IG Altbau: Ein Herz für alte Bausubstanz
Alte Häuser sind ihre Leidenschaft: Rund 160 Handwerksbetriebe, Planer und Gutachter aus der Deutschschweiz haben sich zur IG Altbau zusammengeschlossen. Über 5000 alte Gebäude und Baudenkmäler haben sie bis heute saniert und restauriert.
Quelle: Ralf Kohler und Markus Schmid
Das ehemalige Kleinbauernhaus in Breitenbach SO, 1780 bis 1800 errichtet, wurde restauriert und zu Wohnraum ausgebaut.
«Ein altes Haus hält meist mehr als eine Überraschung bereit. Wovor sich einige fürchten, kann aber sehr spannend sein», sagt Philipp Hostettler. Der Architekt mit eigenem Büro in der Ostschweiz amtet als Vizepräsident und Kommunikationsverantwortlicher der IG Altbau. Dieser Verein mit Geschäftsstelle in Seon AG ist ein Netzwerk von Spezialisten für die Sanierung und Restaurierung von alter Bausubstanz und Baudenkmälern. 1996 wurde er von Handwerksbetrieben aus der Region Schaffhausen, der Ost-und der Zentralschweiz gegründet.
Heute besteht die IG Altbau aus zehn Regionalgruppen mit über 160 Mitgliedfirmen, die rund 5600 Mitarbeitendebeschäftigen. Fast alle Gewerke sind vertreten – vom Gipser und Schlosser über den Schreiner, Maler und Bodenleger bis zum Baureiniger. Fast in der ganzen Deutschschweiz sind mittlerweile Regionalgruppen der IG Altbau zu finden. Gegenwärtig sei man im Gespräch mit Interessenten aus dem Kanton Graubünden, sagt Geschäftsstellenleiterin Sabine A. Michel. «Wir streben ein moderates Wachstum an – Qualität steht vor Quantität.»
Bei der Gründung der Interessengemeinschaft stand das Ziel im Vordergrund, das Know-how im Umgang mit Altbauten und besonders auch historischen, denkmalgeschützten Häusern zu steigern. Auch heute noch steht die fortlaufende interne Weiterbildung im Zentrum der Arbeit des Vereins, wie Hostettler sagt. In Aus- und Weiterbildungseinrichtungen der Schweiz seien produktneutrale Angebote zu Altbauten und der substanzgerechten Renovation und Restauration alter Liegenschaften noch immer dünn gesät. Hier fülle die IG Altbau eine Lücke.
Ihre Kurse beschäftigen sich beispielsweise mit den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (Muken), traditionellen Materialien im Altbau, substanzgerechten Konzipierungen von Renovationen und den Herausforderungen durch behördliche Vorschriften. Mit den grösstenteils kostenlosen Weiterbildungsanlässen soll nicht nur das Fachwissen ständig erweitert, sondern auch die Schnittstellenkompetenz zwischen den Gewerken erhöht werden.
Mit Herzblut
Allerdings kann nicht jedes beliebige Unternehmen ohne weiteres einer Regionalgruppe der Vereinigung beitreten. Vor der Aufnahme in die IG Altbau wird jede Firma auf ihre Eignung geprüft. Die Ausrichtung auf Altbauten sollte nicht nur eine Marktstrategie sein, sondern im Alltag gelebte Firmenphilosophie, der mit Herzblut nachgelebt wird, schreibt der Verein auf seiner Webseite.
Die Mitglieder seien Spezialisten unterschiedlicher Fachgebiete, die allen Facetten eines erneuerungsbedürftigen Hauses gerecht werden: Standort, Umgebung, Bausubstanz, Materialien, handwerkliche Ausführung und Qualitätsstandard. «Wir kennen die alten Techniken und wissen um die eigenen Gesetzmässigkeiten in alten Häusern. Wir verwenden substanzgerechte Materialien und passen Altbauten sorgsam an neuzeitliche Erfordernisse an.»
Die angeschlossenen Betriebe führen Renovationen, Restaurationen, Umbauten und Erweiterungen aus. Sie übernehmen dabei sowohl Baumeisteraufgaben, Zimmerarbeiten und technische Installationen als auch Ausbauten. Auch Planer aus Architektur, Baumanagement, Statik, Bauphysik und Akustik gehören der IG Altbau an. Der Verein versteht sich als Firmennetzwerk, das Liegenschaftsbesitzern und Bauträgern einzelne Bauleistungen oder die Bearbeitung ganzer Projekte anbietet. Jedes Mitglied bleibt bei seiner Geschäftstätigkeit unabhängig und arbeitet auf eigene Rechnung. Die IG Altbau tritt nicht etwa als Generalunternehmerin auf.
Dem Kunden steht offen, ob er sich an die IG Altbau oder an einzelne Mitglieder wenden will. Er kann sich auch Leistungen von Handwerksbetrieben, Planern und Gutachtern nach Belieben herauspflücken. Bei mehreren beteiligten Gewerken wird in Absprache mit der Bauherrschaft ein Projektverantwortlicher gewählt. Projektleiterin kann die IG Altbau selbst sein. Die Koordination kann aber auch ein Architekt, Ingenieur oder anderer Planer übernehmen. Externe Planer können Mitgliedfirmen auch eigens für Bauleistungen in historischen Gebäuden beiziehen.
Unter Denkmalschutz
Weit über 5000 Bauprojekte haben die Handwerker und Planer der IG Altbau bis heute ausgeführt. Von gut 40 Objekten können auf der Webseite des Vereins bebilderte Bauberichte nachgelesen werden. Ein Beispiel ist ein ehemaliges Kleinbauernhaus, das zu den ältesten Gebäuden in Breitenbach SO gehört. Es wurde 1780 bis 1800 am westlichen Dorfeingang beim Übergang über die Lüssel errichtet. Seit 1984 steht es unter kantonalem Denkmalschutz.
2016 und 2017 hat die Terra Nova GmbH die Liegenschaft in Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege und Mitgliedfirmen der IG Altbau restauriert und zu Wohnraum ausgebaut. Für die Bauherrschaft war nach eigenen Angaben von Anfang an klar, dass das dreigeschossige Haus durch Wohnungen wiederbelebt werden muss.
Das Mauerwerk und die Holzkonstruktion befanden sich in einem relativ schlechten Zustand und mussten umfassend saniert werden. Bei den Arbeiten wurde Wert darauf gelegt, den ursprünglichen Charakter der Innenräume bestmöglich zu erhalten. Der Kachelofen und der alte Herd wurden sorgfältig restauriert und sind jetzt wieder funktionstüchtig.
Auch die gedrungen wirkende äussere Erscheinung wurde erhalten und sorgfältig erneuert. Für die Dachgeschossnutzung wurden in der südlichen Giebelfassade zwei grossflächige neue Fenster eingebaut, die sich mit ihrem bewusst zeitgemässen Charakter gut ins Gesamtbild einfügen. Die Fassadenverkleidung wurde dagegen wie zuvor in Holz ausgebildet.
Wohnraum erweitert
Im Kanton Thurgau übernahmen Mitgliedfirmen der IG Altbau den Umbau und die Erweiterung eines Bauernhauses aus dem Jahr 1888. Das Neue dürfe den Bestand nicht übertönen, und das Bauernhaus solle in seiner ursprünglichen Funktion wahrnehmbar bleiben: So lauteten die Vorgaben der Bauherrschaft. Architekten erarbeiteten ein Wohnkonzept, das möglichst viel der bestehenden Struktur des Bauernhauses nutzen und die Bedürfnisse der jungen Bauherrenfamilie abdecken kann.
Diese wünschte sich eine Wohnraumerweiterung. Die ehemalige Durchfahrt zwischen den Stallungen und dem Wohnhaus wurde für die Vergrösserung des Lebensraums genutzt. Der neu entstandene eineinhalbgeschossige Koch- und Essbereich bildet einen Kontrast zu den sonst niedrigen Wohnräumen im Bauernhaus.
Im erhöhten Erdgeschoss des Bauernhauses wurde durch die Umgestaltung Raum geschaffen für ein grosszügiges Entree, den Wohnraum mit Holzofen, ein Büro und eine Nasszelle. Im Obergeschoss des Bauernhauses konnte die Struktur praktisch belassen werden. Drei Schlafzimmer und eine Nasszelle wurden hier eingerichtet. Im Aussenraum entstand ein grosser überdachter Aussenbereich, der vielfältig genutzt werden kann. Hinter der Remise wurde ein grosser, naturnah gestalteter Schwimmteich angelegt.
Kampf um jeden Zentimeter
Ein weiteres Beispiel ist die Sanierung eines Flarzhauses aus dem Jahr 1738 im Zürcher Oberland. Es besteht aus mehreren zusammengebauten Wohneinheiten, ähnlich dem modernen Reihenhaus. Das schmale, aber tiefe Haus musste von diversen Bausünden befreit werden. Wichtige Anliegen der Bauherrschaft waren eine neue Küche im Erdgeschoss und zwei neue Bäder, eines davon mit Dampfbad.
Der gesamte Mittelteil des Gebäudes wurde bis auf die Balkenlage entkernt, um die neue Küche und die Badezimmer einzubauen. In allen Etagen kämpften die Handwerker und Planer um jeden Zentimeter Raumhöhe. In der Küche im Erdgeschoss wurde der Boden abgegraben, um auf 2,1 Meter Raumhöhe zu kommen.
Schiefer, Weisstanne und Lehm geben bei den neuen Einbauten den Ton an. Weisstanne wurde schon für die Bohlen verwendet und kam wieder bei den Einbauten der Badezimmer zum Zug. Im Mittelteil des ersten und zweiten Obergeschosses wurden für die Badezimmer je zwei Räume eingezogen, die mit Weisstanne beplankt wurden. Alle Plattenarbeiten wurden in Schiefer ausgeführt und die Wände mit weissem Lehm verputzt. Eine Herausforderung war der Einbau des Dampfbads, das komplett in schwarzem Schiefer daherkommt und mit einem Sternenhimmel aus Glasfasern versehen wurde.
Sanierung als Zeitreise
Bei der Sanierung eines Altbaus begebe man sich auf eine Zeitreise, sagte IG-Vizepräsident Philipp Hostettler in einem Interview mit dem UBS-Magazin. Für den Altbautenliebhaber erzählen in die Jahre gekommene Gebäude Geschichten. Lege man beispielsweise beim Rückbau von Decken-, Boden- und Wandverkleidungen aus den letzten Jahrzehnten alte Originalsubstanz frei, spüre man wieder den authentischen Charakter des Hauses. Bei der Sanierung eines Gebäudes aus vergangenen Zeiten gelte es, den Charakter des Hauses zu wahren und Altes und Neues sorgsam miteinander zu verbinden. Dann könnten Räume mit besonderen Qualitäten entstehen.
Laut Hostettler lohnt es sich in den meisten Fällen, alte Häuser zu erhalten. Während seiner über 30-jährigen Tätigkeit ist er nach eigenen Angaben nur auf wenige Fälle gestossen, bei denen er einen Abriss befürworten musste. Alte Häuser seien viel besser renovierbar, als allgemein angenommen werde. Handwerker und Architekten müssten allerdings das Know-how und das Materialwissen früherer Zeiten besitzen, um ältere Häuser substanzgerecht renovieren zu können. An Hochschulen werde dies leider kaum mehr gelehrt.
Dass Neubauten im Vergleich mit alten Häusern besser abschneiden, stellt er in Abrede. Viele neue Gebäude würden in einer bedenklichen Qualität erstellt und könnten nie das Lebensalter der Bauten erreichen, die vor 1930 entstanden. Deshalb sage er seinen Bauherrschaften zuweilen überspitzt, aber durchaus ernst gemeint: «Wer risikofreudig ist, kauft ein neues Haus, wer sein Geld sicher anlegen will, ein altes.»