Archäologen bergen hochalpinen Steinzeitfund am Oberalpstock
Während drei Tagen haben Gletscherarchäologen am Oberalpstock auf einer Höhe von 2800 Meter über Meer eine Notgrabung durchgeführt. Sie wollten dabei Spuren sichern, die Kristallsucher vor 10'000 Jahren hinterlassen hatten.
Bereits 2013 hatte ein einheimischer Strahler am
zurückschmelzenden Brunnifirngletscher Holzreste, Geweihstangen und
Kristallsplitter gefunden, die sich später als Gegenstände aus der
Mittelsteinzeit (Mesolithikum) herausstellten. Die Funde gehörten zu den
ältesten im Eis konservierten Artefakten im Alpenraum, teilten die Urner
Staatskanzlei und das Urner Institut «Kulturen der Alpen» am Freitag
mit.
Sie bewiesen, dass an dieser Stelle bereits in den Jahren von 7500 bis 5800 vor Christus Menschen nach Kristallen gesucht hätten – also rund 4000 Jahre bevor Ötzi in den Südtiroler Alpen lebte. Die Chancen, aus dieser Fundstelle neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, seien sehr gross, wird Christian Auf der Maur, der vom Kanton Uri beauftragte archäologische Gutachter, in der Mitteilung zitiert.
Kleines Zeitfenster
Weil die Fundstelle durch Erosion, Alpinisten und Strahler gefährdet ist, entschied die Justizdirektion des Kantons Uri, eine Notgrabung zu bewilligen. Für die Arbeiten stand den hochalpinen Forscherinnen und Forschern nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung: Ende Sommer, wenn die Stelle komplett schneefrei ist.
Gleichzeitig musste das Wetter stimmen, denn Helikopterflüge zum Transport des geborgenen Materials sind nur bei klarer Sicht möglich. Von Dienstag bis Donnerstag waren diese Bedingungen erfüllt und die Gletscherarchäologen konnten im Bereich der Unteren Stremlücke auf dem Gemeindegebiet von Silenen UR die Grabung durchführen.
Um mögliche Reste der mehrere tausend Jahre alten Abfallschichten aus der Zeit der ersten Strahler zu finden, erstellten die Forscher einen Sondiergraben am Abhang unterhalb der Kluft. «Eindeutige Ergebnisse» der Funde dürften erst nach Analyse der organischen Bestandteile aus den Erdproben am Institut «Kulturen der Alpen» der Universität Luzern in Altdorf vorliegen, hiess es.
Jedes Steinchen sichten
Zudem füllten die Archäologen das Schuttmaterial rund um die Kristallkluft in grosse Säcke ab. Am Institut für Alpen sollen dann alle Steinchen, Kristallsplitter und Holzfragmente einzeln ausgelesen und gesichtet werden. Diese Funde sollen genauere Daten zum Abbauvorgang von Bergkristall und der Lebensweise der damaligen Menschen liefern.
Erste Untersuchungen von Funden in der gleichen Kristallkluft in den Jahren 2015 und 2017 hätten gezeigt, dass die Menschen in der Mittelsteinzeit die Kristalle vor Ort zu Werkzeugen weiterverarbeitet hatten. Er erhoffe sich, noch mehr über die Geschichte des Strahlerwesens lernen zu können, sagte der Geschäftsführer des Instituts, Romed Aschwanden. Offenbar sei die heute noch lebendige Tradition tausende von Jahren alt. Erste Untersuchungsberichte seien Ende 2021 zu erwarten. (sda)