Akustikforschung an der HSLU: Dem Klang der Stadt auf der Spur
Wie klingt Kriens, sollte die A2 einst teilweise überdacht sein? Ein breit gefächertes HSLU-Forschungsteam will es herausfinden. Mithilfe von Augmented Reality und unterstützt von Partnern machen sie die Veränderungen nicht nur sicht-, sondern auch hörbar.
Quelle: HSLU / Raisa Durandi
Blick auf die A2 von der Arsenalbrücke aus – die Autobahn führt hier offen durch Kriens.
Von Lisa Savenberg*
Es ist laut. Unter uns rauschen Lastwagen vorbei, Autos brettern über den Asphalt, zwischendurch heult ein Motor auf. Steht man auf der Arsenal-Brücke in Kriens, blickt man direkt auf die A2. Rund ein Kilometer lang ist der Abschnitt, der hier offen durch Kriens führt – eine Schneise mit deutlich hörbaren Auswirkungen. Kein Wunder, dass die urbane Nachbargemeinde von Luzern eine Teilüberdachung der Autobahn anstrebt. Das Gebiet soll aufgewertet, die Lebensqualität erhöht werden.
Doch wer sich mit grösseren Bauvorhaben von Städten und Gemeinden auskennt, weiss: Die Mühlen der Politik mahlen langsam. Nicht zuletzt, weil sie auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen sind. «Deshalb ist es wichtig, dass sich die Leute gut informiert fühlen und auf Augenhöhe mitwirken können», sagt Tobias Matter, Forscher und Designer an der HSLU, der sich seit Jahren mit gestalterischen und partizipativen Technologien für die Raumplanung befasst. Mit dem Aufzeigen von zweidimensionalen, abstrakten Bauplänen allein, stosse man dabei schnell an Grenzen. Es stellt sich also auch in Kriens die Frage: Wie kann man politischen Entscheidungsträgern und der breiten Bevölkerung besser vermitteln, wie eine Autobahn-Teilüberdachung die Geräuschkulisse verändert und sich ins Ortsbild einfügt?
Mit Kopfhörern in ein Zukunftsszenario eintauchen
Zurück auf der Brücke. Tobias Matter packt einen Kopfhörer und ein Tablet aus. Was unscheinbar aussieht, dient in Wirklichkeit als eine Art Zeitmaschine: Setzt man sich die Noise-Cancelling-Kopfhörer auf, hört man, wie sich der Klang der Umgebung im Falle einer künftigen Teilüberdachung der Autobahn an genau diesem Standort verändern würde. Die Geräuschkulisse ist «sanfter» geworden, gleicht eher einem dumpfen Rauschen in der Ferne.
Bewegt oder dreht man sich, verändert sich die Akustik, denn die Kopfhörer sind mit einem Standortsensor ausgestattet. Mit ein paar Klicks auf dem Tablet ist der Wechsel zwischen Szenarien möglich, vom lärmigen Status quo bis hin zu mehreren Überdachungsvarianten, die im Rahmen einer Testplanung diskutiert wurden. Ein Mittendrin-Gefühl mit allen Sinnen, das einen in das Kriens von morgen eintauchen lässt.
Quelle: HSLU / Raisa Durandi
Wie klingt Kriens, sollte die A2 einst teilweise überdacht sein? Ein breit gefächertes HSLU-Forschungsteam will es herausfinden.
Quelle: HSLU / Raisa Durandi
Christian Schnellmann (l.) und Tobias Matter (r.) testen den Stand ihres AR-Prototyps.
Innosuisse-Projekt lässt Reales und Virtuelles verschmelzen
Die für Kopfhörer und Tablet entwickelte Anwendung basiert auf Augmented Reality (AR). Sie ist Teil eines mehrjährigen, von Innosuisse geförderten Projekts, das sich unter Tobias Matters Leitung um den Einsatz von AR in der Raumplanung dreht. Die Technologie erlaubt es, geplante Bauvorhaben oder Umgestaltungen – in Form von digitalen Ergänzungen der realen Umgebung – auf dem Smartphone oder Tablet zu sehen. Bisher stand in dem gross angelegten Projekt stets die visuelle Ebene im Zentrum; dazu wurden verschiedene Fallstudien mit Schweizer Gemeinden gemacht.
Ein Projekt, zahlreiche Fallbeispiele
Nun wird in Kriens erstmals der Hörsinn angesprochen. Denn auch punkto Akustik ist das Bedürfnis gross, Veränderungen besser aufzeigen zu können. Im Grunde brauche es Übersetzungsarbeit: «Wenn man in der Planung einer Lärmschutzmassnahme nur von so und so viel Dezibel spricht, kann sich kaum jemand etwas darunter vorstellen», so Projektleiter Tobias Matter. «Deshalb wollen wir ‹hörbar› machen, welcher Unterschied zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand liegt.» Es gehe ihm dabei aber nicht nur um die Lärmdiskussion, betont er. Eine Überdachung könne zum Beispiel auch Einfluss darauf haben, ob man an einem bestimmten Ort Naturgeräusche wie Vogelgezwitscher höre oder eben nicht.
”Wir wollen hörbar machen, welcher Unterschied zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand liegt.
Tobias Matter, Projektleiter und Designer an der Hochschule Luzern
Und, um das Erlebnis noch ganzheitlicher zu gestalten und den Bogen wieder zurück zum Visuellen zu schlagen: Die Forschenden beabsichtigen, in der AR-Anwendung letztlich beide Sinne zusammenzuführen. «Unser Ziel ist es, dass der Effekt der Teilüberdachung nicht nur über den Kopfhörer gehört, sondern zeitgleich eine AR-Simulation des Bauwerks auf dem Tablet erlebt werden kann», führt Tobias Matter aus.
Kein Platz für «Gärtchen-Denken»
Für die ambitionierten Pläne hat sich das Projektteam besonders breit aufgestellt. Während Tobias Matter vor allem den Ansatz des «Co-Designs» einbringt, also den Einbezug der Nutzerinnen und Nutzer in den Entwicklungsprozess, ist rund um ihn ein interdisziplinäres HSLU-Team am Werk. Forschende aus Design, Informatik und Elektrotechnik spannen hier zusammen und tüfteln an innovativen Lösungen.
Unterstützt werden sie von Expertinnen und Experten aus dem Institut für soziokulturelle Entwicklung – denn letztlich geht es darum, mit den entwickelten AR-Anwendungen partizipative Prozesse in der Raumplanung anzustossen. «In einem so interdisziplinär angelegten Projekt ist es meine Aufgabe, die richtigen Leute zu vernetzen und eine Umgebung für sie zu schaffen, in der sie ihre Perspektive einbringen können», so Tobias Matter.
Das bedeutet auch, Bindeglied zu den Praxispartnern des Projekts zu sein. Im Fall von Kriens ist das Lärmschutz- und Akustikbüro Sinus AG mit an Bord, welches vor Ort reale Lärmmessungen gemacht hat. Diese Messungen dienen als Basis für die abgespielte Klangkulisse. «Für unsere Praxis wäre es von grossem Vorteil, wenn wir unsere Akustikberechnungen und -messungen anschaulich vermitteln könnten», so Roger Furrer, Projektverantwortlicher seitens Sinus. In Beratungssituationen mit Behörden, Unternehmen und Privaten könne die Veränderung der Klangkulisse, welche eine Lärmschutzmassnahmen mit sich bringt, so viel besser diskutiert werden.
Quelle: HSLU / Raisa Durandi
Ein Teil des Projektteams (v.l.n.r.): Tobias Matter mit Roger Furrer (Sinus AG), Christian Schnellmann (HSLU – Design Film Kunst) und Manuel Isenegger (HSLU – Technik & Architektur).
Quelle: HSLU / Raisa Durandi
Auch Kantonsingenieur Gregor Schwegler hört hin, um sich ein Bild des Forschungsstandes zu machen.
Kantonsingenieur erhofft sich Diskussionsgrundlage
Aktuell handelt es sich bei der für Kriens entwickelten Anwendung noch um ein Versuchsmodell. Aber ist dieses auch praxistauglich? Um das herauszufinden, treffen sich die Experten der HSLU und der Sinus AG gerade mit Kantonsingenieur Gregor Schwegler. Er will die Anwendung testen und sich ein Bild des aktuellen Forschungsstandes machen. Denn der Kanton Luzern ist eng in die Lärmschutz-Testplanung in Kriens involviert – und potenzieller Abnehmer einer AR-Lösung, welche etwa im Dialog mit der Bevölkerung eingesetzt werden könnte.
Schwegler stellt sich ebenfalls auf besagte Arsenal-Brücke, wo der Kontrast zwischen der tosenden Autobahn und der simulierten Klangkulisse besonders gross ist. Er setzt sich die Kopfhörer auf und lauscht bedächtig. Dreht den Kopf hin und her. Und gibt dem Projektteam Grund zum Aufatmen. Denn, ja: Der Kantonsingenieur sieht Potenzial im getesteten Prototyp. «Die Technologie könnte auch für uns als Kanton ein Hilfsmittel sein, um ein geplantes Projekt in kürzester Zeit erlebbar zu machen und eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu schaffen», sagt Gregor Schwegler. Er denke da zum Beispiel an eine Informationsveranstaltung, in der man ein Vorhaben in wenigen Minuten auf den Punkt bringen muss. Wieso also nicht ein zusätzliches Sinnesorgan ansprechen, um die Leute besser abzuholen?
Für Tobias Matter und sein Team ist die positive Rückmeldung wertvoll. Auch wenn die konkrete Umsetzung der Autobahn-Teilüberdachung in Kriens in weiter Ferne liegt: Die Zeichen stehen gut, dass die Bevölkerung dereinst mit-hören, mit-sehen und somit auch gut informiert mit-reden kann.
*Lisa Savenberg ist Projektleiterin Newsroom & Unternehmenskommunikation bei der Hochschule Luzern. Dieser Artikel ist zuvor auf news.hslu.ch erschienen.