Herausforderungen beim Bau des Entwässerungsstollen für Brienz GR
Ein Entwässerungsstollen soll das Abrutschen des Bündner Bergsturzdorfes Brienz ins Tal aufhalten. Das Vorhaben stellt die involvierten Fachleute vor weltweit einzigartige Herausforderungen, wie die Experten am Montag bei der Präsentation der Bergbauarbeiten erklärten.
Quelle: Lino Schmid & Moira Prati
Kugelpanorama von "Igl Rutsch" bei Brienz vom Juni 2018.
Brienz in der Gemeinde Albula stand in jüngster Zeit landesweit in den
Schlagzeilen, weil über dem Dorf im Albulatal ein Bergsturz drohte, der
es hätte verschütten können. Ausserhalb Graubündens ist wenig bekannt,
dass auch das Dorf selbst auf instabilem Gestein steht und in
zunehmendem Tempo talwärts rutscht. «Der Stollen soll die Bewegung des
Gesteins unter dem Dorf und auch die des Berges darüber aufhalten»,
erklärte Ingenieurgeologe Reto Thöny vor den Medien. Es gebe auf der
ganzen Welt kein vergleichbar komplexes Entwässerungsprojekt einer
Rutschung. Es sei überall immer nur ein Feld entwässert worden, dass
sich zudem viel langsamer bewegt habe.
30 Millionen Kubikmeter Fels weiterhin in Bewegung
Dennoch sind Fachleute und Bergbauer in Brienz zuversichtlich, die Rutschbewegungen genügend zu verlangsamen, um das Dorf bewohnbar zu halten. «Wir sind guten Mutes, dass die Rutschung allenfalls ganz zum Stillstand kommt», sagte Daniel Albertin, Gemeindepräsident von Albula.
Zwar
entlud sich der absturzgefährdete Teil des Berges über dem Dorf Mitte
Juni in einem gewaltigen Schuttstrom, der unmittelbar vor dem Ort zum
Stillstand gekommenist. Aber am Berg sind weiterhin 70 Millionen
Kubikmeter Fels in Bewegung. Dies entspricht dem Volumen von 70'000
Einfamilienhäusern. Das Dorf wiederum steht auf einer 150 Meter dicken
Schicht instabilen Gesteins, die abrutscht. Zeitweise bewegte sich diese
Rutschung mit 1,6 Metern im Jahr. Beide Rutschungen, jene über und jene
unter dem Dorf, müssen die Experten aufhalten. Das Dorf wäre sonst
langfristig nicht bewohnbar, weil dessen Infrastruktur
auseinandergerissen wird durch die Bewegung.
Entwässerung halbierte die Rutschgeschwindigkeit von Brienz
Auch im Fels unter dem Dorf ist das Problem ein doppeltes: Die Experten gehen davon aus, dass erhöhter Wasserdruck im Untergrund, der dem instabilen Gestein Auftrieb verleiht, die Hauptursache der Rutschbewegung ist. Doch das Wasser befindet sich sowohl in der instabilen und abrutschenden Gesteinsschicht, als auch im festen Fels darunter. Beide Schichten wollen die Geologen entwässern. Bereits im stabilen Gestein erstellt ist ein 650 Meter langer Sondierstollen mit dem Querschnitt eines kleinen einspurigen Strassentunnels. Daraus wurden lange Drainagebohrungen erstellt. «Mit dem Sondierstollen wollten wir herausfinden, ob die Tiefenentwässerung funktioniert», sagte Josef Kurath vom Bündner Tiefbauamt.
Quelle: Bundesamt für Landestopografie
Der 635 Meter lange Sondierstollen sollte über die nächsten Jahre grundlegende Erkenntnisse hinsichtlich einer Sanierung der Rutschung liefern.
Die Resultate stimmen den
Ingenieurgeologen Thöny zuversichtlich. Allein die Entwässerung in der
Tiefe habe die Rutschgeschwindigkeit des Dorfes halbiert. Und auch die
Rutschung am Berg habe sich verlangsamt. Nun würden Drainagebohrungen
auch in die instabile Rutschschicht geführt, senkrecht nach oben, um
auch dort Erfahrungen zu sammeln. Es handle sich um hochkomplexe
Bohrungen gegen die Schwerkraft, führten die Experten aus. Diese müssten
zudem sehr schnell ausgeführt werden, damit die Bohrlöcher nicht durch
die Bewegung des Felsens gleich wieder zusammenbrechen würden.
Baustart für Entwässerungsstollen im März 2024
Obwohl hier viele Messwerte noch ausstehen, sind die Erfahrungen mit dem Sondierstollen so vielversprechend, dass bereits dessen Verlängerung zu einem insgesamt 2,3 Kilometer langen Entwässerungssystem beschlossen ist. Aus diesem Entwässerungsstollen sollen dann über 100 Drainagebohrungen erstellt werden.
Der Baustart des 40 Millionen Franken teuren Baus ist für März 2024 vorgesehen. Bund und Kanton übernehmen je 45 Prozent der Kosten. Die restlichen 10 Prozent teilen sich die sogenannten Nutzniesser. Zu diesen gehören die Rhätische Bahn, das Bündner Tiefbauamt, die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid und natürlich die Gemeinde Albula mit Brienz.
Die Gemeindeversammlung von Albula hat die notwendigen Mittel bereits bewilligt. «Wir arbeiten an der Zukunft von Brienz», sagte Christian Gartmann, Mitglied des Gemeindeführungsstabs und Kommunikationsverantwortlicher, zum Abschluss der Medienführung durch den Stollen. «Wenn es uns gelingt, die Rutschung genügend zu verlangsamen, kann Brienz auch in 5 oder in 15 Generationen bewohnt werden.» (sda/ Jara Uhricek)