10:06 BAUBRANCHE

13. Schweizer Betonforum: Kreativ bauen trotz aller Normen

Geschrieben von: Claudia Bertoldi (cb)
Teaserbild-Quelle: Juan Pablo Allegre

Grau, massiv und stabil sind die Attribute, die oft als Erstes für Beton in den Sinn kommen. Dass dem absolut nicht so sein muss, mit Beton hingegen sehr kreativ gebaut werden kann, zeigten die Referenten des 13. Schweizer Betonforums in Zürich auf.

Bauingenieure und Architekten stehen heute oft in einem Konflikt, wenn es an die Planung eines neuen Bauwerks geht. Einerseits haben sie die strengen Regeln für die Sicherheit des Baus einzuhalten, andererseits klare Vorgaben der Bauherren wie Beschränkungen durch das vorgegebene Bauvolumen und diverse Nutzungswünsche in die Planung einfliessen zu lassen. Wie weit kann in dieser Situation noch Kreativität eingebracht werden? Behindern vorhandene Zwänge und Begrenzungen die Ideenfindung bei Gestaltung und Formgebung?

Nicht selten wird der Spielball zwischen Architekt und Bauingenieur hin- und hergeworfen. Beide haben ihre Ansprüche ans entstehende Bauwerk, die sie umsetzen wollen oder müssen. Eine Zusammenarbeit ist deshalb unumgänglich. Oft werde diskutiert, was der Unterschied zwischen den Arbeiten eines Bauingenieurs und eines Architekten bei der Bauausführung ist, sagt Tagungsleiter Joseph Schwartz. «Vielleicht wäre es etwas einfacher, mit dieser Frage umzugehen, wenn allen klar wäre, dass weder im Bauingenieurwesen noch in der Architektur ein Richtig und ein Falsch existiert. Wichtiger wäre es, wenn bei der Zusammenarbeit nicht immer nur die Optimierung und die Einhaltung der Regeln, sondern das eigentliche Bauwerk als Ziel gesehen wird.»

Bei der Erwähnung des Worts «Norm» denke man automatisch an starre Regeln. Zu strenge Vorgaben bei der Planung führten aber unweigerlich zur Behinderung von Innovation, Weiterentwicklung und aussergewöhnlichen Ideen. «Gleichzeitig hat es aber auch sehr viel mit Verantwortung zu tun. Spektakuläre Beispiele von Bauwerken zeigen immer wieder, dass es möglich ist, wenn die einzelnen Teamplayer dabei Verantwortung übernehmen müssen und dies auch tun», betont Schwartz.

Auch bei der Instandsetzung und beim Umbau bestehender Gebäude sind sehr viele Rahmenbedingungen einzuhalten. Um die optimale Form zu finden, bedürfe es der Konzeptarbeit. Die Affinität sei ein sehr guter Treiber, gehe es darum, spannende Lösungen zu finden. Der Einsatz neuer Bewehrungsmittel, innovative Schalungen und gezielte Veränderungen des mechanischen Verhaltens ermöglichten, dass etwas Neues entstehen könne, zum Beispiel neuartige Formen. Diese hätten die Normanforderungen voll einzuhalten, könnten aber zu sehr schönen Tragwerksformen und zu herausragenden architektonischen Lösungen führen.

Textile Gewebe bilden die Basis für die ultraleichte Beton­schale des Projekts «KnitCandela» in Mexiko, das von einem Forschungsteam an der ETH Zürich entwickelt wurde.

Quelle: Juan Pablo Allegre

Textile Gewebe bilden die Basis für die ultraleichte Beton­schale des Projekts «KnitCandela» in Mexiko, das von einem Forschungsteam an der ETH Zürich entwickelt wurde.

Assoziative Projektentwicklung

Nicht nur aus städtebaulicher, sondern vor allem aus bautechnischer Sicht hebt sich das Konzept für ein Bürogebäude im St. Galler Strickereiquartier hervor. Darüber referierte Architektin Corinna Menn, die seit 2002 ein Architekturbüro in Zürich und Chur betreibt. Als Basis für den Entwurf dienten die Anforderungen der künftigen Nutzer an ihren Büroraum, zudem die Lage des neuen Gebäudes innerhalb des denkmalgeschützten Strickereiquartiers. «Mit jedem Projekt interessiert es mich, den Prozess des Suchens und systematischen sowie assoziativen Denkens möglichst grundlegend von Neuem anzugehen», betont Menn. Man baue dabei auf Erfahrungen und werde zudem von architektonischen Themen geleitet.

Die Auseinandersetzung und Strukturierung des Raums beschäftigte die Architektin in verschiedenen Projekten und stellt eine wesentliche Komponente der Verankerung eines architektonischen Entwurfs dar. Entschieden widerspricht sie der These, dass Vorgaben und Zwänge die Kreativität einzwängen. Sie modifiziert hingegen diese These: «Die Kreativität sucht sich ihren Raum in den Normen. Das Ausloten dieses Raumes hat viel mit der Zusammenarbeit der Architekten und Ingenieure zu tun.»

Das Bürogebäude in der St. Galler Unterstrasse fügt sich als schlichter Bau mit zurückgesetzter Attika in die bestehende Strassenrandbebauung ein. Die umliegenden historischen Gebäude wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach den Plänen des Schweizer Bauingenieures Robert Maillard in Eisenbeton-Skelettbauweise errichtet. «Er revolutionierte zu dieser Zeit nicht nur Lagerhäuser und Industriehallen, sondern begründete den Typus des modernen Geschäftshauses in St. Gallen» berichtet Menn. Dies ermöglichte eine Auflösung von Wand und Fassade, was für eine grössere Nutzungsfreiheit und gute Belichtung sorgte. Der Neubau soll an dieses Konzept anknüpfen.

Der Auftraggeber, ein St. Galler Startup-Unternehmen, wünschte sich für seinen Hauptsitz Grossraumbüros, also hallenartige Räume mit einer maximalen Flexibilität der Gestaltung und Nutzung für ein interdisziplinäres Arbeiten. Deshalb ist das Gebäude als Tragwerksentwurf in vorgespanntem Beton konzipiert. «Die räumliche Leitidee verbanden wir mit der Absicht, an die baustrukturelle Tradition des Ortes anzuknüpfen und diese rund hundert Jahre später noch zu überhöhen. Die maximale Nutzungsflexibilität sollte durch die Idee eines Einraums geschaffen werden», so Menn.

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Ehemalige Redaktorin Baublatt

Claudia Bertoldi war von April 2015 bis April 2022 als Redaktorin beim Baublatt tätig. Ihre Spezialgebiete waren Architektur- und Technikthemen.

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