortskern – im Gegensatz zu den Pensionskassen und Immobilienfirmen, die die grossen Überbauungen erstellen, oft Privatpersonen oder Erbengemeinschaften. Die meisten Häuser wurden zur Alterssicherung erworben. Die Besitzer von Altbauwohnungen können tiefere Mieteinnahmen weniger verschmerzen als die grossen Immobilienfondsverwalter.
Weil ihnen das Geld für Unterhalt und Renovationen auszugehen droht, werden die älteren Liegenschaften weniger saniert. Das Dorfzentrum verödet zusehends. Gleichzeitig ziehen die tiefen Mieten finanziell schlechter gestellte Zuzüger an. Die Folgen sind eine sinkende Steuerkraft und höhere Ausgaben. Die Abwärtsspirale dreht sich weiter. 2018 erhielt Huttwil erstmals Geld aus dem kantonalen Finanzausgleich.
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Die Investoren bauen heute Häuser, um ihr Kapital zu parkieren, und nicht für die Menschen, die die Wohnungen nutzen.
Christine Seidler, Co-Leiterin Kompetenzbereich Dencity, Berner Fachhochschule
Christine Seidler, Co-Leiterin Kompetenzbereich Dencity, Berner Fachhochschule
Die Gemeinde kann den Bauboom nicht bremsen. 1993 hat sie grosszügig Bauland eingezont. In jenen Jahren stand in Huttwil praktisch keine Wohnung leer. Dass die Banken eines Tages Negativzinsen einführen und die Investoren deshalb ins Betongold flüchten werden, konnte damals niemand ahnen. In den Städten, wo die Nachfrage nach Wohnungen gross wäre, ist es schwierig, an grössere Grundstücke zu kommen. Deshalb wird in Orten wie Huttwil gebaut. Die Investoren fahren mit leerstehenden Immobilien noch immer besser, als wenn sie Negativzinsen zahlen müssten.
Die Gemeinde muss Baugesuche bewilligen, wenn sie gegen keine Vorgaben verstossen. Sie hat schon Bauherren angeschrieben mit der Bitte, mit dem Bau wenigstens etwas zuzuwarten – ohne Erfolg. Von einem neuen Projekt erfährt sie häufig erst, wenn das Baugesuch eingereicht wird. Bei den meisten Vorhaben weiss sie nicht, wer die Investoren sind. Oft erwerben Immobilienfirmen das Land, bebauen es und verkaufen die Häuser an Pensionskassen oder Immobilienfonds.
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