Beat Flach, Rechtsexperte beim SIA: Der Türöffner
Beat Flach ist mehr als Nationalrat und Jurist. Er ist auch gelernter Rheinmatrose, hat die Erwachsenenmatur absolviert und war Werkstudent bei einem Betonvorfabrikationsbetrieb während er an der Universität Freiburg Recht studierte. Mittlerweile ist der vielseitig Engagierte unter anderem Rechtsexperte beim SIA. – Doch das ist längst nicht alles.
Quelle: CH Media/Severin Bigler
Beat Flach sieht die Bauwirtschaft als «grossen Hebel» bei der Verringerung des CO2-Ausstosses.
Vom Bahnhof Wildegg AG aus gäbe es einen Bus zum Zielort: Dem Haus von Beat Flach in Auenstein AG, in dem er mit Frau und Sohn sowie einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie wohnt. Das Angebot, abgeholt zu werden, ist allerdings zu verlockend. Erst recht beim Anblick der wartenden Kutsche: einem Microlino. Das sind die Mini-Elektroautos des Schweizer Trottinett-Herstellers Micro, die man in letzter Zeit hie und da sieht und sich fragt: Ist das ein Auto? Ist es. Sehr klein, perfekt für schnelle, kleine Erledigungen.
Dass Flach zu den ersten gehört, die in einem Microlino («Platz für zwei Personen und drei Kisten Bier») herumdüsen, ist kein Zufall: Er ist einer der ersten Besteller und Unterstützer des Projekts. Überhaupt: Der 59-Jährige überlässt den Lauf der Dinge schon lange nicht mehr dem Schicksal, wie das in jüngeren Jahren der Fall war. Er ist ein Mann der Tat. Für praktisch alles, was er ist, tut oder besitzt, hat er in irgendeiner Weise selbst den Grundstein gelegt, oder Bestehendes ausgebaut.
Schlosser, Modellbauer und Monteur
Als gelernter Rheinmatrose beherrscht er schon nach der Lehre einige handwerkliche Fähigkeiten wie Schreinern oder den Unterhalt von Motoren, hydraulischen und elektrischen Systemen. Bei seinen kommenden Arbeitgebern erweitert Flach sein Grundlagenwissen auf dem Bau, wird Schlosser, Modellbauer, Monteur für Löschtechnik, Eisenbetonzeichner. Auch Verkäufer und Kundenberater. Ein Mandat für eine deutsche Firma führt ihn nach Ostdeutschland, wo er nach der Wende die Sanierung von Plattenbausiedlungen mit bis zu 4000 Bewohnern organisiert und überwacht. Die Projekte werden immer grösser, Flach verhandelt mit den beteiligten Parteien oder vielmehr deren Anwälten. Und merkt: «Ich hatte grosse Wissenslücken, wenn es um rechtliche Details ging, wollte und musste aber sattelfest sein.»
Nun beginnt er seine Zukunft in die eigene Hand zu nehmen: Er beginnt die Erwachsenenmatur, heuert als Werkstudent bei einem Betonvorfabrikationsbetrieb an. Neben seinem Job in Villmergen AG studiert er in Freiburg an der Uni Recht. «Es kam vor, dass ich am Morgen um 6 Uhr in der Bude alles vorbereitete, dann nach Freiburg an Vorlesungen ging, um am Nachmittag wieder in Villmergen zu arbeiten.» Als der Betrieb Konkurs geht, rettet Flach die Abteilung, die er führt, und bringt alle seine Mitarbeiter samt laufenden Aufträgen in einer neuen Firma unter. «Ich hätte mich damals beinahe selbstständig gemacht… um Gottes Willen!» Zum Glück habe er das nicht getan, erklärt er den unerwarteten Unterbruch seiner Erzählung. «Meine Arbeit wäre heute noch dieselbe.» Eine grauenhafte Vorstellung für einen vielinteressierten Menschen.
Nach seinem Master of Law und einer Weiterbildung im Bereich Raumplanung dauert es nicht lange, bis Flach als Rechtsexperte beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) angestellt wird. Dort arbeitet er noch heute in einem 50-Prozent-Pensum. Mehr liegt kaum drin, denn Arbeit ist nur das halbe Leben für Beat Flach. Parallel zu seiner beruflichen Entwicklung findet sein politisches Erwachen statt. Am Anfang steht ein Erlebnis Mitte der 80er-Jahre auf einem Schiff in Rotterdam: «Greenpeace demonstrierte dort.» Von den Aktivisten erfährt er, dass die Schweiz ihren Atommüll in der Gegend einfach ins Meer kippe. «Ich fand das schrecklich, grauenhaft. Und musste denen sagen, dass ich als Schweizer Matrose quasi der direkte Adressat ihrer Demo sei», so Flach, dem das Gehörte mächtig in die Glieder fährt.
Als Matrose wird er zudem Zeuge des enormen Warenflusses zwischen der Schweiz und Europa. «Dass die EWR-Abstimmung 1992 nicht angenommen worden ist, frustrierte mich zutiefst.» Er ist heute noch überzeugt, ein Beitritt wäre das einzig Richtige gewesen.
Gründungssitzung der GLP
Ein Besuch 2009 an der Gründungssitzung der GLP Schweiz besiegelte den Einzug in die Politik: «Verena Diener sprach dort darüber, dass Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz zusammen gehen müssen. Das nahm mir den Ärmel rein.» Flach gesellte sich zu den Grünliberalen, baute die Aargauer Sektion der Partei mit auf und wurde 2011 in den Nationalrat gewählt, in dem er noch heute sitzt. Diesen Herbst möchte Flach in den Aargauer Regierungsrat wechseln: «Ich wäre gerne wieder in der Exekutive tätig, um direkt wirken zu können, habe eine Riesenlust darauf.»
Aus seinen vielen beruflichen und politischen Tätigkeiten hat sich so etwas wie eine Grundvision herauskristallisiert: Umweltfreundliche Siedlungsplanungen. «Die Bauwirtschaft ist für 60 Prozent der umweltschädlichen Emissionen verantwortlich, sie ist also ein grosser Hebel, um den CO2-Ausstoss zu verringern.» Die Branche stelle sich nicht quer: «Sie sagen: ‹Wir wollen Regeln, gebt sie uns.›» Flach steht voll hinter der «SIA-Charta für einen nachhaltig gestalteten Lebensraum» (www.die-nachhaltige-wahl.ch/de). Die Ziele: Eine Reduktion der Treibhausgase um 60 Prozent bis 2030, sowie die Erreichung von Netto-Null bis spätestens 2050. Der SIA fordert das Weiterbauen im Bestand und eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Sowie einen «zwingenden» raschen Ausbau der erneuerbaren Energien. Deshalb ist Flach auch ein Verfechter des neuen Stromgesetzes, über das am 9. Juni abgestimmt wird. «Das Stromgesetz stärkt die Versorgungssicherheit, macht uns weniger abhängig vom Ausland und ermöglicht den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien in Einklang mit Landschaft und Umwelt.»
Ist das alles realistisch? «Die Aufgaben sind so komplex und gross, es ist manchmal zum Verzweifeln. Doch am Ende geht es um jedes Zehntelgrad Erderwärmung. Die Menschheit muss umdenken und Fragen müssen gestellt werden.» Man dürfe sich nicht ins Bockshorn jagen lassen von düsteren Zukunftsszenarien und genauso wenig von realeren Bedrohungen wie dem Krieg in Europa und im Nahen Osten. «Wir haben nicht wirklich eine andere Option.» Und schliesslich hätten wir es ja mal fertiggebracht, jedes Haus mit Strom und Kanalisation und heute dem Internet zu verbinden. «In der Schweiz gilt: Innerhalb von 20 Minuten findet jeder etwas zum Einkaufen – also Essen –, ist innerhalb einer Stunde in einem medizinischen Spitzenzentrum. Wenn wir das geschafft haben, erreichen wir auch eine Veränderung im Konsumverhalten sowie in der Gebäudenachhaltigkeit und der Mobilität.»
Es sei lässig, sich für gute Sachen einzusetzen, schwärmt Flach. «Da trifft man andere Leute, die sich ebenfalls einsetzen, optimistisch denken – und das gibt dem Leben einen positiven Drive.»
«Wenn das mit der Politik vorbei ist»
Ganz ähnlich funktioniert Flachs Ehe mit Angélique (58). Zusammen haben sie die «Flach Consulting GmbH» ein Beratungs- und Coachingunternehmen als zweites Standbein aufgebaut. «Für die Zeit, wenn das mit der Politik vorbei ist.» Sie bietet psychosoziale Beratung, er Baurechtsberatung und Schlichtung an. «Wir haben keine Lust, uns zur Ruhe zu setzen, beide nicht.» Sie wollten noch etwas vorwärts machen.
Zusammen haben sie immer an einem Strang gezogen, beide mit dem Willen, aktiv zu sein, Neuland zu betreten, Dinge aufzubauen. Ob der Aufbau einer Ausbildungsstätte für Menschen mit einer mittelschweren kognitiven Behinderung – ihr gemeinsamer Sohn Vincent (23) hat einen sehr seltenen Gendefekt, der ihn in seiner Entwicklung beeinträchtigt. Oder die lokale Feuerwehr, in der sie für den Ersteinsatz Frauen ausbildeten, die Leitern stellen und Schläuche halten können – nachdem die Feuerwehrmänner realisierten, dass sie im Ernstfall alle weg an der Arbeit sind. «Wir sind seit 33 Jahren zusammen – oder sind es 34?» Sein Blick schweift hilfesuchend zur geschlossenen Tür, hinter der sich Angélique Flach befindet und die Frage beantworten könnte.
Der Zugang zum Büro muss auch so bald wieder geöffnet werden. Die Hauskatze kratzt daran und erhält sofort Einlass. Das Tier hüpft auf den Schreibtisch, Flach zieht es zu sich, streichelt es zärtlich. «Sie mag keine verschlossenen Räume», erklärt er. Da haben sich zwei gefunden, die wissen, wie sich geschlossene Türen öffnen lassen.