Comeback für Geothermie in der Ostschweiz kündigt sich an
Zehn Jahre nach dem Scheitern des Geothermieprojekts in St. Gallen wird das Interesse an der Energiequelle wieder konkreter: Im Thurgau stehen die Mittel für eine Erforschung des Untergrunds bereit, in St. Gallen soll die Regierung Auskunft zu ihren Plänen geben.
Quelle: Stadt St. Gallen / St. Galler Stadtwerke
Luftaufnahme des damaligen Bohrplatzes des Geothermieprojektes in St. Gallen. Von den Plänen blieb nur das Bohrloch «GT-1» mit einer Tiefe von 4450 Metern übrig, das seither versiegelt ist.
Die Stadt St. Gallen ohne fossile Energieträger mit Wärme versorgen. – Das war das Ziel eines Projekts für ein Geothermiekraftwerk im Sittertobel, für das heisses Wasser aus dem Untergrund der Stadt genutzt werden sollte. Eine Tiefenbohrung hätte das heisse Wasser liefern sollen, doch es kam anders.
Erdbeben in St. Gallen als Auslöser
Bei der Bohrung wurden die Klüfte in der Tiefe durch das Einpressen verdünnter Salzsäure vergrössert, damit das heisse Tiefenwasser besser zum Bohrloch fliessen konnte. Nachdem der Druck im Bohrloch plötzlich anstieg, konnte man diesen zunächst durch das Einpumpen von Wasser und einer joghurtähnlichen Bohrflüssigkeit reduzieren.
Am 20. Juli 2013 kam es dann aber doch zu einem Beben mit einer Stärke von 3,5. Die Vorreiterrolle der Ostschweiz in der Geothermie rückte damit in weite Ferne; das ambitionierte Projekt in der Stadt St. Gallen musste eingestellt werden. Von den Plänen blieb nur das Bohrloch «GT-1» mit einer Tiefe von 4450 Metern übrig, das seither versiegelt ist.
Wenig später wanderten auch die noch nicht sehr konkreten Pläne der Energie Thurgau AG für die Gewinnung von Tiefenwärme in der Region zwischen Arbon, Romanshorn und Amriswil in die Schublade. Auch von einem weiteren Vorhaben im Thurgau, demjenigen der Geo-Energie Suisse AG in Etzwilen, war bald nichts mehr zu hören.
Das Unternehmen konzentriert sich seither auf ein Tiefengeothermieprojekt in Haute-Sorne im Kanton Jura. Dort soll dereinst mit Hilfe von stimulierten, geothermischen Systemen Erdwärme zur Produktion von Strom und Heizenergie für rund 6000 Haushalte genutzt werden. Gegen das Projekt hat sich aber lokaler Widerstand formiert.
Quelle: Géo Energie Suisse
Das Geothermie-Projekt Haute-Sorne ist zwischen den Dörfern Bassecourt und Glovelier geplant.
Neuer Geothermie-Anlauf im Thurgau
Die Vorteile, die damals für die Geothermie sprachen, gelten allerdings auch heute noch. Damit lasse sich ein grosser Teil der aktuellen Energieprobleme lösen, stellte etwa Meinrad Gschwend, Fraktionschef der Grünen im St. Galler Kantonsrat, in einem aktuellen Vorstoss fest. Doch die Wärmequellen im Untergrund würden kaum genutzt.
Dies könnte sich bald ändern. Konkrete Pläne für einen neuen Anlauf gibt es im Thurgau. Am 18. Juni bewilligten dort die Stimmberechtigten eine Sammelvorlage zur Verwendung der Mittel aus der Teilprivatisierung der Thurgauer Kantonalbank (TKB). Damit können nun 20 Millionen Franken für das Projekt «Thurgauer Energienutzung aus dem Untergrund 2030» eingesetzt werden.
In einem ersten Schritt sollen nun Daten über den Untergrund des Kantons gesammelt werden. Dort, wo die Gewinnung der Tiefenwärme am aussichtsreichsten erscheint, sind danach genauere Untersuchungen vorgesehen. Liegen diese Grundlagen vor, könnten um 2030 Probebohrungen stattfinden. Das Ziel ist ein Geothermie-Kraftwerk.
Keine grossen Energieprojekte in St. Gallen
Noch keine solchen Bestrebungen gibt es im Kanton St. Gallen. Dort fehlen allerdings auch grosse Projekte mit anderen Energiequellen. Die Regierung versucht nun, die Nutzung der Windkraft voranzutreiben. Die bürgerlichen Fraktionen verlangen hingegen genauere Abklärungen für ein Flusskraftwerk am Alpenrhein bei Sargans. Konkrete Pläne für grosse Solaranlagen, wie sie einmal am Walensee angedacht waren, gibt es momentan nicht.
Für Gschwend birgt vor allem die Nutzung der Geothermie in mittleren Tiefen ein grosses Potenzial: Thermische Netze könnten Siedlungen mit erneuerbarer, CO2-freier, bei jedem Wetter und über das ganze Jahr hinweg kontinuierlich mit Wärme versorgen. Dies wäre ein entscheidender Beitrag «zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in Städten und Agglomerationen».
In seinem Vorstoss will der Parlamentarier von der Regierung wissen, was sie in den letzten Jahren in der Thematik Geothermie unternommen habe und ob sie Möglichkeiten sehe, «eine aktive und fördernde Rolle einzunehmen». Weiter schlägt er «Erkundungsarbeiten» etwa für ein Tiefengeothermie-Kataster vor, wie sie nun im Kanton Thurgau geplant sind.
Quelle: St. Galler Stadtwerke
Im August 2019 wurden auf dem einstigen Geothermie-Bohrplatz im Sittertobel im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes Messungen durchgeführt. Ziel davon war es, den aktuellen Zustand der eingebauten Rohre im Bohrloch über die gesamte Länge zu analysieren.
Bohrloch soll offen bleiben
In der verhinderten Geothermie-Pionierin, der Stadt St. Gallen, gibt es aus dem Parlament periodisch Vorstösse zu diesem Thema. So wurde zuletzt etwa gefragt, ob es sich wegen der gestiegenen Energiepreise nicht doch lohnen würde, das in der Tiefe entdeckte Erdgasvorkommen abzubauen.
Grundsätzlich hat sich der Stadtrat zuletzt in einem Bericht zur Geothermie und zum Bohrloch geäussert, der im letzten Januar im Parlament diskutiert wurde. Darin wird auf neue technische Varianten verwiesen. Dazu gehörten neben der Nutzung der Gasvorkommen die CO2-Geothermie oder die Einlagerung von CO2 nach neuen technischen Methoden.
All diese Möglichkeiten seien wegen hoher Risiken oder hoher Kosten oder fehlender Projektpartner nicht vertieft geprüft worden, erklärte der Stadtrat. Das Bohrloch, für das eine Bewilligung bis 2029 vorliegt, solle deshalb im aktuellen Zustand belassen werden. Damit könne die Chance einer Nutzung für die kommende Generation offen gehalten werden, heisst es im Bericht. (sda/mgt/pb)