Industriebau: BMW drückt in Mexiko auf die Tube
BMW hat nahe beim mexikanischen San Luis Potosi auf der grünen Wiese ein neues Werk hochgezogen. Die Produktion soll näher zu den Absatzmärkten verlagert und globaler ausgerichtet werden. Der Bau in der trockenen und staubigen Umgebung war mit grossen Herausforderungen verbunden.
Quelle: zvg
In den fünf Jahren bis zur Inbetriebnahme der Montagehallen waren auf der Baustelle, die so gross ist wie 300 Fussballfelder, 4400 Arbeiter beschäftigt. Rund eine Milliarde Euro hat das Unternehmen investiert.
Orangefarbene Armroboter setzen hinter Sicherheitsgittern Komponenten zusammen. Punktgenau schweissen aneinander gereihte Automaten Karosserien zusammen. Über 2000 Schweisspunkte benötigen moderne Mittelklassewagen. An den hoch automatisierten Fertigungsstrassen in den riesigen Werkhallen greifen Arbeiter im Blaumann nur noch bei einzelnen Prozessschritten der Produktion ein.
Im April dieses Jahres lief die erste Limousine des deutschen Autoherstellers BMW am neuen Produktionsstandort im mexikanischen Villa de Reyes vom Band. In den letzten fünf Jahren entstand vor den Toren des Ballungsgebiets San Luis Potosi auf einer Fläche in der Grösse von 300 Fussballfeldern die modernste Fabrik des Autobauers.175000 Fahrzeuge können pro Jahrbei diesem Werk vom Band laufen.
Der Konzern will damit ein flexibles, global ausgerichtetes Produktionsnetzwerk schaffen und die Herstellung näher zu den Absatzmärkten verlagern. Der Autobauer verfügt in Mexiko bereits über eine Einkaufs- und Lieferantennetzwerk und unterhält dort seit vielen Jahren ein enges Beziehungsnetz mit Zulieferern in Nord- und Zentralamerika.
Flexibel dank gutem Fundament
«Für uns ist Flexibilität in der Produktion ein, wenn nicht sogar der entscheidende Faktor», sagt der BMW-Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse. Denn zurzeit könne niemand sagen, wie sich die Nachfrage nach alternativen Antriebssystemen im Automobilbau in den nächsten Jahren entwickeln werde (siehe « Höherer Gang bei alternativen Antriebsarten»).
Beim Standort in Mexiko sind die Prozesse auf «Lean Manufacturing» ausgerichtet. «Just in Sequence» nimmt weitgehend auf diese betriebswirtschaftlichen Belange Rücksicht. Die speziell für die bestandslose Beschaffungslogistik sowie die Produktionsplanung und –steuerung im Automobilbau geschaffenen Prozessoptimierung erlaubt einen reihenfolgesynchronen Herstellungsablauf. Teile werden dabei nicht nur in der richtigen Menge am richtigen Ort zur richtigen Zeit vor Ort bereitgestellt, sondern auch in der richtigen Reihenfolge. Das spart Kosten, denn die Lagerung von Montageteilen bindet enorme Finanzmittel.
Über 300 Sattelschlepper entladen täglich im Werk Komponenten und Material. Die Einzelteile werden nach strenger Vorgabe vor allem von lokalen Zulieferern und den Gesellschaften internationaler Partnerfirmen bezogen werden, die insbesondere im Industrie-Cluster von San Luis Potosi angesiedelt sind. Alle Produktionsprozesse sind auf eine Weise ausgelegt, um den Platz auch vertikal optimal auszunutzen. Über Hebebühnen werden die noch halbgefertigten Teile jeweils an den nächsten Produktionsschritt weitergereicht.
Auf Anpassung des Modellangebots an eine veränderte Nachfrage muss das Unternehmen mit dem Fabriklayout rasch reagieren können. Dazu sind bei sämtlichen Produktionsanlagen die Bodenverankerungen flexibel ausgelegt. Die komplette Struktur auf der Gesamtfläche lässt sich für das laufende Produktionssystem erweitern oder auf andere Derivate anpassen. Je nach Bedarf kann das Werk quasi «gespiegelt» und damit die Stückzahl verdoppelt werden.
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Der Karosseriebau befindet sich links oben und in der Mitte im bläulichen Gebäude die Lackiererei. In der Fabrikhalle rechts folgt auf den Logistikbereich die Montage und rechts hinten die Qualitätskontrolle.
Nullfuge als Massstab
Auch bei der Qualität will der Hersteller die strengen eigenen Normen erfüllen. Dies zeigt sich beispielsweise bei den Abständen zwischen den verschiedenen Karosserieelementen, die im Automobilbau so etwas wie der Goldstandard bedeuten, denn letztlich bestimmen die Spaltenbreiten die Qualität eines Fahrzeugs.
Kunden schauen genau hin, interpretieren zu breite oder ungleichmässige Fugen schnell einmal als Mangel. Diese Spaltenweiten gelten bei der Autoproduktion als technische Herausforderung. In der zurzeit modernsten Fabrik von BMW messen daher Laserradare während des gesamten Produktionsprozesses, angefangen bei der noch unlackierten Autokarosserie, den sogenannten «body in white», die Geometriepunkte der Karosserie.
Die Perfektion im Autobau war für den kürzlich verstorbenen Ferdinand Porsche übrigens die Nullfuge. Das ausgeprägte Qualitätsbewusstsein, das zwischen zwei Blechen keinen Millimeter Abstand duldete, trug dem ideenreichen Ingenieur und schillernden Firmenpatriarchen denn auch den Beinamen «Fugen-Ferdl» ein.
Weiterbildung im Werk
Rund eine Milliarde Dollar hat die BMW in den letzten fünf Jahren in den Standort investiert. 4400 Arbeiter waren auf der Baustelle beschäftigt. Für die Hauptgebäude wurden 18000 Tonnen Stahl verarbeitet. Das Vollwerk, in dem 1500 Mitarbeiter beschäftigt sind, besteht aus den Produktionsbereichen Karosserie, Lackiererei und Montage, wobei die extrem trockene und staubige Luft bei der Lackiererei spezielle bauliche Massnahmen erforderte. Um die Reinheit der Luft gewährleisten zu können und Beeinträchtigungen frischer Farbschichten zu verhindern, werden die Lackierprozesse in Räumen mit Überdruck ausgeführt.
Seit der Inbetriebnahme produziert BMW in erster Linie Limousinen der 3er-Reihe «Made in Mexico». Künftig sollen in San Luis Potosi auch neue Modelle für den Weltmarkt gefertigt werden. Ein Aus- und Weiterbildungszentrum auf dem Werksgelände vermittelt neuen Mitarbeitern und Auszubildenden Wissen und Fähigkeiten rund um die Produktionsprozesse und Technologien. Im «Ramp-up Center» können umfangreiche Produktionsprozesse trainiert oder Mitarbeiter auf den Einsatz in der Lackiererei vorbereitet werden. Ziel ist es, mit der Zeit eine Art «Mexican Excellence» zu etablieren.
Der Standortentscheid für das neue Werk fiel 2014, also weit vor dem Amtsantritt der Regierung Trump, die mit dem vom Zaun gebrochenen Handelsstreit weltweit Unsicherheit auslöste. Mexiko hat sich in den letzten Jahrzehnten ehrgeizige Ziele gesetzt, die das Land trotz den Stänkereien des grossen Nachbars zu erreichen gedenkt.
Das Land will im Automobilbau bis 2020 zu den sechs bedeutendsten Produktionsstandorten der Welt zählen. Insgesamt verzeichnete Mexiko mit seinen rund 125 Millionen Einwohnern in den letzten Jahren tiefe Arbeitslosen- und überdurchschnittliche Wachstumsraten. Auch die Inflationsrate ist im Vergleich mit anderen süd- und mittelamerikanischen Staaten tief.
Parallel zum Bau der Fabrik in Mexiko baut das Unternehmen auch die Fertigungsstrukturen im chinesischen Shenyang aus. Die grösste Produktionskapazität wird nach der Erweiterung der Standort Spartanburg in den USA aufweisen. Derzeit werden an 30 Standorten in 14 Ländern Fahrzeuge und Komponenten produziert. Zu den weiteren strategischen Schwerpunkten des Unternehmens gehören die Elektrifizierung der Baureihen sowie die Entwicklung des autonomen Fahrens.
BMW Group Werk San Luis Potosi – Produktion der Zurkunft;
Alexander Gutzmer; Callwey-Verlag; 224 Seiten; 300 farbige
Abbildungen; ISBN 978-3-7667-2360-4; 81 Franken 90
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Zum Werksgelände in San Luis Potosi gehört auch eine Teststrecke. Produziert werden in vorerst Limousinen der 3er-Reihe. Im April rollte der erste Wagen von Band. Später sollen auch andere Modelle für den Weltmarkt gefertigt werden.
Gang höher bei Alternativantrieben
Der Autokonzern will sich alle Optionen offen halten und für alle künftigen Antriebsarten eine Modellpalette anbieten. «Bis Ende 2021 wollen wir insgesamt eine Million elektrifizierte Fahrzeuge auf die Strasse gebracht haben», sagte Vorstandschef Oliver Zipse anlässlich der vor zwei Wochen zu Ende gegangenen Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt.
Bis 2023 will man 25 elektrifizierte Modelle im Angebot haben, mehr als die Hälfte davon vollelektrisch. Wegweisend ist die Studie Concept 4, die BMW an der IAA präsentierte. Das vollelektrische Fahrzeug mit einer für diesen Antriebsart einheitlichen Plattform könnte ab 2021 angeboten werden.
Und mit «i Hydrogen Next» gibt der Autobauer einen Ausblick auf die Nutzung der Brennstoffzellentechnik. Das Auto soll ab 2022 zuerst in einer Kleinserie und bei entsprechender Nachfrage ab 2025 auch in Grossserie hergestellt werden.
Seit 2013 kooperiert BMW mit Toyota für die gemeinsame Entwicklung eines Antriebssystems auf Basis der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technik. Insgesamt kommt der Energieträger Wasserstoff momentan noch nicht in die Gänge, auch weil sich die Infrastruktur für die Wasserstoffbetankung in den meisten Ländern in einer frühen Aufbauphase befindet.
Die EU-Kommission geht in ihrer«Roadmaps Hydrogen» aber davon aus, dass die Wasserstoffindustrie bis 2050 einen Jahresumsatz von 800 Milliarden Euro generieren und ohne indirekte Effekte 5,4 Millionen Arbeitsplätze schaffen könnte. (sts)
Quelle: zvg
Auf dem Fabrikareal ist auch ein sogenanntes Ramp-up-Center eingerichtet, in dem die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten rund um die Prozessabläufe der Produktion verbessern können.
Silberlack statt Silber
San Luis Potosí im nördlichen Zentralmexiko zählt rund 750'000 Einwohner und ist zugleich die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates, wobei im Grossraum 2,8 Millionen Menschenleben.
Im nahen Cerro de San Pedro reiche Silbervorkommen wie im bolivianischen Potosi vermutend, gaben die spanischen Konquistadoren dem 1592 gegründet Ort der Einfachheit halber ebenfalls den Namen Potosi. San Luis nimmt Bezug zum französischen König Ludwig IX, genannt «Ludwig der Heilige». Im 18. und 19. Jahrhundert verhalf der Silberhandel der Gegend zu Wohlstand.
Obwohl Mexiko zu den grössten Silberproduzenten der Welt gehört, spielt das Edelmetall für die «Silberstadt» San Luis Potosi heute keine Rolle mehr. Doch lokal blieben die Fähigkeiten für die industrielle Verarbeitungvon Metallenund den Handel mit Metallwaren erhalten. Nach und nach siedelten sich deshalb Unternehmen der Stahl- und Automobilindustrie in der Gegend an.
Thyssenkrupp, Daimler oder Continental lassen hier produzieren. Ein wichtiger Faktor für die Wahl des Standorts sind zudem qualifizierte Mitarbeiter, die Zugang zu Ausbildungsstätten haben. Für den Wissenstransfer sorgt die Privatuniversität «Instituto Tecnologico y de Estudios Superiores de Monterrey» (Item), die in der Stadt seit vielen Jahren einen Campus unterhält.
Das «Centro Historico» ist seit 2010 zwar als «Unesco World Heritage Site» gelistet, auch wenn die historische Bausubstanz mit dem dominanten Kolonialstil der auf 1850 Metern gelegenen Stadt kein einheitliches Bild bietet.(sts)