Die Utopie hat längst begonnen
Wer mit ehemaligen Sowjetstaaten trostlose Plattenbauten assoziert, liegt falsch. Das zeigt Fréderic Chaubin in seinem Fotoband: Während rund sieben Jahren hat er dort fantastische Gebilde und aus Eisen und Beton aufgespürt.
Klobige, ineinander verkeilte Betonwinkel ragen aus den Baumkronen. Die Zeit hat ihre Spuren am bizarren Gebäude hinterlassen, was ihm einen leicht morbiden Charme verleiht. Es steht in Tiflis und wurde einst für das georgische Ministerium für Autobahnen gebaut.
In der georgischen Hauptstadt hat auch alles angefangen: Im Sommer 2003 stöberte der französische Fotograf Frédéric Chaubin dort in einem Antiquariat einen Band über die Architekturgeschichte des sowjetischen Georgien auf. Die Bilder der monumentalen Bauten zogen ihn in ihren Bann. Sie sollten wenig später den Grundstein für ein eigenes Werk abgeben. Das ahnte er damals wohl kaum. Als er einige Monate später Litauen bereiste, stiess er in einem Wald nahe der weissrussischen Grenze auf ein monumentales Sanatorium. „Gigantische Wellenlinien aus Beton, modelliert nach einer Ästhetik ausserhalb der Norm“, so Chaubin. „Wie hat eine solche Architektur abseits der ausgetretenen Pfade entstehen können?“, fragte er sich. Zumal in der UdSSR jedes Bauvorhaben vom Staat ausging. Damit nahm eine ausgiebige Recherche ihren Anfang: Zwischen 2003 und 2010 war Chaubin regelmässig in den ehemaligen Sowjetrepubliken mit der Kamera unterwegs. , auf der Suche nach vergessenen Juwelen aus Stein und Beton.
Was er entdeckte, präsentiert er im Fotoband „Cosmic Communist Constructions Photographed“. Seine Bilder erzählen von den Utopien und Träumen einer vergangenen Zeit: etwa das technologische Institut in Kiew, auf dem eine abgestürztes Ufo zu liegen scheint oder der Leninpalast im kasachischen Almaty, den eine golden schimmernde Wabenstruktur überdacht. Fantastisch wirkt auch das Moskauer Hallenstadion Lyiniki, dessen Fassade aus einem Sciencefiction-Film stammen könnte.
Der skurrile aber oft äusserst ästhetische Bilderbogen fasziniert. Chaubins Fotografien machen neugierig auf die Bauten und ihre Geschichten. Und darin liegt auch die Krux des Bandes. Man erfährt wenig über die abgebildete Architektur. Aber vielleicht genügt das Staunen über ihre Formensprache ja auch. (mai)
Frédéric Chaubin, „CCCR - Cosmic Communist Constructions Photographed“
Fotos von Frédéric Chaubin
Taschen Deutschland GmbH
Februar 2011 - gebunden - 308 Seiten
ISBN: 3836525194
EAN: 9783836525190
Preis: 65 Franken