Baumängel: So sollen Bauherren besser geschützt werden
Wenn es Streit um Baupfusch gibt, sitzen die Bauherren und
Immobilienkäufer häufig am kürzeren Hebel. Um ihre Position zu stärken, will
der Bundesrat das Bauvertragsrecht ändern. Neu regeln will er etwa die
Rügefrist und die Haftung von Verkäufern oder Generalunternehmen für Baumängel.
Quelle: Thorben Wengert, pixelio.de
Wenn Handwerker Wände, Dächer oder Fassaden nicht oder falsch abgedichtet haben, kommt es zu Feuchtigkeitsschäden.
Wird auf dem Bau gepfuscht, haben die Bauherren oft Mühe,
sich für ihre Rechte zu wehren. Denn das Gesetz schützt sie zu wenig. Immer
wieder kämpfen Hauskäufer jahrelang erfolglos um die Behebung von Mängeln mit teilweise
hohen Schadensummen. Sie müssen sich mit Dutzenden von Firmen herumschlagen,
von denen sich niemand verantwortlich fühlt. Die Hausverkäuferin verweist für
die Mängelbehebung an das Generalunternehmen. Dieses wiederum schiebt die
Verantwortung den Handwerkern zu – und die wollen sich der Sache nicht annehmen,
weil sie nicht Vertragspartner der Käuferschaft sind. Zu solchen Fällen kann es
kommen, wenn Immobilienverkäufer oder Generalunternehmen im Bauvertrag die
Haftung für Baumängel wegbedingen.
Schon seit Jahren gibt es Bemühungen, die Rechte der
Bauherrschaften zu stärken. Im Bundeshaus hagelte es Vorstösse, die eine
verbesserte Rechtsstellung der Bauherren und damit vor allem der Haus- und
Stockwerkeigentümer verlangten. Im April 2009 forderte zum Beispiel die
damalige SP-Nationalrätin Hildegard Fässler in einer Motion «vertiefte
Abklärungen zur Verstärkung des Schutzes von Baufrauen und Bauherren bei der
Behebung von Baumängeln».
Zu überprüfen seien namentlich «die heute geltenden Rüge-
und Garantiefristen und die Haftung des Unternehmers für verdeckte Mängel». Der
Bundesrat empfahl, die Motion anzunehmen, was der National- und der Ständerat
2011 auch taten. Das Bundesamt für Justiz holte darauf beim Institut für
schweizerisches und internationales Baurecht an der Universität Freiburg ein
Gutachten ein. Dieses verneinte das Bedürfnis nach grundlegenden Neuerungen, schlug
aber einige Änderungen vor.
Widerstreitende Interessen
Seither wird um eine Lösung gerungen. Mehrmals wurde ein
Revisionsentwurf angekündigt und wieder verschoben. Die Überarbeitung des
Bauvertragsrechts habe wegen «der technischen und juristischen Schwierigkeit
der Materie» viel Zeit erfordert, erklärte das Bundesamt für Justiz auf
Medienanfragen. Zudem sei es anspruchsvoll gewesen, die widerstreitenden Interessen
der beteiligten Parteien unter einen Hut zu bringen und eine mehrheitsfähige
Lösung zu finden, die auch etwas nützt. Im August 2020 war es dann endlich so
weit: Der Bundesrat schickte einen Entwurf in die Vernehmlassung.
Seitdem ist es um die Revision des Bauvertragsrechts still
geworden. Die Auswertung der Vernehmlassung und die Ausarbeitung des Entwurfs
und der Botschaft seien im Gange, sagt auf Anfrage des Baublatts David
Oppliger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Zivilrecht und
Zivilprozessrecht im Bundesamt für Justiz. Das Ziel sei es, den Entwurf und die
Botschaft zusammen mit den Vernehmlassungsergebnissen noch dieses Jahr an das
Parlament zu überweisen.
Quelle: Thorben Wengert, pixelio.de
Die heutige Rechtslage benachteiligt Hauskäufer oder Bauherren bei Baumängeln.
Für den Bundesrat ist das geltende Bauvertragsrecht
«grundsätzlich praxistauglich und ausgewogen», wie er in seinem Bericht zum
Revisionsentwurf schreibt. Bei Baumängeln seien Bauherren aber teilweise
ungenügend geschützt. Dies habe eine Gesamtüberprüfung gezeigt. Die
Landesregierung schlägt deshalb eine Neuregelung dieser kritischen Einzelpunkte
im Obligationenrecht vor, will aber auf eine umfassende Revision verzichten.
Mehr Zeit für Mängelrügen
Baumängel müssen heute grundsätzlich «sofort» gerügt werden.
Gemäss der langjährigen Rechtsprechung des Bundesgericht bedeutet das: innert
sieben Kalendertagen. Diese Rechtslage wurde immer wieder bemängelt und sogar
als «Verwirkungsfalle» bezeichnet. Die kurze Rügefrist und die Folgen für die Bauherren,
wenn sie nicht eingehalten wird, seien «weder praktikabel noch sachlich
gerechtfertigt», erklärt der Bundesrat. Er schlägt deshalb neu eine Frist von
60 Tagen zur Rüge von Mängeln bei unbeweglichen Werken vor. Diese Rügefrist
soll nicht nur für Werk-, sondern auch für Grundstückkaufverträge gelten. Die neue
Regelung soll dispositiv sein, das heisst nicht als zwingendes Recht eingeführt
werden. Die Parteien können damit weiterhin vertraglich davon abweichen.
Neu regeln will der Bundesrat auch das sogenannte Nachbesserungsrecht.
Heute werden in Bauverträgen oft Klauseln vereinbart, die Verkäufer oder
Generalunternehmer von der Haftung für Mängel entbinden, die Subunternehmer
verursacht haben. Der Bundesrat erachtet vertragliche Klauseln als
problematisch, wenn sie einerseits die Haftung von Verkäufern oder
Generalunternehmen für Mängel ausschliessen und andererseits die Mängelrechte
gegenüber den Subunternehmen an die Käufer oder die Bauherren abtreten. Diese
Klauseln benachteiligten eine private Käuferschaft oder Bauherrschaft
erheblich.
Privatpersonen bauen für gewöhnlich einmal im Leben. Bei der
Erfüllung ihres Traums vom Eigenheim sind diese Bauherren meist von der Materie
überfordert und verstehen oft nicht, was sie mit den Bauverträgen im Detail unterschreiben.
Weil ihnen Fachkenntnisse fehlen, können sie oft gar nicht beurteilen, welcher
Planer oder Unternehmer für welchen Baumangel verantwortlich ist. Zudem kann es
schwierig und kostspielig sein, Mängelrechte gegenüber mehreren Haftpflichtigen
durchzusetzen.
Gemäss den Revisionsvorschlägen des Bundesrats soll das Nachbesserungsrecht
für Baumängel künftig von Gesetzes wegen nicht mehr eingeschränkt oder ausgeschlossen
werden können, wenn der Bau persönlichen oder familiären Zwecken dient. Diese
Regel soll auch für Werk- und Grundstückkaufverträge für solche Bauten gelten.
Die Frage, wann ein persönlicher oder familiärer Gebrauch eines Baus vorliegt, könnte
allerdings Streitpotenzial bergen.
Ersatzsicherheit begrenzt
Schliesslich soll die Situation der Bauherren in einem dritten
Punkt verbessert werden: Werden Forderungen eines Bauunternehmens nicht
beglichen, erhält das Unternehmen am Grundstück der Bauherrschaft ein sogenanntes
Bauhandwerkerpfandrecht. Wenn ihre Zahlungen vom Generalunternehmen nicht an
die Subunternehmen weitergeleitet werden, können diese ein solches Pfandrecht
geltend machen. Der Bauherrschaft bleibt dann keine andere Wahl, als die
Forderung zum zweiten Mal zu begleichen oder eine Ersatzsicherheit zu leisten, um das
Pfandrecht abzuwenden. Künftig soll diese Ersatzsicherheit die Verzugszinsen
für zehn Jahre abdecken müssen und nicht wie bisher für unbeschränkte Zeit.
Damit soll es den Grundeigentümern erleichtert werden, Bankgarantien als
Ersatzsicherheiten zu stellen.
Quelle: Thorben Wengert, pixelio.de
Fehlgeschlagene Fassadensanierung: Der Kampf um die Behebung von Baumängeln ist oft aufreibend.
Mit der Revision des Bauvertragsrechts solle die Situation
von Bauherren ohne spürbare Nachteile für Bauunternehmen verbessert werden,
erklärt der Bundesrat. Der Entwurf sei «kompatibel mit den in der Praxis
bedeutsamen Normen» des Schweizerischen Ingenieurs- und Architektenvereins
(SIA). Die SIA-Norm 118 zum Beispiel
regelt die Vertragsbedingungen zwischen Bauherren und Generalunternehmen. Dies
allerdings auf freiwilliger Basis: Dass die SIA-Normen Teil des Bauvertrags
sein müssen, wird nirgends vorgeschrieben.
Gegen Konsumentenschutz
In der Baubranche scheinen die Neuerungen auf Zustimmung zu
stossen. Für den Dachverband Bauenschweiz zeigt der Revisionsentwurf «in die
richtige Richtung», wie er in einer Medienmitteilung schreibt. Das Ziel von
Bauenschweiz sei es, einen Konsumentenschutz im Bauwesen zu verhindern. Ein
Bauwerk sei kein Konsumgut, auch nicht für private Bauherren beim Eigenheimbau.
«Dezidiert» spricht sich der Dachverband gegen eine umfassende Revision aus. Eine
tiefgreifende Überarbeitung des Bauvertragsrechts ist aus seiner Sicht «nach
wie vor nicht notwendig».
Zu Unrecht werde von einem verbreiteten Pfusch oder
Missbrauch im Bau ausgegangen. Die überwiegende Mehrzahl der Bauprojekte und
Mängelbehebungen gingen reibungslos vonstatten. Weiter verweist Bauenschweiz
auf die SIA-Normen. Diese berücksichtigten die Interessen der Bauherren
weitgehend. Die SIA-Normen würden in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen
erarbeitet, seien breit anerkannt und hätten sich in der Praxis bewährt.
Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) erachtet die Revisionsvorschläge als
«ausgewogen und darum auch annehmbar», wie es in seiner Stellungnahme
heisst. Wie Bauenschweiz baut der SBV aber auch auf die SIA-Normen. Die
Bestimmungen der SIA-Norm 118 hätten sich in der Praxis flächendeckend
durchgesetzt und würden auch von der öffentlichen Hand als Vertragsstandard
anerkannt und verwendet. In den einzelnen Werkverträgen würden aber immer öfter
Bestimmungen dieses Regelwerks durch höherrangige Vertragsklauseln zulasten der
Bauunternehmen entweder wegbedungen oder angepasst. Der SBV sieht hier
einen «starken Handlungsbedarf». Er will sich deshalb gemeinsam
mit Bauenschweiz ausserhalb des gesetzgeberischen
Prozesses für eine «integrale Anwendung» der SIA-Norm 118 einsetzen.
ETH-Studie: 15 Mängel pro Bauprojekt
Jährlich werden in Schweiz 1,6 Milliarden Franken
ausgegeben, um Baumängel zu beheben. Dies entspricht acht Prozent der
Bauinvestitionen im Hochbau. Das ergab eine 2013 veröffentlichte Studie der ETH
Zürich, die der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) in Auftrag gegeben hatte.
Die Forscher werteten dafür die Gutachten von 1013 zwischen 1992 und 2010
erstellten Neubauten aus sowie die Mängelprotokolle von 54 zwischen 2004 und
2010 errichteten Gebäuden. Zudem führten sie 141 Gespräche mit Experten.
Pro Projekt zählten sie durchschnittlich 15 Mängel, die je
2500 Franken kosteten. Ein Viertel der Schäden stellten sie an den Aussenwänden
fest, 19,7 Prozent an Balkonen und Terrassen sowie 14,3 Prozent an Fenstern.
Auf Bauteile unter der Erde, Dächer und Fussböden entfielen je gut acht
Prozent. Rund 60 Prozent der Schäden wurden verursacht, wenn Wasser durch
undichte Stellen an oder in ein Gebäude gelangte.
Gemäss der ETH-Studie entstehen 60 Prozent der Mängel bei
der Ausführung der Arbeiten auf der Baustelle. 20 Prozent sind auf
Planungsfehler zurückzuführen, sechs Prozent auf Bauleitungsfehler. Die
restlichen Prozente verteilen sich auf verschiedene Ursachen. Die Gründe für
die Baumängel liegen zum einen in der zunehmenden Komplexität des Bauens, zum
anderen in mangelhaft geschultem Personal sowohl in der Planung und auf dem Bau
als auch im Fachhandel. Viele Mängel sind auch dem hohen Grad der
Arbeitsteilung in Planung und Bau zuzuschreiben: Planen und arbeiten mehrere
Firmen an einem Teil eines Bauwerks, fühlt sich niemand für
die Gesamtausführung verantwortlich.
Hinzu kommt bei Bauprojekten der meistens herrschende hohe Zeitdruck. Dies kann sich in fehlender Sorgfalt bei Vergabegesprächen, Offerteneinholung oder Referenzbegutachtung niederschlagen. Ein nicht zu unterschätzender Punkt ist auch eine schlecht oder falsch informierte Bauherrschaft. Das ist teilweise auf eine ungenügende Beratung durch die Architekten zurückzuführen. Dieses Unwissen kann Fehlentscheide zur Folge haben, die wiederum zu steigendem Zeitdruck führen.
Auf der Grundlage der Studie haben die
ETH Zürich und der Schweizerische Baumeisterverband ein Handbuch mit
praktischen Ratschlägen verfasst, damit Baumängel künftig auf ein Minimum begrenzt
werden können. (stg)
Mängel im Hochbau – Empfehlungen für Ausführende und
Entscheidungsträger; Sacha Menz, Oliver Kriebus; SBV; 176 Seiten; 21,6 x 15,7
Zentimeter; gebunden; ISBN 978-3-9524170-0-3; ca. 48 Franken