CO2 in Abbruchbeton speichern: Neustark gibt mit Grossanlage Gas
Die Neustark AG legt bei der kommerziellen Umsetzung des Verfahrens zur Entfernung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre ein hohes Tempo an. Vor kurzem wurde mit industriellen Partnern die neunte Grossanlage in Betrieb genommen, um das Klimagas mittels Mineralisierung in Abbruchbeton einzulagern. Nun will das Jungunternehmen mit der Technologie in europäische Länder expandieren.
Quelle: zvg
Die neue Grossanlage zur CO₂-Speicherung in Biberist, SO.
Seit der Gründung 2019 hat die im Bereich Climate-tech tätige Neustark AG nach ersten Tests und Prototypen rasch ein Netzwerk von industriellen Abscheidungs- und Speicheranlagen entwickelt. Was vor wenigen Jahren als Firmenausgründung der ETH Zürich begann, bewährt sich nun auch im industriellen Massstab. Dabei legt die Neustark AG ein forsches Tempo an.
Die bisher grösste Anlage mit einer Speicherkapazität von rund 1000 Tonnen CO₂ pro Jahr wurde vor kurzem im schweizerischen Biberist (SO) in Betrieb genommen. Das Schweizer Jungunternehmen konnte dabei die in den Bereichen Abbruchrecycling und Betonproduktion tätigen Alluvia AG sowie die Vigier Beton als industrielle Partner gewinnen, die nach der gemeinsamen Entwicklung und Planung des Projekts die Anlage auch betreiben werden.
Abbruchmaterial wird zur «Senke»
Um den direkten Zugang zu Abbruchbeton in einem grösseren Einzugsgebiet zu ermöglichen, wurde die Anlage auf einem zentral gelegenen Abbruchgelände der ehemaligen Papierfabrik in Solothurn gebaut, wie Neustark in einer Mitteilung zur Inbetriebnahme schreibt. Die erste stationäre Anlage, die CO₂ in Abbruchbeton speichert, ging vor weniger als einem Jahr in Betrieb. Mittlerweile nutzen bereits neun Speicheranlagen die Neustark-Technologie.
Über die Wertschöpfungskette soll Abbruchmaterial in eine sogenannte «Senke» verwandelt. Bei Massnahmen gegen die Klimaerwärmung sind Negativemissionen bedeutend, da sie schwer vermeidbare Emissionen aus der Atmosphäre aufnehmen. Das Potenzial bei Abbruchmaterial ist riesig. Mit über eine Milliarde Tonnen pro Jahr ist Abbruchbeton der grösste Abfallstrom der Welt.
Dank Kalkstein Beton mit besseren Eigenschaften
Doch dazu muss das schädliche Gas zuerst aus der Atmosphäre entfernt werden. Bereits vor Jahren hatten die Neustark-Ingenieure bei der Abwasserreinigungsanlage der Region Bern ein Abscheide- und Verflüssigungsanlage installiert. CO₂ entsteht dort bei der Biogasanlage durch die Vergärung von Biomasse.
Das verflüssigte CO₂ wird danach zu nahe gelegenen Speicheranlagen transportiert, wo Granulat von Abbruchbeton während des Recyclingprozesses mit dem Gas beflutet wird. Dadurch werden hochreaktive Bedingungen geschaffen, sodass bei Kleinstpartikeln aus Zement der Mineralisierungsprozess in Gang gesetzt wird. Calciumhydroxid wird dabei unter Bindung von CO₂ in Calciumcarbonat umgewandelt.
Quelle: Stefan Schmid
Teil der Pilotanlage auf dem Kibag-Areal in Regensdorf von 2021. Im Tank befindet sich flüssiges CO₂, im Container die Prozesssteuerung.
Es ist die Umkehr jener chemischen Prozesse, die bei der Herstellung von Zement ablaufen. Mit dem von Neustark entwickelten Verfahren ist es möglich, pro Tonne Abbruchbeton etwa 10 Kilogramm CO₂ zu speichern. Zum Vergleich: Eine Anlage kann in einer Stunde das leisten, wofür 50 Bäume ein Jahr brauchen würden.
Der nach der Neustark-Technologie hergestellte Beton entspricht zu 100 Prozent den bestehenden Leistungsnormen. Weil der eingelagerte Kalkstein die Poren schliesst, resultiert sogar eine bessere Qualität des ausgehärteten Betons, etwa was die Druckfestigkeit betrifft. Beim Gesamteffekt der CO₂-Speicherung sind allerdings auch graue Emissionen zu berücksichtigen, die bei der Gasverflüssigung mit Strom, dem Transport sowie dem Betrieb der Anlage entstehen. Drei bis fünf Prozent sind daher pro Tonne eingespartes CO₂ in Abzug zu bringen. Laut einer Analyse der ETH Zürich bleibt die Bilanz aber eindeutig sehr positiv.
Expansion in europäische Länder
Das CO₂ wird dauerhaft im Abbruchbeton gespeichert und so der Atmosphäre entzogen. Das mit CO₂ injizierte Betongranulat kann dann wie üblich von den Recyclern zum Bau von Strassen oder zur Herstellung von neuem Recyclingbeton verwendet werden.
Für den Bezug von verflüssigtem Kohlendioxid arbeitet das Unternehmen inzwischen mit Betreibern von Biogasanlagen zusammen, Baustoffrecycler speichern dann das CO₂. Zudem sucht Neustark die Zusammenarbeit mit Unternehmen mit ehrgeizigen Plänen zur Erreichung der Klimaziele und die laut Mitteilung CDR-Zertifikate (Carbon Dioxide Removal) erwerben. Zu den CDR-Kunden von Neustark gehören die UBS, Microsoft und Verdane.
«Neustark hat als erstes Unternehmen in der Praxis gezeigt, dass die dauerhafte CO₂-Speicherung durch Mineralisierung in Betonabbruch wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll ist», sagt Johannes Tiefenthaler, Gründer und Co-CEO der Neustark AG. Bis 2030 hat sich das Unternehmen ambitionierte Ziele gesetzt und expandiert derzeit rasch in verschiedene europäische Länder. So werden in Deutschland, Österreich und Frankreich verschiedene Anlagen zur punktuellen Abscheidung und Speicherung von CO₂ gebaut. Laufend werden weitere Partnerschaftsvereinbarungen getroffen. (mgt/sts)