Geisterstädte und ihre Geschichte
Geisterstädte gibt es auf der ganzen Welt. Sie sind aufgegeben oder zerstört worden. Es gibt auch welche, die als Potemkinsche Dörfer bezeichnet werden. Und eine steht sogar zum Verkauf.
Gigantische Wohnblocks und Hotelanlagen, vierspurige Autobahnen, mächtige Statuen: Das alles gibt es in New Ordos, einem Stadtviertel von Ordos im mittleren Norden Chinas, genauer gesagt im autonomen Gebiet Innere Mongolei. Nur eins fehlt – Menschen. Nun, nicht ganz, immerhin sollen ein paar tausend hier wohnen. Doch beherbergen sollte sie eigentlich 300‘000. New Ordos hätte das Dubai Chinas werden sollen, nachdem im Jahr 2000 riesige Kohle- und Gasvorkommen in der Region entdeckt wurden. Innert kürzester Zeit stampfte man den Stadtteil aus dem Boden. Doch noch immer fehlen lebenswichtige Infrastrukturen, weshalb hier niemand wirklich leben will, schreibt „Die Welt“.
Ein Massaker
Eine ganz andere Geschichte steckt hinter Frankreichs Ruinenstadt Oradour-sur-Glane, 200 Kilometer nordöstlich von Bordeaux gelegen. Dieses Gebiet wurde nicht aufgegeben, sondern mutwillig zerstört, wie auf Wikipedia nachzulesen ist. Während des Zweiten Weltkriegs, am 10. Juni 1944, brannte die Waffen-SS das komplette Dorf nieder und metzelte fast alle Bewohner nieder – nur sechs überlebten das Massaker. Als der Krieg vorbei war, wurde das zerstörte Dorf neben den Ruinen wieder aufgebaut. Das ursprüngliche Oradour-sur-Glane ist heute eine Mahn- und Gedenkstätte.
Goldfieber
In Bodie, das in der Nähe von San Francisco im US-Bundesstaat Kalifornien liegt, war Gold der Grund, weshalb die Stadt entstanden und auch wieder verschwunden ist. 1859 als Goldgräbersiedlung gegründet, stieg Bodie rasch auf. Während der Blütezeit gab es dort dutzende Saloons entlang der Hauptstrasse, ein Rotlichtviertel mit zahlreichen Bordellen, ein Chinesenviertel mit einem taoistischen Tempel und einer Opiumhöhle, eine Eisenbahn, mehrere Zeitungen, sieben Brauereien und Kirchen verschiedener Religionen, weiss Wikipedia. Aber auch das Verbrechen hatte Hochkunjunktur. Bodie galt als eine der wildesten und gesetzlosesten Städte des Westens. Aber das gefundene Gold war schon nach wenigen Jahrzehnten abgebaut, die Goldader erschöpft. Der Niedergang setzte um die Jahrhundertwende ein, und in den 30er-Jahren wurde die Stadt gänzlich aufgegeben, nachdem es einen Grossbrand gegeben hatte. Doch dank der geringen Luftfeuchtigkeit in der Gegend blieben viele Gebäude und Autos relativ gut erhalten, sodass Bodie zu einer der beliebtesten Geisterstädte der USA geworden ist.
Stadt zu verkaufen
Das Schicksal von Consonno in der italienischen Lombardei ist mit Geld besiegelt worden. 1962 kaufte die Familie des Unternehmers Mario Bagno den Ort für 22,5 italienische Lire. Das sind nicht mal 13‘000 Franken. Entstehen sollte eine Vergnügungsstadt, ähnlich wie Las Vegas. Die Käufer waren radikal: Fast alle Gebäude (ausser der Kirche von San Maurizio, dem Pfarrhaus und einem kleinen Friedhof) rissen sie nieder und vertrieben die Bewohner. Doch 1976 zerstörte ein Erdrutsch die einzige Zufahrsstrasse nach Consonno. Die Stadt wurde daraufhin endgültig aufgegeben. Heute stehen 1,7 Millionen Quadratmeter Fläche zum Verkauf. Ein Mailänder Immobilienunternehmer bietet die Stadt im Internet zum Verkauf an – für schlappe zwölf Millionen Euro.
Die Stadt für selbstfahrende Autos
Die wohl jüngste Geisterstadt ist Mcity im US-Bundesstaat Michigan. Sie hat ihre Tore erst diesen Sommer geöffnet. Konzipiert von der University of Michigan und finanziert von ihr, lokalen Regierungen sowie mehreren Autoherstellern, ist sie einzig und allein für Autos gebaut worden. Für selbstfahrende Autos, die dort getestet werden, wie es auf der Website der Uni heisst. Die „Stadt“ besteht aus 32 verschiedenen Strassen (teils mehrspurig und durch Tunnels verlaufend) mit Trottoirs, Strassenlaternen, Ampeln und Gebäudefassaden.
Potemkin lässt grüssen
Um seine Herrscherin Zarin Katharina II (die Grosse) zu beeindrucken, hat der russische Feldmarschall Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potemkin angeblich ein Dorf errichtet, das aus Kulissen aus Pappe bestand. Daraus ergab sich die Redewendung „Potemkinsches Dorf“. Es bezeichnet etwas, das fein herausgeputzt wird, um den tatsächlich verheerenden Zustand zu verbergen. So ist es angeblich auch beim nordkoreanischen Kijŏng-dong, eins von zwei Dörfern, die in der demilitarisierten Zone der koreanischen Halbinsel liegen. Offiziell von der Regierung als „Friedensdorf“ bezeichnet, soll es laut Wikipedia eine landwirtschaftliche Kooperative namens „Panmun“ mit über 200 Haushalten, einem Kindergarten, einer Schule und einem Krankenhaus beherbergen. Südkorea sieht das anders und schimpft das Dorf „Propagandadorf“. Man ist überzeugt, dass die Lichter dort automatisch an- und ausgeschaltet werden, um den Eindruck eines belebten Dorfs zu erwecken. Tatsächlich aber würden dort nur Angehörige der Koreanischen Volksarmee wohnen.
Das gefälschte Paris
Als der Erste Weltkrieg in vollem Gange war, kam Frankreich auf eine seltsame Idee: Man baute die Hauptstadt Paris – oder zumindest Teile davon – nach, um deutsche Bomber zu täuschen. Die Champs-Elysées und der Gare du Nord wurden kopiert, auf dass diese Fakes statt der Originale zerstört würden. Die kopierte Stadt war am nördlichen Stadtrand angesiedelt, Schein-Strassen und –Gebäude wurden elektrisch beleuchtet. Lange Zeit wusste sogar die Pariser Bevölkerung nichts von den Kopien. „Le Figaro“ deckte die Pläne erst vor vier Jahren auf. (mt)