45 Wasserkraftwerke müssen weniger Wasser abfliessen lassen
Gewisse Wasserkraftwerke dürfen laut Bundesrat vorübergehend mehr Wasser für die Stromproduktion nutzen – mit Folgen für die Fischpopulation. Zudem soll mehr Strom durch Höchstspannungsleitungen fliessen können.
Quelle: Nant de Drance | Sébastien Moret
Der in Walliser Kraftwerken produzierte Strom soll ohne Hindernis transportiert werden können. Ebenso will der Bundesrat, dass das neue Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance (Bild) optimal eingesetzt werden kann.
Die Schweizer Energieversorgung im bevorstehenden Winter
wird weiter gestärkt. Bestimmte Wasserkraftwerke müssen zwischen dem 1. Oktober
2022 und dem 30. April 2023 weniger Wasser abfliessen lassen. Das hat der
Bundesrat am Freitag entschieden. Die dazugehörige Verordnung tritt Anfang
Oktober in Kraft.
Anfang September hatte Energieministerin Simonetta Sommaruga
bereits entsprechende Pläne skizziert. Bei der zeitlich befristeten Erhöhung
der Stromproduktion dürfen die Wasserkraftbetreiber aber die gesetzlich
festgelegte Mindest-Restwassermenge nicht unterschreiten. Zuständig für die
Umsetzung der Verordnung sind die Kantone, bei Grenzkraftwerken das Bundesamt
für Energie (BFE).
Anwenden sollen die Regelung Wasserkraftwerke, die nach 1992
eine neue Nutzungskonzession erhalten haben und aus ökologischen Gründen höhere
Restwassermengen abgeben als die gesetzlich minimal erforderlichen Mengen, wie
der Bundesrat schreibt. Von den insgesamt rund 1500 Wasserkraftwerken in der
Schweiz betrifft die Regelung damit rund 45 Anlagen. Sie können die
Restwassermenge für sieben Monate auf das gesetzlich vorgegebene Minimum
reduzieren.
Fische müssen leiden
Der Bundesrat rechnet dank dieser Massnahme mit einer
Zunahme der Stromproduktion von maximal 150 Gigawattstunden. Dies entspricht
etwa der jährlichen Stromproduktion eines Aare-Flusskraftwerks, respektive
etwas weniger als einen Drittel der vom Bundesrat beschlossenen Wasserkraftreserve
für den kommenden Winter in den Schweizer Stauseen.
Da die Restwasserreduktion zeitlich befristet ist, stuft der
Bundesrat die Auswirkungen auf die Umwelt als vertretbar und im Vergleich zum
volkswirtschaftlichen Nutzen als verhältnismässig ein. Es sei insbesondere mit
einer temporären Einschränkung der Fischwanderung zu rechnen. Das könne die
Fortpflanzung des Fischbestandes 2023 erschweren. «Erst bei einer langfristigen
Anwendung der Regelung wären irreversible Auswirkungen auf Biodiversität, Wasserversorgung
oder Wasserqualität zu erwarten.»
Der Bundesrat empfiehlt den Kantonen ausserdem, dass sie ergänzende Massnahmen zur Steigerung der Stromproduktion prüfen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen. Dazu gehören die temporäre Erhöhung der Staukote bei Flusskraftwerken, sofern damit keine anderweitigen Schäden entstehen, sowie die befristete Bewilligung eines optimierten Kraftwerkeinsatzes, der über die Konzession hinausgeht.
Quelle: Adrian Michael - Eigenes Werk wikimedia CC BY-SA 3.0
Bis Ende April 2023 können die Kapazitäten von zwei Übertragungsleitungen von 220 Kilovolt (kV) auf 380 kV erhöht werden. Dazu zählt etwa die Höchstspannungsleitung zwischen Bickigen BE und Chippis VS. Im Bild: Die Leitung beim Berghaus Schwarenbach auf dem Gemmipass.
Mehr Kapazität für Strom-Übertragungsnetz
Der Bundesrat hat zudem vorübergehend die Kapazität im Strom-Übertragungsnetz erweitert und befristete Verordnungen dazu verabschiedet. Das soll um bis 850 Megawatt höhere Importkapazitäten ermöglichen. Auch Netzengpässe im Inland will der Bundesrat vermeiden.
Der in Walliser Kraftwerken produzierte Strom soll ohne Hindernis transportiert werden können. Ebenso will der Bundesrat, dass das neue Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance im Unterwallis optimal eingesetzt werden kann.
Ab (morgen) Samstag und bis Ende April 2023 können bei Bedarf die Kapazitäten von zwei Übertragungsleitungen von 220 Kilovolt (kV) auf 380 kV erhöht werden. Dabei handelt es sich um die Höchstspannungsleitungen zwischen Bickigen BE und Chippis VS – die Gemmileitung – sowie die Leitung zwischen Bassecourt JU und Mühleberg BE.
Die Gemmileitung wurde Anfang der 1960er-Jahre für eine Betriebsspannung von 380 kV gebaut, aber nur mit 220 kV betrieben. Die Netzbetreiberin Swissgrid erhielt im vergangenen Februar die Plangenehmigung für die höhere Kapazität.
Arbeiten bisher durch Verfahren gebremst
Wegen eines laufenden Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte Swissgrid die technischen Anpassungen aber bisher nicht ausführen und auch keine Tests durchführen. Mit der nun in Kraft gesetzten Verordnung könnten diese Arbeiten nun erfolgen, schrieb der Bundesrat.
Die Leitung zwischen Bassecourt und Mühleberg wurde 1978 für eine Betriebsspannung von 380 kV gebaut, aber ebenfalls lediglich mit 220 kV betrieben. Die Plangenehmigung für die Spannungserhöhung ist seit März 2021 rechtskräftig, und die für die Kapazitätserhöhung nötigen Anpassungen sind im Gang. Ein früherer Notbetrieb ist laut Bundesrat möglich. Im Herbst 2021 seien erfolgreiche Tests durchgeführt worden.
Die höhere Kapazität des Strom-Übertragungsnetzes nütze auch Europa, schreibt der Bundesrat. Denn sie schaffe zusätzliche Möglichkeiten, Überlastungen auszugleichen und Netzengpässe aufzufangen.
Die beiden neuen Massnahmen fügen sich ein in weitere Vorhaben, die das Risiko eines Energieengpasses in diesem Winter zu minimieren versuchen. Der Bundesrat beschloss eine Wasserkraftreserve, ermöglichte den Einsatz von Reservekraftwerken, ordnete die Beschaffung zusätzlicher Gasreserven an und leitete eine Sparkampagne ein. (sda/pb)