Ein Schacht ist auch ein Konzertsaal
Londons Rotherhithe Schacht diente einst als Zugang zum Thames Tunnel, dem weltweit ersten Tunnel, der unter einem Gewässer hindurchführt. Seit rund 150 Jahren geschlossen, soll er der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.
Der Rotherhithe Schacht war gewissermassen der Start für ein äusserst spektakuläres Bauprojekt, den Thames Tunnel. Der Tunnel, der über eine Strecke von 396 Metern die Stadtteile Rotherhithe und Wapping miteinander verbindet, galt bei seiner Eröffnung Mitte des 19. Jahrhunderts als Weltwunder. Ursprünglich auch für Fuhrwerke und Kutschen gedacht wurde der rund elf Meter breite und sechs Meter hohe Subway nur von Fussgängern genutzt. Allerdings war damit in den 1860er-Jahren Schluss: Die East London Railway kaufte die Touristenattraktion und funktionierte sie zum Eisenbahntunnel um. Heute verkehren hier Züge der London Overground.
Das ingenieurtechnische Meisterstück stammt aus der Feder der Ingenieure Marc Isambard Brunel und Isambard Kingdom Brunel. Obwohl Mineure bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts versucht hatten, mit einem Tunnel die Themse zu unterqueren und am Grund aus weichem Lehm und Treibsand gescheitert waren, waren Vater und Sohn überzeugt, dass es möglich sein müsste. Sie entwickelten dazu eine eigene Tunnelbaumethode. Zudem konzpierte Marc Isambard Brunel mit dem Erfinder Thomas Cochrane für das Projekt einen Tunnelbohrschild, der den Bau massiv erleichtern sollte. Dennoch nahmen die Arbeiten beinahe 20 Jahre in Anspruch: Sie starteten 1825, eingeweiht wurde der Thames Tunnel 1843.
Musik und Theater im Schacht
Bevor mit dem eigentlichen Bau des Tunnels begonnen werden konnte, musste in der Nähe des Flussufers in Rotherhithe ein knapp 20 Meter tiefer Schacht mit einem Durchmesser von 15 Metern ins Erdreich getrieben werden, dann setzte man auf seinem Grund den Tunnelbohrschild zusammen. Nach dem die Querung fertig gestellt war, diente der Schacht Tunnelzugang. Doch seit im Tunnel Züge verkehren, ist der Schacht nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich.
Das ändert sich in absehbarer Zeit. Die Verantwortlichen des Brunel-Museum, das in der Nähe des Schachts liegt, wollen ihn nämlich wieder beleben. Künftig sollen hier Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen stattfinden. Damit er genutzt werden kann, muss eine neue Treppe eingebaut werden. Das Londoner Büro Tate Harmer hat dazu einen filigrane freistehende Konstruktion entworfen, die völlig unabhängig vom historischen Bauwerk ist. Es sei eine Art „Flaschenschiff“-Konzept, erklären die Architekten ihr Projekt. „Es ist eine seltene Ehre, in einer solch historischen Umgebung arbeiten zu können“, so Jerry Tate von Tate Harmer. Man habe das Erbe der Brunels respektieren müssen und gleichzeitig den künftigen Besuchern ermöglichen, den besonderen Raum auf spannende Weise geniessen zu können. (mai)