Das erste akkubetriebene Grossdrehbohrgerät der Welt
Elektroantriebe sind im Baumaschinenbereich auf dem Vormarsch. Umweltbewusste Bauherren fordern weniger Abgase, Anwohner weniger Lärm. Mit der Unplugged-Version eines Drehbohrgeräts zeigt Liebherr, dass diese Ziele auch im Spezialtiefbau zu erreichen sind.
Leise summend springt der Elektromotor des Drehbohrgeräts für den Spezialtiefbau an. Nach einer eleganten Drehung um die eigene Achse fährt der 55 Tonnen schwere, kompakt gebaute «LB 16 unplugged» fast lautlos an seinen Einsatzort auf dem Liebherr-Werksgelände im vorarlbergischen Nenzing.
Der Maschinist startet den Bohrantrieb, und das Schneckengewinde frisst sich ins Erdreich – ohne das eigentlich charakteristische lautstarke Motorengedröhne. Diese Baumaschine in elektrohydraulischer Ausführung macht bei gleicher Leistung tatsächlich deutlich weniger Lärm als sein klassisches Pendant, das mit einem Dieselaggregat ausgerüstet ist.
Und nicht nur das. Vor allem produziert das weltweit erste akkubetriebene Grossdrehbohrgerät lokal keine Abgase, dessen CO2-Ausstoss liegt im Baustelleneinsatz bei null. Ein gewichtiges Argument in Zeiten, in denen weltweit die entsprechende Sensibilität steigt. Verschärfte Regularien zur Reduktion von CO2 seien zwar erst im Automotive- und LKW-Bereich in Kraft, sagt Diplom-Ingenieur Holger Streitz.
«Ich vermute jedoch, dass die Abgasgesetze auch für Off-Road-Maschinen in den kommenden Jahren Schritt für Schritt noch strenger werden», so die Einschätzung des technischen Geschäftsführers Baumaschinen der Liebherr-Werk Nenzing GmbH. Er ortet denn auch bereits erste Anzeichen für ein Umdenken, wie Entwicklungen hin zu elektrischen Antrieben von Komponentenherstellern. «Egal, welche Technologie sich in den nächsten Jahren durchsetzen wird, es wird zunehmend ‹elektrisch› werden», so Streitz.
Elektrifizierende Idee
Liebherr will den Trend der Elektrifizierung von Baumaschinen aktiv mitgestalten und verfolgt diesbezüglich in der Geräteentwicklung ehrgeizige Ziele. Das allein vermag zu erklären, weshalb es die selbst für viele Fachleute verrückt anmutende Idee eines akkubetriebenen Grossdrehbohrgeräts 2017 auf die Roadmap für Spezialtiefbaugeräte schafft. Um deren Machbarkeit seriös zu evaluieren, wenden sich die Verantwortlichen an Suncar HK. Dieses noch junge Spin-off der ETH Zürich hat sich mit der Elektrifizierung von Baggern einen Namen in der Branche gemacht.
Von der Kooperation mit dem innovativen Start-up-Unternehmen erhofft sich Liebherr auch einen Know-how- und Technologie-Transfer, der die Entwicklungszeit für das Akkudrehbohrgerät reduziert. Nach fünf Monaten kommt von Suncar HK grünes Licht für die Weiterverfolgung des Projekts. Unter Beachtung einiger Randbedingungen und Einschränkungen seien konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für eine Spezialtiefbaumaschine mit einer derart hohen Batteriekapazität gegeben.
”
Egal, welche Technologie sich in den nächsten Jahren durchsetzen wird, es wird zunehmend ‹elektrisch› werden.
Holger Streitz, Geschäftsführer Technik Baumaschinen, Liebherr-Werk Nenzing GmbH, Österreich
Holger Streitz, Geschäftsführer Technik Baumaschinen, Liebherr-Werk Nenzing GmbH, Österreich
Akku hält 10 Stunden
«Wir zweifelten an der Akzeptanz eines kabelbetriebenen Bohrbetriebs», erinnert sich Streitz. Die Forderung ans Entwicklerteam habe deshalb von Anfang an gelautet: Der Energiespeicher des elektrifizierten Drehbohrgeräts muss einen ganzen Arbeitstag ohne Nachladung – also unplugged – abdecken können. Das ist einfacher gesagt als getan. Denn beim kompakten LB 16, den es für das alternative Antriebskonzept zu modifizieren gilt, ist der Platz für den Einbau der Batterietröge sehr begrenzt.
Notwendig ist eine Optimierungsstrategie, welche die Maximalwerte eines Referenz-Arbeitstags bewusst ignoriert, da diese in der Summe einen kleinen Zeitanteil ausmachen. So gelingt es, die maximal mögliche Batteriegrösse für den zur Verfügung stehenden Bauraum zu bestimmen. Einige der benötigten Akkutröge müssen wohl oder übel auf dem Maschinendach positioniert werden. Deren Abdeckungen wirken anfänglich etwas klobig. Den Industriedesignern von Dominic Schindler Creations gelingt es jedoch, diese in ein modern anmutendes Erkennungsmerkmal des «LB 16 unplugged» zu verwandeln.
Aber auch bezüglich Leistung ist das Ziel erreicht: Der Akku ist nun tatsächlich für die Dauer eines 10-stündigen Arbeitstags ausgelegt. In mindestens 80 Prozent der Fälle dürfte keine Nachladung erforderlich sein. Dies ermöglicht eine Batteriekapazität, die derjenigen von rund sieben Tesla-S-Modellen entspricht respektive einer Reichweite von 3000 Kilometern. Die Aufladung des Akkus erfolgt dann jeweils über Nacht mittels eines herkömmlichen Baustellenanschlusses mit einer Stromstärke von 32 oder 63 Ampere. Für die Schnellladung in knapp sieben Stunden wird hingegen ein 125-Ampere-Anschluss benötigt.
Quelle: Gabriel Diezi
Die geschickt verpackten Akkutröge auf dem Maschinendach sind das Markenzeichen des «LB 16 unplugged».
Quelle: Gabriel Diezi
Die geschickt verpackten Akkutröge auf dem Maschinendach sind das Markenzeichen des «LB 16 unplugged».
Quelle: Gabriel Diezi
Die geschickt verpackten Akkutröge auf dem Maschinendach sind das Markenzeichen des «LB 16 unplugged».
Quelle: Gabriel Diezi
Die geschickt verpackten Akkutröge auf dem Maschinendach sind das Markenzeichen des «LB 16 unplugged».
Feuertaufe auf Autobahn
Die Lancierung des «LB 16 unplugged» genau jetzt, im Jahr 2019, habe «disruptives Potenzial», ist Streitz überzeugt. Im praktischen Einsatz für umweltbewusste Bauherren oder auf Baustellen in lärmempfindlichen Gebieten könnten nun Liebherr-Kunden das akkubetriebene Grossdrehbohrgerät austesten und offene Fragen zu dessen Nutzung klären. Ihre Feuertaufe hat die leise Spezialtiefbaumaschine jedoch ausgerechnet auf einer lärmigen Strassengrossbaustelle erlebt.
Bei der stark befahrenen Autobahn-Anschlussstelle Bludenz-Bürs in Vorarlberg errichtet die staatliche Infrastrukturgesellschaft Asfinag bis 2021 einen grossen Kreisel mit zwei Brücken über die A14. Damit sollen an diesem neuralgischen Punkt gefährliche Rückstaus auf die Autobahn bald der Vergangenheit angehören. Auf der Bludenzer Baustelle kommt ganz bewusst der umweltfreundliche «LB 16 unplugged» für Gründungsarbeiten zum Einsatz. «Nachhaltigkeit am Bau ist für uns kein Fremdwort, sondern gelebte Praxis», sagt Andreas Fromm, Geschäftsführer der Asfinag Bau Management GmbH.
Beauftragt mit den Spezialtiefbauarbeiten ist das lokale Unternehmen «i+R». Es muss die Pfahlgründungen direkt unter einer Hochspannungsleitung einbringen, was die maximale Arbeitshöhe deutlich beschränkt. Das eingesetzte Bohrgerät ist deshalb als sogenannter Low Head ausgeführt, also mit verkürztem Mäkler. Auf dem engen Baufeld punktet der «LB 16 unplugged» zudem mit seiner kompakten Bauweise, an der auch die Akku-Aufbauten nichts ändern.
Quelle: Gabriel Diezi
Der Akku lässt sich bequem via herkömmlicher Baustellenanschlüsse über Nacht aufladen.
Stimmschonend arbeiten
Für die notwendigen 148 Pfähle mit einer Tiefe zwischen 10 und 14 Metern gilt es, insgesamt 1742 Meter weit in den Boden zu bohren. Bei einem Durchmesser von 900 Millimetern werden so rund 1200 Kubikmeter Beton verbaut. Die Tagesleistung der Maschine liegt bei zwei Pfählen pro Tag, da nur maximal zwei Meter lange Bohrrohre eingesetzt werden können und die Bewehrungskörbe in Teilstücken einzubauen sind.
Das Fehlen eines Verbrennungsmotors hat für den Vorarbeiter Sebastian Timpe einen grossen Vorteil: deutlich weniger Lärm. «Der Geräuschpegel auf der ganzen Baustelle ist niedriger, auch die Drehbewegungen der Maschine sind leiser.» So könne er sich wirklich auf den Bohrbetrieb konzentrieren, ohne die ganze Zeit schreien zu müssen. «Wenn ich normal und deutlich rede, hört mich selbst der Kollege, der weiter weg steht», betont Timpe.
Dank des ruhigeren Drehbohrgeräts höre man zudem plötzlich, was sonst noch auf der Baustelle geschehe – definitiv ein sicherheitsrelevanter Aspekt auf einer laufenden Baustelle. Ganz anders erlebt Timpe die Arbeitsbedingungen beim Einsatz eines konventionellen Geräts: «Wenn der Motor auf Volllast läuft, ist er schon sehr laut. Dann muss man seine Stimme immer wieder erheben – und hat dann selber die Belastung.»
Quelle: Gabriel Diezi
In künftigen Praxiseinsätzen sammeln die Liebherr-Ingenieure via Telematik fleissig Daten, um das «LB 16 unplugged» weiter zu optimieren.
Quelle: Gabriel Diezi
In künftigen Praxiseinsätzen sammeln die Liebherr-Ingenieure via Telematik fleissig Daten, um das «LB 16 unplugged» weiter zu optimieren.
Quelle: Gabriel Diezi
In künftigen Praxiseinsätzen sammeln die Liebherr-Ingenieure via Telematik fleissig Daten, um das «LB 16 unplugged» weiter zu optimieren.
Quelle: Gabriel Diezi
In künftigen Praxiseinsätzen sammeln die Liebherr-Ingenieure via Telematik fleissig Daten, um das «LB 16 unplugged» weiter zu optimieren.
Leistungsstark im Bohrbetrieb
Solche subjektiven Eindrücke sind für die Liebherr-Ingenieure wertvoll. Selbstverständlich sammeln sie zudem via Telematik alle relevanten Daten zu den ersten realen Arbeitseinsätzen des «LB 16 unplugged». Insbesondere die Aufzeichnungen des Ladestroms erlaubten viele Rückschlüsse in Echtzeit über den Arbeitsprozess und das Zusammenspiel der Komponenten, sagt Holger Streitz vom Liebherr-Werk in Nenzing.
Ihn persönlich freue aber vor allem die Begeisterung des Geräteführers, die handfeste Gründe habe: «Die Auslastung des Elektromotors mit einer Leistung von 265 Kilowatt ist recht hoch. An manchen Betriebspunkten kommt mehr Leistung beim Bohrbetrieb an als beim vergleichbaren Gerät mit Dieselmotor.» Die ersten Messungen würden die theoretische Auslegung des Systems also erfreulicherweise bestätigen.
Auf diesen Lorbeeren wollen sich Streitz und sein Team aber nicht ausruhen. Weitere Einsätze bei Kunden sind geplant, die messtechnisch begleitet und hinsichtlich der Detailoptimierung des Geräts ausgewertet werden. Das «LB 16 unplugged» soll dann in Kleinserie produziert und an interessierte Bauunternehmen vermietet werden.
Liebherr ist nämlich überzeugt, dass es bei emissionsfreien Baumaschinen nicht nur um ein neues Antriebskonzept geht, sondern auch um neue Geschäftsmodelle. Tatsächlich dürfte mancher umwelt- oder imagebewusste Bauherr künftig «Local Zero Emission» für seine Baustelle wünschen oder gar vorschreiben – und entsprechende leicht teurere Offerten bei der Arbeitsvergabe berücksichtigen.
Lust auf eine weitere Baumaschinen-Geschichte?
Einen spannenden Einblick in LiebherrsEntwicklungs-und Vorführzentrum (EVZ) finden Sie unter:www.baublatt.ch/evz.